Jeder kennt sie, diese Appelle: «Wie lange lassen wir uns das denn noch gefallen!» und «Wir haben nicht mehr viel Zeit!» und «Wir müssen diese Regierung stoppen!», ergänzt mit der Anweisung, man müsse noch viel mehr Menschen aufklären und ihnen die Augen öffnen, mitunter verknüpft mit der Aussicht, dass die «kritische Masse» ja bald erreicht sei und immer mehr Menschen dabei seien, «aufzuwachen».
Andere geben sich zurückhaltender und meinen: «Den Leuten geht es einfach noch zu gut. Das muss erst alles noch viel schlimmer kommen, bis sie endlich aufstehen.» Der Pathos eines proklamierten Aufbruchs weicht einem resignativen Zynismus. – Geht es auch anders?
Aufrufe der ersten Art ergingen auch am Vortragsabend vom vergangenen Donnerstag in Kloten. Hochrangige Referenten zeichneten die Mechanismen in Politik, Klima-Religion und Wirtschaft auf schlüssige und authentische Weise nach. Die Zustimmung des Publikums war den Referenten gewiss und der Applaus gross.
Den anschliessenden Gesprächen nach zu urteilen, waren die Themen damit aber nicht unbedingt als blosse Selbstbestätigung abgehakt. Man wusste sich ermutigt im eigenen Stand und zu einem weiteren kritischen Weg gegenüber medial vermittelten Scheinwelten.
Und doch: Kann das alles sein? Anders gefragt: Was trägt langfristig auf dem mitunter einsamen Weg der Wahrheit und Wahrhaftigkeit?
Es sind diese Fragen, die in einem anderen Zusammenhang der alternde Paulus einem jungen Mitarbeiter zu beantworten sucht. Der Streit um Meinungen und Positionen hatte um sich gegriffen und drohte, jenen Timotheus zu überfordern. Die Unruhestifter waren namentlich bekannt, ebenso wie ihr Lebenswandel.
«Daran erinnere sie und ermahne sie inständig vor Gott, dass sie nicht um Worte streiten, was zu nichts nütze ist, als die zu verwirren, die zuhören. Bemühe dich darum, dich vor Gott zu erweisen als ein angesehener und untadeliger Arbeiter, der das Wort der Wahrheit recht vertritt. Halte dich fern von ungeistlichem losem Geschwätz; denn es führt mehr und mehr zu gottlosem Wesen, und ihr Wort frisst um sich wie der Krebs.
Unter ihnen sind Hymenäus und Philetus, die von der Wahrheit abgeirrt sind und sagen, die Auferstehung sei schon geschehen, und bringen einige vom Glauben ab. Aber der feste Grund Gottes besteht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die Seinen; und: Es lasse ab von Ungerechtigkeit, wer den Namen des Herrn nennt.» 2. Timotheus-Brief 2, Verse 14-19
Der Rat des Paulus war also, kurz gesagt:
- Bleib bei der Wahrheit.
- Erweise dich selber als rechtschaffen.
- Lass dich vom eingeschlagenen Weg nicht abbringen.
- Halte Abstand zu denen, die nur verwirren.
- Deren Lebenswandel spricht für sich und gegen sie.
- Die stehst in grösserem Dienst.
Wir stehen wieder vor dem bekannten Wechselspiel der Erkenntnis:
Wahrhaftigkeit in weltlichen Dingen verdichtet sich im biblischen Wort,
und das Bibelwort erweist seine Wahrheit in weltlichen Zusammenhängen.
Es zeigt in unserem Falle das allgemeine Hickhack der Meinungen ebenso auf wie die zeitweise Verunsicherung und Müdigkeit derer, die eigentlich einen guten Weg selbständigen Denkens beschritten hatten. Heisst also in der Breite:
- Bleib bei den Argumenten des gesunden Menschenverstandes.
- Erweise dich als jemand, der das für sich selber umsetzt.
- Lass dich nicht leichtfertig davon abbringen.
- Halte Abstand zu ideologisierten Wirrköpfen.
- Deren Lebenswandel mag kein vernünftiger Mensch übernehmen.
- Du stehst unter dem weiteren Bogen.
Die anfangs genannten Aufrufe sind schon recht. Die sozusagen säkularisierten Ratschläge eines Paulus helfen, sie umzusetzen, und sie verweisen zudem auf das nötige persönliche Fundament. Und das befreit:
- von einem selbstgemachten oder auferlegten Druck zum Erfolg, das Ruder auch ja herumreissen zu müssen und
- damit erst recht zu einem langen Atem unter dem weiten Bogen von Gottes Schutz.
«Der Herr kennt die Seinen», sagt Paulus. – «Die durchhalten, werden sich am Ende auch durchsetzen», sagt Rechtsanwalt Ralf Ludwig: verdichtete Wahrheit als Fundament und sich erweisende Wahrheit im Vollzug; das eine nicht ohne das andere.,
Die so entstehende Spannkraft bringt einen langen Atem, sichtbare Erfolge hin oder her.
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Wort zum Sonntag vom 6. August 2023: Die grössere Weisheit des Viehs
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf.
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