In Syrien ist der Krieg wieder entfacht worden und wird die erreichte prekäre Ordnung erneut destabilisiert. Das geschieht seit mehreren Tagen durch den Vormarsch der islamistischen Miliz Hayat Tahrir al Sham (HTS) und der «Syrischen Nationalen Armee» (SNA), die von der Türkei unterstützt wird.
Der Angriff begann aus der von den Islamisten kontrollierten Region Idlib und hat Berichten zufolge inzwischen die Millionenstadt Aleppo erreicht, die zweitgrößte Stadt Syriens. Demnach marschieren die von westlichen Medien als «Rebellen» bezeichneten Gruppen derzeit auf Hama, die drittgrößte Stadt des Landes, zu.
In einem Kurzreport macht das außenpolitische Onlinejournal german-foreign-policy.com (GFP) auf die aktuelle Situation in Syrien aufmerksam. Darin werden die Informationen zur Lage zusammengefasst, wonach die Islamisten große Teile Aleppos kontrollieren und auf Hama vorrücken.
Diese hätten inzwischen auch die Straße zwischen Aleppo und der Küstenstadt Latakia blockiert, in deren Nähe die russische Luftwaffenbasis Khmeimim liegt. Russland unterstützt die syrische Regierung unter Präsident Bashar al-Assad gemäß dem am 8. Oktober 1980 unterzeichneten «Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und der Syrischen Arabischen Republik». Russland als Rechtsnachfolger der UdSSR hatte am 2. März 2012 bestätigt, dass der Vertrag weiter gültig ist.
Das Journal schreibt, dass gemäß Informationen die türkische Regierung der von ihr unterstützten SNA grünes Licht für den Angriff gegeben habe. Die regulären syrischen Streitkräfte würden mit russischer Unterstützung versuchen, die Angreifenden zurückzuschlagen.
Die HTS sei eine Nachfolgeorganisation der Islamistenmiliz Jabhat al Nusra, dem syrischen Ableger von Al Qaida, so GFP. Die sogenannte Al-Nusra-Front habe sich mit anderen dschihadistischen Gruppen 2017 zur jetzigen HTS zusammengeschlossen, und werde von der UNO und zahlreichen Staaten als terroristische Organisation gesehen.
Experten würden darauf hinweisen, dass die HTS in Konkurrenz zum «Islamischen Staat» (IS) stehe und diesen im von ihr kontrollierten Gouvernement Idlib bekämpft habe. Das Portal stellt fest:
«Der Angriff von HTS und den von Ankara unterstützten Kämpfern hat die prekäre Ordnung erschüttert, die sich in Syrien herausgebildet hatte, nachdem die syrischen Regierungstruppen Ende 2016 Aleppo von jihadistischen Milizen zurückerobert hatten.»
Nach der damaligen Rückeroberung des von Islamisten besetzten Teils von Aleppo sei gemeinsam mit Russland als Unterstützer von Damaskus und der Türkei als Schirmherr der Islamisten ein Machtabgleich vereinbart worden, um den Krieg zu beenden. Das sei im sogenannten «Astana-Prozess» geschehen, um die Lage im seit 2011 von Kämpfen und Krieg gebeutelten Syrien wieder zu stabilisieren.
Im März 2020 hätten Russland und die Türkei das bisher letzte Aufflammen des Krieges noch gemeinsam gestoppt – «ohne Mitwirkung der USA und der Mächte Europas», wie GFP betont. So sei es gelungen, den Einfluss der westlichen Mächte «weitgehend aus Syrien zu verdrängen».
Das Journal berichtet, dass es laut Meldungen inzwischen Gespräche zwischen Moskau und Ankara zur aktuellen Lage gegeben habe. Dabei solle s darum gegangen sein, «das gemeinsame Vorgehen zu koordinieren, um die Verhältnisse in Syrien zu stabilisieren».
Entscheidend sei aber zunächst, den Vormarsch von HTS und SNA zu stoppen, dem schon Hunderte Menschen zum Opfer gefallen sein sollen. Dabei wird die reguläre syrische Armee von den russischen Luftstreitkräften und anderen russischen Militärs unterstützt.
Bisher hätten auch die libanesische Hisbollah und proiranische Gruppen die syrische Regierung militärisch unterstützt. Diese seien aber durch massive israelische Bombenangriffe dezimiert und geschwächt worden, heißt es bei GFP.
