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«Fleiß muss sich wieder lohnen» – das plakatiert unter anderem die CDU im gegenwärtigen Bundestagswahlkampf. Andere wie die FDP und die SPD versprechen «mehr Netto».
Doch wie sieht es konkret aus? Was bieten die Wahlprogramme der etablierten Parteien, einschließlich Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), denen, die Arbeit haben?
Der Ökonom Reinhard Bispinck vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat sich die Programme der Parteien daraufhin angeschaut. Sein Fazit:
«Das Spektrum der Vorstellungen der Parteien zum Thema Tarifverträge und Tarifbindung sowie zum Mindestlohn ist weitgespannt. Es reicht von konkreten Forderungen über allgemeine Eckpunkte bis hin zur kompletten Nichtbefassung.»
Bispinck rechnet mit einer Koalition von Union und SPD. In seiner Auswertung hat er sich vor allem mit der Frage der Tarifbindung von Arbeitsverträgen sowie des Mindestlohnes beschäftigt.
Seine Analyse zeigt, dass sich CDU und CSU nicht mit der Erhöhung des Mindestlohns für Beschäftigte (derzeit 12,84 Euro/Stunde) befassen. Beide sprechen sich für eine höhere Tarifbindung der Unternehmen aus und wollen die Bereitschaft von Unternehmen, sich an Tarifverträge zu halten, fördern.
Die Unionsparteien werden dabei aber nicht konkret, so der Ökonom. Gleichzeitig wolle die Union das Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifen «stärken» – und im Gegensatz dazu mehr Tariföffnungsklauseln.
Die SPD will demnach den Mindestlohn künftig gemäß der EU-Mindestlohnrichtlinie auf mindestens 60 Prozent des mittleren Einkommens anheben, was 2026 15 Euro pro Stunde bedeuten würde. Die Partei plant laut ihrem Wahlprogramm ein «Bundestariftreuegesetz», damit nur noch Unternehmen, die nach Tarif zahlen, öffentliche Aufträge bekommen.
Das Kriterium soll auch bei öffentlichen Fördermitteln für Unternehmen zur Erreichung der Klimaziele gelten. Die Sozialdemokraten wollen demnach außerdem die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtern, ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften einführen und Beschäftigte, die Betriebsratswahlen initiieren, besser schützen. Eingriffe ins Streikrecht werden abgelehnt, so Bispinck.
Nach seiner Auswertung des Wahlprogramms der AfD stellt er fest, dass es darin «keinerlei Aussagen zum Thema Tarifverträge und Tarifbindung gibt». Und:
«Auch zum Thema Mindestlohn gibt es keine grundsätzliche Aussage.»
Es gebe bei der AfD nur die spezielle Forderung, Behinderten in Werkstätten durch Mittelumschichtung den Erhalt des Mindestlohns zu ermöglichen. Dieses Desinteresse dieser Partei konterkariert Umfrageergebnisse, wonach Erwerbstätige und abhängig Beschäftigte diese Partei wählen wollen.
Das passt aber dazu, dass von den Plänen der AfD in Sachen Finanz- und Steuerpolitik vor allem die Topverdiener profitieren und für die unteren Einkommensgruppen wenig übrig bleibt. Das hat eine Analyse der Süddeutschen Zeitung und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) ergeben.
In der WSI-Auswertung wird mit Blick auf das Programm der Grünen festgestellt, dass diese ebenfalls eine stärkere Tarifbindung anstreben und auf Allgemeinverbindlichkeit und Tariftreueregelungen setzen. Außerdem fordern sie demnach, dass der Mindestlohn – auch für Jugendliche unter 18 Jahren – noch in diesem Jahr entsprechend den EU-Vorgaben auf 15 Euro steigen soll.
Die Partei Die Linke liste ähnliche Punkte auf wie SPD und Grüne, stellt WSI-Forscher Bispinck fest. Zusätzlich wolle die Partei Arbeitgeberverbänden verbieten, Mitgliedschaften ohne Tarifbindung anzubieten. Die Mindestlohnkommission solle zudem nicht mehr gegen die Stimmen der Gewerkschaften entscheiden dürfen.
Für eine «höhere Tarifquote» durch Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen spricht sich demnach das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) aus. Öffentliche Aufträge und Subventionen sollen an die Einhaltung von Tarifverträgen gekoppelt werden. Das BSW fordere außerdem einen Mindestlohn von 15 Euro.
Erwartungsgemäß will die FDP laut Bispinck ein «modernes Arbeitsrecht» mit «entschlackten» Gesetzen. Während die Liberalen von der Tarifbindung nicht reden würden, wolle die Partei das Streikrecht «modernisieren», also einschränken, so in «kritischen Bereichen» wie beispielsweise dem Gesundheitswesen.
Die Liberalen, die auf Plakaten «mehr Netto» versprechen, lehnen Eingriffe des Gesetzgebers in die Arbeit der Mindestlohnkommission ab. Auch will die FDP Gutverdiener steuerlich noch weitaus radikaler entlasten als ihr Wunsch-Regierungspartner Union, wie die Analyse in der Süddeutschen zeigt.
Der Blick in die Wahlprogramme macht laut WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch vor allem eines deutlich:
«Auch wenn sich die AfD gerne als Anti-Establishment Partei aufspielt, vertritt sie nicht die Interessen der abhängig Beschäftigten – im Gegenteil.»
Das bestätigt die Analyse der Süddeutschen Zeitung. Darin wird festgestellt, dass sich die von den Parteien geplanten finanziellen Verbesserungen «sehr unterschiedlich auf die einzelnen Einkommensgruppen verteilen».
Sie würden «in zwei Lager» zerfallen: «SPD, Grüne, BSW und Linke wollen vor allem Haushalte mit niedrigen Einkommen und die Mittelschicht finanziell besserstellen – und Beziehern hoher Einkommen eher Geld wegnehmen.»
«Ganz anders» sehe es dagegen bei Union, FDP und AfD aus:
«Sie versprechen ein Finanzplus, das mit zunehmendem Gehalt nicht nur in Euro und Cent immer höher ausfallen soll, sondern auch prozentual. Anders gesagt: Je mehr ein Haushalt verdient, desto stärker wird er im Verhältnis zum bisherigen Einkommen entlastet.»
Das mache fünf bis zehn Prozent mehr für Topverdiener aus, während alle anderen gesellschaftlichen Gruppen weniger bis nichts erhalten, stellt die Zeitung fest.
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