Nach der Bundestagswahl am Sonntag scheint eines bereits klar: In Deutschland wird weiter aufgerüstet, egal, welche Partei die Regierung stellen wird. Das Portal german-foreign-policy.com (GFP) hat am Freitag darauf aufmerksam gemacht, dass Unternehmen und Wirtschaftsverbände von der nächsten Bundesregierung eine massive Aufrüstung fordern. Dabei solle auch die Bevölkerung «aktiv» einbezogen und die Gesellschaft so militarisiert werden.
Die Rüstungsindustrie in Deutschland wie auch in anderen westlichen Staaten boome bereits seit Beginn des Ukraine-Krieges, heißt es in dem GFP-Beitrag. Das Portal EuroNews meldete dazu vor Tagen:
«Die 100 größten Rüstungsunternehmen der Welt erzielten im vergangenen Jahr Gewinne in Höhe von fast 600 Milliarden Euro und profitierten dabei stark von den Kriegen im Gazastreifen und in der Ukraine.»
Demnach steigerten laut einer Analyse des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (SIPRI) die Waffen- und Militärdienstleister weltweit ihre Umsätze um 4,2 Prozent. Für 2023 werde ein Gesamterlös von 598 Milliarden Euro prognostiziert.
Die deutschen Waffenschmieden verzeichnen anders als andere Industriezweige, wie etwa die Chemieindustrie, der Fahrzeug- und der Maschinenbau, laut GFP volle Auftragsbücher. Vor allem der Rüstungskonzern und Panzer-Produzent Rheinmetall profitiere von der Aufrüstungswelle und dem Krieg in der Ukraine, aber ebenso die Hersteller anderer Rüstungsgüter. Die Rheinmetall-Aktie liege beispielsweise derzeit bei etwa 900 Euro, nachdem sie im Februar 2022 bei 100 Euro gelegen habe.
Auch mittelständische deutsche Rüstungsunternehmen würden durch den Rüstungsboom wachsen, heißt es. Ökonomen würden außerdem die Rüstungsindustrie als Motor der schwächer werdenden deutschen Wirtschaft sehen, der einen neuen Wachstumsschwung bringen könne.
Kanonen statt Butter
So hatte der britische Historiker Niall Ferguson Mitte Februar gegenüber dem Handelsblatt erklärt:
«Wenn Deutschland sein Verteidigungsbudget verdoppeln und sich auf den Wiederaufbau seiner Produktionsbasis für Waffen konzentrieren würde, könnte das die Wirtschaft effektiv ankurbeln.»
Im Juni 2024 hatte er gemeinsam mit Moritz Schularick, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW), auf einer CDU/CSU-Tagung eine «rasche Erhöhung der Militärausgaben, die sowohl für die nationale Sicherheit als auch für die Verteidigung der Ukraine notwendig wäre», gefordert. Von höheren Rüstungsausgaben würden «deutliche wirtschaftliche Impulse» ausgehen, behaupteten die beiden Autoren.
Sie machten auch klar, wer das auf Dauer bezahlen soll: Das gelinge mittelfristig nur «mit grundlegenden und komplexen Reformen der Renten- und Sozialversicherungssysteme», die heute den Großteil des Bundeshaushaltes ausmachten. Kurzfristig würde ein solches Vorgehen nach dem Motto «Kanonen statt Butter» aber die Gesellschaft polarisieren und das Land «innenpolitisch destabilisieren». Deshalb müssten mehr Waffen zuerst über neue Kredite finanziert werden und der Sozialabbau für mehr Rüstung «schrittweise und einvernehmlich» erfolgen.
«Die Steigerung der Militärhaushalte in Deutschland wie auch in der EU insgesamt ist längst in Planung», macht der GFP-Beitrag klar. So habe EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon 2024 erklärt, sie halte zusätzliche Ausgaben in Höhe von 500 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren für unumgänglich.