In der Tageszeitung junge Welt (jW) hieß es am Montag:
«Dass der NATO-Staat Türkei die neue Front gegen den Iran am Tag nach der Waffenruhe mit der Hisbollah im Libanon eröffnet hat, dürfte mit Israel, das regelmäßig Luftangriffe in Syrien fliegt, abgestimmt gewesen sein.»
Viele der HTS-Kämpfer seien keine Syrer, sondern Kämpfer aus dem Kaukasus und Uiguren, berichtete die Zeitung zuvor. Die Angreifer würden zudem Überwachungs- und Kamikazedrohnen einsetzen, «bei deren Gebrauch sie von ukrainischen Ausbildern angeleitet wurden».
Das weist auf die Verbindung des Geschehens zum Ukraine-Krieg hin: Der Angriff in Syrien, das mit Russland eng verbunden ist, dürfte zu den Versuchen gehören, Russland in weitere Konflikte zu verwickeln, um seine Möglichkeiten in der Ukraine zu schwächen. Genauso wie von Beginn an der Ukraine-Konflikt auch dazu diente, Russlands erstarkende Position in der Welt zu schwächen und es davon abzulenken, sich in anderen Weltgegenden «einzumischen».
Im Dezember 2013 hatte der geopolitische Informationsdienst Stratfor von George Friedman mit Blick auf die damals beginnenden Unruhen in der Ukraine festgestellt:
«Für die Vereinigten Staaten ist die Unterstützung der politischen Kräfte in der Ukraine der effektivste Weg, sich gegen Russland zu wehren. Moskau hat Washington in letzter Zeit wiederholt diplomatisch ausmanövriert, unter anderem in der Syrien-Frage und in Bezug auf die Edward-Snowden-Affäre. Die Unterstützung der USA für die Protestbewegungen in der Ukraine ist ein Weg, Russland auf seine eigenen Interessen zu verweisen.»
Das könnte nun wieder umgekehrt der Fall ein: Schon melden westliche Medien wie der öffentlich-rechtliche Bayerische Rundfunk eine «Lektion für Russland». Und sicher nicht ohne Schadenfreude fragen sie: «Droht Putin in Syrien eine ‹Blamage›?»
Der Sender zitiert passend Dmitri Drise, Kolumnist der russischen Wirtschaftszeitung Kommersant, der damit rechne, dass Russlands Präsident Wladimir Putin nun außenpolitisch massiv unter Druck gerate, und diesem empfehle:
«Lockern Sie zum Beispiel Ihre Position zur Ukraine, denn alles auf dieser Welt ist miteinander verbunden.»
Der US-amerikanische Ex-Geheimdienstmitarbeiter und -Militär Scott Ritter schrieb auf der Plattform X, der Islamisten-Angriff sei die Folge eines strategischen Plans zwischen Israelis und Türken, der von den USA unterstützt werde. Ziel sei es, die Versorgungsroute der Hisbollah vom Iran in den Libanon abzuschneiden und die Assad-Regierung zu destabilisieren beziehungsweise zu stürzen. Und:
«Russland müsste dann Ressourcen aus der Ukraine abziehen, um seine Position in Syrien zu retten.»
Die Ukraine habe den Assad-Gegnern Berater für Drohnenkriege zur Verfügung gestellt. Israel habe zudem sein explosives Pager-/Radio-Programm offenbar auch auf Syrien ausgeweitet und damit die syrische taktische Befehls- und Kontrollstruktur in einem kritischen Moment der Kämpfe gestört.
Ritter schätzt ein, dass es «höchstwahrscheinlich eine konzertierte Anstrengung unter Führung Russlands und des Irans» geben werde, um die Lage in Syrien zu retten, was einige Zeit dauern werde. Die Offensive der Islamisten sei «ohne die enge Zusammenarbeit und Koordination mit Israel und den USA nicht möglich gewesen». Der Militärexperte ist sich sicher:
«Syrien und seine Verbündeten werden die islamistische Hochburg in Idlib zerstören. Dies wird Jahre dauern. Die Versorgungslinie zwischen dem Iran und der Hisbollah wird wiederhergestellt beziehungsweise aufrechterhalten. Israel wird besiegt werden.»
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