Während des sonntäglichen Gottesdienstes in der orthodoxen Prophet-Elias-Kirche in Damaskus wurden die Gläubigen jäh aus ihrem Gebet gerissen: Schüsse fielen auf der Straße, Sekunden später betrat ein Attentäter das Gotteshaus, warf eine Handgranate und sprengte sich inmitten der versammelten Gemeinde in die Luft. Die Bilanz: mindestens 25 Tote und über 60 Verletzte, darunter mehrere Kinder.
Wie syrische Medien berichten, handelt es sich um den ersten derartigen Anschlag in der Hauptstadt seit dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024. Nach Angaben der syrischen Behörden war der Täter ein Mitglied der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Augenzeugen sollen berichtet haben, dass sich vor dem Anschlag weitere bewaffnete Männer rund um die Kirche aufgehalten hätten. Offiziell wurde dies bisher nicht bestätigt. In der Schweiz berichtete vor allem die Neue Zürcher Zeitung darüber. Weiterführende Informationen verbreitete die in dieser Sache gut informierte griechische Kathimerini.
Das entsetzliche Attentat ereignete sich in einer Phase politischer Instabilität in Syrien. Nach dem Machtwechsel zur islamistisch geprägten Übergangsregierung unter Präsident Ahmed al-Sharaa ringen Regierungskräfte weiter um Kontrolle über das zersplitterte Land. Besonders alarmierend: Dass der IS nun sogar in der Hauptstadt zuschlagen konnte – ein Ort, der lange Zeit als relativ sicher galt.
Der syrische Innenminister Anas Khattab erklärte am Abend des Attentats: «Diese Terroranschläge werden den syrischen Staat nicht von seinen Bemühungen um einen zivilen Frieden abhalten.» Gleichzeitig gestand er ein, dass das Machtvakuum nach dem Sturz des Assad-Regimes von radikalen Gruppen ausgenutzt werde.
Auch das orthodoxe Patriarchat von Antiochien, dessen Sitz in Damaskus ist, verurteilte die Tat aufs Schärfste und forderte von der neuen Regierung «volle Verantwortung und Schutz für die christlichen Gemeinden».
Die Vereinten Nationen, die USA, Frankreich und auch Griechenland verurteilten die Tat als «feigen Terrorakt». Die griechische Regierung äußerte besondere Betroffenheit, da es sich beim Ziel der Attacke um ein Gotteshaus der griechisch-orthodoxen Kirche handelte. Die griechisch-orthodoxe Kirche ist die größte Konfession in Syrien.
Vor dem Ersten Weltkrieg machte der christliche Bevölkerungsanteil im ottomanischen Reich etwa 20 Prozent aus. Nach dem Zerfall im Zuge des Krieges und der Neuordnung des Nahen Ostens an den Pariser Vorortsverträgen, wurden in der Türkei die christlichen Bevölkerungsteile bis auf einen sehr kleinen Rest vertrieben, ermordet oder diskriminiert, bis sie das Land verließen.
In den Ländern, die nicht mehr zur Türkei gehörten – Libanon, Syrien, Jordanien, Irak, Palästina und (offiziell) Ägypten, verblieben diese Minderheiten – zum Teil bis auf den heutigen Tag.
Dabei geraten praktisch bei jeder kriegerischen Auseinandersetzung im Nahen Osten die einstmals zahlenmäßig starken christlichen Minderheiten unter starken Druck. Während die Verhältnisse in Libanon, Ägypten und Jordanien ziemlich stabil sind, schrumpfen die einstmals starken palästinensischen und irakischen christlichen Gemeinschaften in den letzten Jahrzehnten sehr stark. Es ist zu fürchten, dass das gleiche nun in Syrien geschieht.
Die Aufnahmen der Explosion – verbreitet über soziale Medien – zeigen, wie eine friedliche Messe durch eine gewaltige Detonation ins Chaos gerissen wird. Rauch, Schreie und Trümmer prägten das Bild nach dem Anschlag.
Der IS, dessen Kalifat 2019 offiziell zerschlagen wurde, ist in Syrien weiterhin aktiv – vor allem im Osten des Landes. Experten warnen seit Monaten vor einer Rückkehr der Terrorgruppe, insbesondere nachdem die USA begonnen haben, Truppen aus der Region abzuziehen. Noch immer befinden sich rund 9000 frühere IS-Mitglieder in kurdisch geführten Gefangenenlagern im Nordosten Syriens.
Die Gefahr einer erneuten Radikalisierungswelle sei real, warnen Analysten. «Der IS nutzt gezielt Spannungen zwischen religiösen Gruppen aus, um Zwietracht zu säen und die Autorität der Regierung zu untergraben», sagte ein westlicher Diplomat in Beirut.
In Syrien herrscht weiterhin große Unsicherheit. Die Übergangsregierung verspricht Schutz für alle Minderheiten, doch das Vertrauen in ihre Fähigkeiten ist gering. Immer wieder kommt es zu Kämpfen – nicht nur gegen Extremisten, sondern auch zwischen rivalisierenden Milizen, etwa in der Region Südsyrien.
Für viele Christen in Syrien war der Anschlag vom Sonntag ein Schock – aber kein völliges Novum. Bereits während der Hochphase des Bürgerkriegs wurden sie immer wieder Ziel extremistischer Gewalt. Dass dies nun erneut – und ausgerechnet in Damaskus – geschieht, verstärkt die Sorge um ihre Zukunft im Land.