Der Täter wurde kurz nach dem Massaker festgenommen: Arzt aus Saudi-Arabien, angeblich seit bald zwanzig Jahren in Deutschland und nach eigenem Bekunden Frauenrechtler, Atheist, Islamkritiker und AfD-Wähler. Damit kann ja sein Morden schon mal nicht «von den Falschen instrumentalisiert» werden, wie eine bekannte Floskel der Kämpfer gegen sonstwas lautet.
Irgendwie scheint er sich aber denn doch «radikalisiert» zu haben, wie noch in der Nacht auf Samstag Welt.de berichtete. Schon vor einem Jahr habe er in bald danach gelöschten Twitter- / X-Einträgen von einem «riesigen Preis» schwadroniert, den Deutschland werde bezahlen müssen − «auch wenn es mich mein Leben kostet».
Ein Weihnachtsmarkt also voller Spuren von Verwüstung und Tod. Der Gegensatz könnte kaum größer sein. Im Rahmen der Erwartungen hingegen rangieren die Stimmen der Betroffenheit von guten Menschen. Herr Scholz stünde mit seinen «Gedanken (…) bei den Opfern und Angehörigen». Eine Frau Göring sorgt sich «um unsere freie Gesellschaft», die deutsche Innen-Dame vom Amt verspricht, «die Sicherheitsbehörden» würden «die Hintergründe aufklären».
Der frühe Samstagabend, 21. Dezember, wird in der Innenstadt von Magdeburg bipolar ablaufen. Um 18 Uhr rufen die Freien Sachsen auf dem Hasselbachplatz zu einer «Demonstration gegen den Terror» auf; im nahegelegenen Dom soll es um 19 Uhr eine Gedenkstunde geben. Die Rollen sind also wieder einmal verteilt: Nach hinten schaut die Kirche und kümmert sich um die Opfer, nach vorne schauen die Aktivisten und sorgen sich um die Zukunft.
Warum, in Gottes Namen, kommen die beiden nicht zusammen, die beiden Anschauungen und die beiden Gruppen? Für sich setzt sich jeder gänzlich unnötig den ebenfalls klassischen Vorwürfen aus: entweder das aktuelle Leid zu übergehen, es zu «politisieren», oder aber keine Verantwortung für den Gang von Gesellschaft und Politik zu übernehmen und sich stattdessen mit einer zugewiesenen Rolle bloßen Tröstens abzufinden.
Wie war das mit dem Bonhoeffer und seinem Satz von dem Auto und den Speichen und so? Ja, genau:
«Wenn ein betrunkener Autofahrer mit hoher Geschwindigkeit den Kurfürstendamm hinunterrast, kann es nicht die einzige und wichtigste Aufgabe eines Pfarrers sein, die Opfer des Wahnsinnigen zu beerdigen und deren Angehörige zu trösten. Viel wichtiger ist es, dem Betrunkenen das Steuerrad zu entreißen.»
Nur mündlich überliefert zwar, dieser Satz, aber doch umso einprägsamer. Zitiert findet man ihn häufig, oft in der Variante, man solle dem Auto «in die Speichen greifen». Praktiziert hingegen finde ich ihn kaum. Die Großkirchen nehme ich nicht wahr als Meister des Dazwischenfahrens, des mahnenden, protestierenden, schützenden. Schon zu Beginn der Fremdenflutung, Ende 2015, hatte ich sie als «eingebettete Samariter» apostrophiert.
Zu den «Gedanken» der Politiker gesellen sich die Gebete der bestallten Kirchlichkeit. Aber wo bleiben deren Stimmen «gegen den Terror», gegen den − ich kann es nicht anders nennen − mutwillig importierten Terror durch eben jene, die bei den Gedenkfeiern wieder an die Kanzelmikrophone treten und ihre Betroffenheiten bekunden dürfen?
Eine Kirche, die Machtbesoffenen das Steuer überlässt, sanktioniert gesellschaftspolitische Amokfahrten und wird im voraus schuldig an den Opfern der nächsten Untat.
Zwischen 18 und 19 Uhr liegt nur eine Stunde; zwischen dem Hasselbach- und dem Domplatz liegen 10 Gehminuten. Aber zwischen dem Rückzug ins alleinige Betreuen von Opfern und einem Griff ins Räderwerk des Systems liegt nur ein einziger Schritt: jener des Gehorsams gegenüber Demjenigen, dem schon als Kind zugesagt wurde:
«Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.» Lukas 1,52
«Auch ich selber wünsche mir mehr Mut, um dem Rad in die Speichen zu greifen, wo es Not-wendend ist», schrieb jemand im Sonntagsblatt für Steiermark. − Nun, «was hindert’s?», fragte einst der Apostel Philippus den Kämmerer aus dem Morgenlande (Apostelgeschichte 8,37).
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Wort zum Sonntag vom 15. Dezember 2024: Lichter im Untergrund
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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