Milliarden-Rüstungspaket nach der Wahl
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) habe kürzlich am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz bestätigt, in der EU werde ein Rüstungsausgabenprogramm ähnlich den «Rettungspaketen» in der Euro- und der Coronakrise (in Höhe von 500 bis 700 Milliarden Euro) vorbereitet. Diese umfassten Beträge im Wert von 500 bis 700 Milliarden Euro. Informationen darüber würden allerdings mit Blick auf die Bundestagswahl noch zurückgehalten, hieß es, wie auch die Berliner Zeitung dazu meldete.
Das Portal verweist darauf, dass einzelne EU-Länder wie Dänemark und Frankreich bereits vorpreschen. Die EU-Kommission bereite begleitend die Aussetzung der EU-Schuldenregeln für Rüstungsausgaben vor und Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD) habe eine entsprechende Änderung der deutschen Haushaltsregeln angekündigt.
Aktuelle Medienberichte melden eine neue Studie, der zufolge die deutliche Steigerung der Rüstungsausgaben «ein echtes Konjunkturprogramm» wäre. Demnach würden neben dem Rüstungssektor unter anderem die Metallindustrie und Dienstleister wie Transport- und Logistikunternehmen profitieren. Damit sei Verteidigungspolitik zugleich Industriepolitik.
An der Einstimmung der Gesellschaft auf «Kanonen statt Butter» wird gearbeitet: GFP weist darauf hin, dass mit dem Rüstungsboom neben der wirtschaftlichen auch die «gesellschaftliche Bedeutung» der Branche wachse.
«Die Rüstungsindustrie gilt inzwischen als Hoffnungsträger bei der Suche nach Arbeitsplätzen für die hohe Zahl an Angestellten der Kfz-Industrie, die voraussichtlich gekündigt werden. Zugleich berichten Mitarbeiter von Waffenschmieden, der Ukraine-Krieg habe das Ansehen der Branche, die lange ‹ein bisschen als Schmuddelbranche› gegolten habe, schon erheblich verbessert.»
Dazu gehört auch eine umgekehrte Konversion, wie das Beispiel der traditionsreichen Waggonbau-Firma im sächsischen Görlitz zeigt. Die wird Meldungen zufolge vom deutsch-französischen Rüstungskonzern KNDS übernommen und soll statt Waggons für Menschen nun Panzerteile herstellen. Demnach war Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zur offiziellen Übernahme nach Görlitz gekommen und erklärte, die neue Produktion «sorgt für mehr Sicherheit in Deutschland».
Gesellschaft soll «kriegstüchtig» werden
GFP zufolge wächst auch der Druck auf deutsche Hochschulen, die sogenannten Zivilklauseln zu verbieten, die bisher Forschung für militärische Zwecke ausschließen. Wirtschaftsverbandsvertreter wie BDI-Präsident Peter Leibinger fordern demnach neben mehr sozialer Akzeptanz auch mehr aktive gesellschaftliche Unterstützung für die Rüstungsindustrie. Sie müsse «Teil einer gelebten Sicherheits- und Verteidigungskultur der Gesellschaft werden».
Das passt zu Forderungen wie der von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), Deutschland müsse bis 2029 «kriegstüchtig» sein. Er verlangt einen entsprechenden «Mentalitätswechsel, über den wir in den nächsten Jahren reden müssen».
Eines der Argumente für mehr Geld für Waffen und Militär ist neben der angeblichen neuen «russischen Gefahr» die vermeintlich «kaputtgesparte Bundeswehr». Mit dieser Behauptung würden bereits seit Jahr Steigerungen des Rüstungshaushaltes durchgesetzt, wie der Politologe Jürgen Wagner in einem Beitrag für das Magazin Makroskop erklärte.
«Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine kennen die Forderungen aber nahezu kein Halten mehr – und auch nicht die, dies über drastische Kürzungen der Sozialausgaben zu refinanzieren.»
