Die Krux mit den historischen Vergleichen ist halt immer wieder die: Sie passen nur allzu oft. Und es ist nicht immer schön, was einem der Spiegel offenbart. Aber hilfreich. Sie helfen einem dabei, klarer zu sehen.
Vorletzte Woche fanden in Bayern regelrechte Razzien statt gegen Menschen, die in irgendeiner Weise «aufgefallen» waren. Eine Bekannte hatte ein Online-Seminar bei jemand besucht, der nun im nachhinein als «seitenlastig» – um es neutral auszudrücken – kategorisiert wird. Plötzlich fand sich die Frau als potentielle Unterstützerin einer «kriminellen Vereinigung» wieder. Auch ihr Haus wurde durchsucht.
Das Prinzip ist offenkundig: Mit dem «Falschen» geredet, zwei Häkchen in einem «sozialen Netz» an nicht genehmer Stelle gesetzt, auf einer «umstrittenen» Webseite etwas veröffentlicht, und schon ist klar, wo man scheinbar hingehört. Wer statt einer Reflexion nur noch Reflexe kennt, dem sitzt der moralistische Colt denkbar locker.
Das war im alten Jerusalem nicht anders, womit wir nun beim historischen Vergleich wären: bei der Verhaftung von Jesus und dem Petrus am warmen Feuer der Mächtigen.
In einer gemeinsamen Aktion von Besatzungstruppen und eigener Religionspolizei wurde Jesus festgesetzt. Seine Anhängerschaft hätte sich noch zu einer Gefahr für das System auswachsen können. Da sei es doch «besser (...), ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe», wie der Hohepriester Kaiphas anmerkte. Also besser ein klares Exempel statuieren.
Man führte Jesus zu einem ersten Verhör. – Die Szene im Hintergrund, nach der Übersetzung von Fridolin Stier:
«Simon Petrus aber und ein anderer Jünger folgten Jesus. Jener Jünger war dem Hohenpriester bekannt und ging mit Jesus in den Hof des Hohenpriesters hinein. Petrus aber stand am Tor draußen. Nun ging der andere Jünger hinaus, sprach mit der Türhüterin und führte Petrus hinein. Da sagt die Magd – eben die Türhüterin – zu Petrus: ‹Gehörst nicht auch du zu den Jüngern dieses Menschen?› Sagt jener: ‹Ich nicht!›
Es standen aber die Knechte und Amtsdiener da. Die hatten sich ein Kohlenfeuer gemacht, weil es kalt war; und sie wärmten sich. Auch Petrus stand bei ihnen und wärmte sich. (...)
Sprachen sie also zu ihm: ‹Gehörst nicht auch du zu seinen Jüngern?› Der leugnete und sprach: ‹Ich nicht!› Sagt einer von den Knechten des Hohenpriesters (...): ‹Habe ich dich nicht im Garten mit ihm gesehen?› Petrus leugnete abermals. Und sogleich krähte der Hahn.»
Johannes 18, Verse 15-18 und 25-27
Kontaktschuld pur. «Du gehörst doch auch dazu! Wir haben dich gesehen!» – Entsetzen pur: «Nein, ich doch nicht!» Im gleichen Hof, in dem Petrus sich wärmen wollte und dann gestellt wurde, in unmittelbarer Nähe, gleichzeitig, wird Jesus verhört. Und Petrus redet sich um Kopf und Kragen.
Menschlich ist das nachvollziehbar. Man konnte sich denken, was sie mit Jesus vorhatten. «Alles, nur das nicht!» Reflexe der Selbsterhaltung spülen jegliche andere Vorsätze weg. «Ich will mein Leben für dich lassen», hatte es noch kurze Zeit vorher vollmundig geheissen.
Man wird ruhiger, vorsichtiger, angesichts von Repressionen im eigenen Umfeld. Das Ethos vom tapferen Bekenntnis erfährt seine erste Nagelprobe. «Wann bin ich selber dran? Welche Rückschlüsse auf meine Person werden nun abgeleitet?» Verständlich, dass Petrus die Wärme des gemeinsamen Lagerfeuers der Hitze einer eigenen Verfolgung vorzieht.
Über den Preis hat er sich in diesem Moment keine Rechenschaft gegeben. Er verleugnete ja gleich zwei Menschen: seinen Meister und dessen Ideale, für die er einmal seine berufliche Existenz drangegeben hatte, und sich selber. Als er es erkennt, fährt es ihm durch Mark und Bein: «Und er ging hinaus und weinte bitterlich», berichtet der Evangelist Lukas (Lk 22,62).
Der historische Vergleich als ein Spiegel: unserer Ideale wie unserer Schwäche. Wer sich beides auch nur halbwegs eingesteht, findet sich in Petrus wieder. Dreimal insgesamt fällt er. Ich charakterisiere diese Momente folgendermassen:
- Die Einlasskontrolle. Welche Scans wird es demnächst wo brauchen, um eintreten zu dürfen? Welche Verpflichtungen sind alles zu unterschreiben, bevor man eine Stelle antritt?
- Die einsame Kälte. Es kann wirklich kalt werden, wenn einen Freunde und Arbeitskollegen meiden, weil man «sich in kruden Theorien verstiegen» hat oder an seinem Bekenntnis zu einem nichtschillernden Gott festhält.
- Die Konfrontation. «Ihr Name fand sich aber auch auf dem Rechner des Inhaftierten!» – «Mit ihr zusammen hatten sie aber damals ...!» Und jetzt? Selbsterhaltung oder Bekenntnis?
Petrus war schwach geworden, elendig schwach. Bis zur entscheidenden letzten Begegnung mit Jesus, als ihn der Auferstandene fragte, ob er ihn lieb habe bzw. ihm Freund sei. Die Frage erging dreimal. Petrus hat verstanden. Ihm ist vergeben; er wird wiedereingesetzt. «Folge mir!» (Johannes 21,19)
Damit kehrt sich der Begriff der Kontaktschuld um. Es gilt nicht mehr: Wen sollte ich meiden? sondern: Wem bin ich bleibenden Kontakt schuldig? Nämlich meinem Gewissen und Dem, der es mir neu geprägt hat, und den entsprechenden Menschen.
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Wort zum Sonntag vom 11. Juni 2023: Habakuk und der Kirchentag
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf.
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