Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach hat nach einer Militäroffensive Aserbaidschans im September zur Eroberung der Enklave geführt, die nach dem Krieg von 2020 noch übriggeblieben war. Praktisch die gesamte, autochthone, armenische Bevölkerung von Bergkarabach ist innerhalb von wenigen Tagen geflüchtet oder wurde vertrieben. Wir haben hier, hier, hier und hier über die Entstehung und den Fortgang dieses jahrhundertealten Konfliktes berichtet.
Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinjan hat nun Aserbaidschan vorgeworfen, neue Kriegspläne zu schmieden, insbesondere im Zusammenhang mit der Exklave Nachitschewan. Diese Region mit rund 400’000 Einwohnern grenzt hauptsächlich an den Iran und Armenien und wurde zu Beginn der Sowjetzeit Aserbaidschan zugeschlagen, obwohl sich damals dort die Armenier und die Aseris praktisch die Waage hielten. In den letzten hundert Jahren sind ausnahmslos alle Armenier vertrieben worden.
Paschinjan äusserte Misstrauen gegenüber Baku, da Armenien in Aserbaidschan als Westaserbaidschan bezeichnet wird, was auf den langjährigen Streit um Nachitschewan zurückzuführen sein könnte. Aserbaidschan setzt sich seit langem für eine neue Strassen- und Schienenverbindung in die Exklave ein. Die Aussagen aus Baku über die Schaffung eines Korridors könnten jedoch auch als militärische Drohung interpretiert werden. Kann nämlich Aserbaidschan die beiden Gebiete verbinden, dann ist der armenische «Sperrriegel» gebrochen. Der Weg ist dann frei für eine grosse, von der Türkei und seinen Bündnispartnern in Aserbaidschan und Zentralasien beherrschte «neue Seidenstrasse» von China nach Europa.
In Bezug auf die politische Situation hat Aserbaidschan Friedensgespräche mit Armenien in den USA abgelehnt. Das geplante Treffen auf Aussenministerebene am 20. November 2023 in Washington wurde abgesagt, da Aserbaidschan Washington Voreingenommenheit gegenüber Baku vorwirft. Diese Absage erfolgte nach einer Anhörung im US-Repräsentantenhaus, in der der Abteilungsleiter für Europa im US-Aussenministerium, James O’Brien, betonte, dass es keine Normalisierung der Beziehungen zu Aserbaidschan geben werde, bis Fortschritte auf dem Weg zum Frieden erkennbar seien. Der Konflikt um Berg-Karabach bleibt somit sowohl militärisch gelöst als auch politisch festgefahren.
Es ist nicht klar, ob es sich für Aserbaidschan weiterhin lohnen wird, durch Gewalt vollendete Tatsachen zu schaffen. Das Land wurde von der Türkei aufgerüstet und die Öleinnahmen sprudeln.
Weil der Westen nach dem Ausfall der russischen Energielieferungen Aserbaidschan als Energiedrehscheibe nötiger denn je hat, kann sich Baku viel erlauben.
Wieviel? Bisher wussten der aserische Präsident Alijew und sein Waffenbruder Erdogan in Ankara ganz genau, wie weit sie gehen können, um nicht eine westliche Reaktion zu provozieren.
Sie halten den Westen für dekadent, heuchlerisch und käuflich. Leider trifft das wohl zu.
Wird der Westen jetzt eine dieser berühmten roten Linien ziehen, wonach Aserbaidschan die Finger von völkerrechtlich unbestrittenermassen armenischem Gebiet lassen muss?
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