Bereits 2014, acht Jahre vor der von Scholz verkündeten «Zeitenwende», habe das Bundesverteidigungsministerium die «Agenda Rüstung» ausgerufen. In deren Folge sei der Mythos der «kaputtgesparten» Bundeswehr geboren und «überaus erfolgreich in den Köpfen der Bevölkerung verankert» worden. Doch schon von 200 bis 2014 sei der Militärhaushalt von 24 Milliarden Euro auf 32,5 Milliarden Euro gestiegen und habe Anfang 2022 vor der «Zeitenwende» bei 50,4 Milliarden gelegen.
Forderungen mit «fragwürdigen Annahmen»
Wagner, für die Informationsstelle Militarisierung (IMI) Tübingen tätig, schreibt, dass sich 2024 nach NATO-Angaben die deutschen Militärausgaben (einschließlich Ausgaben aus anderen Haushaltspositionen) auf 90,58 Milliarden Euro beliefen. Doch das «Ende der Fahnenstange» sei anscheinend noch nicht erreicht, wovon die Forderungen aus Union, SPD und Grünen nach weiteren Erhöhungen zeugen würden, nachdem US-Präsident Donald Trump mehr Geld fürs Militär gefordert hatte.
«Und tatsächlich wird aktuell der Stimmungsteppich ausgebreitet, um beim NATO-Gipfel im Juni 2025 deutlich höhere NATO-Ausgabenziele beschließen zu können.»
Wagner verweist auf recht hohe Zustimmungswerte in Umfragen für weiter steigende Militärausgaben. Dazu würden «sprachliche Nebelkerzen» beitragen, so die Rede vom «Sondervermögen» für die Bundeswehr, bei dem es sich um zurückzuzahlende Kredite handele. Dazu auch die Angaben zum Anteil der Rüstungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP), was verschleiere, was das konkret für den Bundeshaushalt bedeute.
«So hätten die von Robert Habeck geforderten 3,5 Prozent des BIP voriges Jahr Militärausgaben in Höhe von ziemlich genau 150 Milliarden Euro oder 32 Prozent des gesamten Haushalts bedeutet (erneut ohne Berücksichtigung eines Sondervermögens). Und auch wie diese immensen Summen aufgebracht werden sollen, wissen einige – wie im Übrigen schon seit Jahren – ebenfalls ganz genau: durch Sozialkürzungen.»
Wagner macht auf die Aussagen aus Wirtschaftskreisen und von Ökonomen aufmerksam, die Aufrüstung durch Kürzungen der Sozialausgaben zu finanzieren. Er widerspricht neben der vermeintlich kaputtgesparten Bundeswehr auch den anderen «fragwürdigen Annahmen», mit denen die Rüstungsausgaben begründet werden.
So zeige ein Vergleich mit den militärischen Fähigkeiten Frankreichs und Großbritanniens, dass die Bundeswehr keineswegs «blank» dastehe, wie behauptet werde. Wenn das der Fall wäre, «wäre dies angesichts der massiven Ausgabensteigerungen der letzten Jahre eher ein Fall für den Rechnungshof und kein Argument für weitere Budgetsteigerungen».
Der Autor widerspricht ebenso der Behauptung, Russland greife nach der Ukraine in wenigen Jahren die NATO an, weshalb diese aufrüsten müsse. Das sei «niemand auch nur halbwegs schlüssig zu erklären», angesichts der Tatsache, dass Russland den NATO-Staaten aktuell militärisch drastisch unterlegen ist.
Doch ein «Friedenskanzler» ist nach der Wahl nicht in Sicht. Nach dem erwähnten Baerbock-Vorstoß forderte auch der grüne Außenpolitiker Anton Hofreiter «einen 500 Milliarden schweren Verteidigungsfonds für die Unterstützung der Ukraine sowie für gemeinsame Rüstungsbeschaffung in der EU». CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter, der als Vertrauter von Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz gilt, hat laut Medienberichten kurz vor der Bundestagswahl viel höhere Rüstungsausgaben im Rahmen der NATO gefordert.
Kommentare