Weihnachtszeit, Zeit der Einkehr und der traditionellen kirchlichen Feierlichkeiten. Wir werden wieder Bilder sehen von Kirchen, von Messen und von Gläubigen. Auch Bilder der kriegsversehrten Ukraine werden dazugehören. Hier hat sich in den letzten Jahren kirchlich Entscheidendes getan. Die Weihnachtszeit ist eine gute Gelegenheit, diese Entwicklungen kritisch zu beleuchten.
Traditionell ist es die Orthodoxie, die die ukrainische Kirchenlandschaft dominiert, allerdings ist sie in verschiedene Jurisdiktionen gespalten:
Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU)
- Gegründet im Dezember 2018 durch die Vereinigung mehrerer orthodoxer Kirchen in der Ukraine.
- 2019 erhielt die OKU die Autokephalie (Unabhängigkeit) durch das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel, was ihre volle Eigenständigkeit bestätigte.
- Sie wird von der Regierung unterstützt und gilt als Symbol für die nationale Unabhängigkeit.
Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats (UOC-MP)
- Sie ist mit der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROC) verbunden und war lange die größte orthodoxe Kirche in der Ukraine.
- Nach Kriegsbeginn hat die UOC-MP versucht, sich von der ROC zu distanzieren, allerdings wird ihre Unabhängigkeit vielfach angezweifelt.
- Sie steht unter Druck durch ein neues Gesetz, das Verbindungen zu Russland unterbindet.
Die katholische Tradition ist vor allem im westlichen Teil der Ukraine, die vor dem Ersten Weltkrieg zu Österreich und in der Zwischenkriegszeit teils zu Polen gehörte, verbreitet:
- Die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche (UGKK) erkennt den Papst als Oberhaupt an. Liturgie und Tradition sind jedoch orthodox geprägt.
- Eine kleine, aber historisch bedeutende Gemeinschaft ist die Römisch-Katholische Kirche, besonders unter der polnischen Minderheit in der Ukraine.
Protestantische Gemeinschaften erleben seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 ein Wachstum, besonders im Süden und Osten des Landes.
Die Ukraine hat eine lange jüdische Tradition, insbesondere in Städten wie Odessa, Lemberg und Kiew. Während des Holocaust erlitt die jüdische Bevölkerung schwere Verluste, doch seit den 1990er Jahren erlebte sie eine gewisse Wiederbelebung. Der gegenwärtige ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist jüdischen Glaubens.
In der aktuellen Kriegssituation spielen viele Kirchen eine zentrale Rolle in der Versorgung von Flüchtlingen und Bedürftigen.
Die Kirchenlandschaft in der Ukraine ist wohl auch deshalb so komplex, weil sie eng mit der Frage der ukrainischen Souveränität und Identität verknüpft ist, insbesondere im Konflikt mit Russland. Gerade die orthodoxen Kirchen sind deshalb stark politisiert. Die Spannungen zwischen der OKU und der UOC-MP erschweren nicht nur die Einheit der orthodoxen Christen. Die UOC-MP wird immer wieder verdächtigt, ein verlängerter Arm des Moskauer Patriarchates zu sein und damit als Einfallstor für russische Einflussnahme zu dienen.
Am 20. August 2024 verabschiedete die Werchowna Rada, das ukrainische Parlament, das Gesetz №8371, welches die Aktivitäten ausländischer religiöser Organisationen mit Verbindungen zu feindlichen Staaten verbietet. Ziel war es, die russische Einflussnahme durch religiöse Strukturen zu unterbinden – ein Schritt, der vor allem die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats (UOC-MP) betrifft.
Nach dem Beginn des Krieges 2022 unternahm die UOC-MP Schritte, um ihre Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat zu betonen. Am 27. Mai 2022 wurden alle Hinweise auf Verbindungen nach Moskau aus den Statuten der Kirche entfernt, und sie erklärte sich als «unabhängig und selbstverwaltend». Doch die Glaubwürdigkeit dieser Distanzierung wird von ukrainischer Regierungsseite angezweifelt.
Laut einer Analyse der Staatlichen Ethnopolitik- und Gewissensfreiheitskommission (SEFC) entsprechen die Statuten der UOC weiterhin den Regelungen des Moskauer Patriarchats. Dort wird die UOC als «selbstverwaltende Einheit» innerhalb der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROC) definiert. Die SEFC stellte zudem fest, dass die Begriffe «unabhängig» und «selbstverwaltend» ohne ein offizielles Dokument – ein sogenanntes Tomos – keine kirchenrechtliche Bedeutung haben.
Das neue Gesetz fordert die UOC-MP dazu auf, ihre angebliche Trennung von der ROC endgültig zu vollziehen. Hierfür wurde ein klarer Zeitrahmen festgelegt: Innerhalb von neun Monaten muss jede religiöse Organisation mit Verbindungen zu Russland diese vollständig kappen. Geschieht dies nicht, wird eine staatliche Kommission Ermittlungen einleiten. Bestätigen sich die Vorwürfe, droht ein Gerichtsverfahren, um die Aktivitäten der Organisation zu beenden.
Parallel dazu ist der Staat verpflichtet, Maßnahmen zur Rückforderung staatlicher Immobilien zu ergreifen, die derzeit von religiösen Organisationen mit Verbindungen zu Russland genutzt werden. Dies betrifft auch historisch bedeutsame Kirchengebäude, die unter der Verwaltung der UOC stehen.
Die Umsetzung des Gesetzes wirft rechtliche und politische Fragen auf. Besonders der Vorwurf, dass führende Vertreter der UOC-MP, wie Metropolit Onufrij, russische Pässe besitzen, schürt in der Ukraine Misstrauen. Kritiker des neuen Gesetzes bemängeln aber, dass die ukrainische Regierung religiöse Belange instrumentalisiert. Insgesamt eröffnete die Ukraine schon vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes Strafverfahren gegen etwa 60 Geistliche der UOC-MP. Selenskyj erkannte mehreren ihrer Bischöfe die ukrainische Staatsangehörigkeit ab. Die ukrainische Regierung verbannte außerdem die UOC-MP aus ihrem Hauptheiligtum, dem Kiewer Höhlenkloster.
Der ukrainische Staat muss nun beweisen, dass er in der Lage ist, die Trennung von Kirche und Politik zu wahren und gleichzeitig nationale Sicherheitsinteressen zu schützen. Die kommenden Monate und Jahre werden zeigen, ob das Gesetz wirklich zu einer Stärkung der religiösen Unabhängigkeit in der Ukraine führen wird – oder ob es neue Gräben in der ohnehin gespaltenen Gesellschaft aufreißt.
Politische Konflikte um Kirchen haben in diesen Breiten eine unselige Tradition. In der Zeit, als die westlichen Gebiete der heutigen Ukraine zur Donaumonarchie gehörten, ist Wien der orthodoxen Kirche, die dem Moskauer Patriarchat angehörte, mit Misstrauen begegnet. Die Lösung: eine Kirche, deren Liturgie orthodox geprägt ist, die aber den Papst als Oberhaupt anerkennt – die unierte Kirche, oder griechisch-katholische Kirche war geboren.
Insgesamt bleibt die Ukraine ein Land mit einer lebendigen, aber auch gespaltenen religiösen Landschaft, die eng mit ihrer politischen und gesellschaftlichen Entwicklung verwoben ist.