In gewissem Sinn haben es gläubige Menschen schwerer als andere. Denn sie gleichen das, was ihnen widerfährt, immer mit dem Maßstab dessen ab, was sein könnte oder doch sollte. Andere sagen sich da eher «Ist halt so, da kann man nichts ändern. Wir müssen da durch», zu verstehen als Achselzucken oder auch als Appell.
Die Spannung zwischen dem Jesus-Wort «Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und volle Genüge» (Johannes 10,10) und der Enge, in die wir zunehmend getrieben werden, dürfen wir nicht überspielen in nur vordergründiger Ergebenheit.
Der Zyniker tut sich da leichter. Er gibt sich nicht selten als Realisten aus und betrachtet den Glaubenden als einen hilflosen Phantasten. «Wer’s halt braucht», dem gesteht man durchaus die Krücke des Metaphysischen zu. Selber hält man sich lieber an die «Tatsachen» und schaut, wie man mit denen zurechtkommt.
Dass so eine Gegenüberstellung eher fragwürdig ist, das hat der katholische Seelsorger Peter Lippert bereits von hundert Jahren festgestellt, als er seinen Büchlein «Zweierlei Menschen» schrieb: «Stets haben sich die gläubigen Menschen für die besseren gehalten und die ungläubigen für die gescheiteren. Das war ein Irrtum auf beiden Seiten.»
Die Spannung zwischen Vorfindlich und Geglaubt besteht dennoch. Aber beschweren wir sie nicht unnötig mit jenem moralistischem Ballast. Dafür sind die Fragen zu wesentlich. Denn letztlich geht es um den eigenen Schnauf: Woher nehme ich ihn, und wie lange hält er an?
«Ist jetzt so»; auch Abraham (anfangs: Abram) und sein Neffe Lot mussten anerkennen, dass ihre Familien samt Personal immer öfter aneinander gerieten: «Das Land konnte es nicht ertragen, dass sie beieinander wohnten; denn ihre Habe war groß, und sie konnten nicht beieinander wohnen. Es war immer Zank zwischen den Hirten von Abrams Vieh und den Hirten von Lots Vieh.» (1. Mose 13,6-7)
Da mussten sie jetzt durch. Zwei Sippschaften mit großen Herden konnten nicht länger auf engem Raum gemeinsam umherziehen. Wie sollte es nun weitergehen? Das Recht des Älteren lag bei Abram, die größere Entschiedenheit war Lot zuzurechnen, und über die genaue Größe der Herden ist nichts überliefert. Rein rationale Kriterien waren offenbar nicht entscheidend.
«Da sprach Abram zu Lot: Es soll kein Zank sein zwischen mir und dir und zwischen meinen und deinen Hirten; denn wir sind Brüder. Steht dir nicht alles Land offen? Trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken.» (1.Mose 13,8-10)
Es schaut nach dem Klassiker aus: «Der Klügere gibt nach», weil er keinen Streit will, und räumt damit dem Energischeren das Feld. − Ein Abraham als alternder Schwächling, der dreitausend Jahre vor Nietzsche einen Beleg für dessen Verachtung des Gottesglaubens liefert?
Behalten wir unser Grundthema im Blick: sich «realistisch» mit etwas abfinden oder sich wundreiben an einem Ideal. Abraham geht einen dritten Weg. Wenn es nicht so plakativ klänge, würd ich ihn als den «Weg des Glaubens» bezeichnen. Er riskiert es, in einer praktischen und höchst existentiellen Frage den kürzeren zu ziehen, indem er seinem Neffen freie Wahl lässt.
Als Realist fällt die ihm nicht schwer: «Da hob Lot seine Augen auf und sah die ganze Gegend am Jordan, dass sie wasserreich war» und «erwählte sich die ganze Gegend am Jordan.» Abraham sitzt nun also auf dem Trockenen, wörtlich.
Jetzt müssen wir uns dem Rahmen dieser Geschichte nähern. Der handelt von Gott und Abraham, von ihrem innig vertrauten Umgang miteinander.
Am Anfang von der Unterredung mit Lot stand das Gebet, an ihrem Ende der weite freie Blick. Abrahams Herden hatten sich auf dem Land niedergelassen, seine Seele aber bei seinem Gott. Er rief, wo es sich nahegelegt hatte, «den Namen des HERRN an» (1.Mose 13,4), und dieser redete dann in der Not zu ihm:
«Als nun Lot sich von Abram getrennt hatte, sprach der HERR zu Abram: Hebe deine Augen auf und sieh von der Stätte aus, wo du bist, nach Norden, nach Süden, nach Osten und nach Westen. Denn all das Land, das du siehst, will ich dir geben und deinen Nachkommen ewiglich.»
Abraham sitzt also doch nicht auf dem Trockenen. Eine Gegenüberstellung von sich ducken vor der Macht der Umstände oder sich resignativ hineinschicken erweist sich als falsch. Abraham steht in dieser ganzen Geschichte von Kapitel 13 in einer Souveränität da, die ihresgleichen sucht.
Findet sie auch ihresgleichen? Gut möglich. Das wären dann Menschen, die es ähnlich halten wie er:
- Sie wissen sich in einen unmittelbaren Bund gestellt mit dem Lebendigen Gott.
- Sie pflegen diesen Bund in beharrlichem Gebet.
- Die Stärke, die sie daraus empfangen, macht sie realistisch gegenüber den Umständen und gnädig gegen ihre Nächsten.
- Sie werden darum, auch wenn sie bedrängt werden, nicht zu den Getriebenen, sondern nehmen einen Handlungsspielraum wahr.
- Wenn der Kurzsichtige unter die Räder kommt, haben sie den selbstverständlichen Großmut, ihm beizustehen; siehe 1. Mose 14,13-20.
Der Jesuitenpater Alfred Delp sah sich und sein Volk Ende 1943 in schwerer Bedrängnis. In seiner Predigt bekannte er damals den Realismus des Glaubens:
«Da legt Gott eine große Frage und eine große Last auf Menschen, denen er vorher eine größere Botschaft und eine größere Kraft gegeben hat.» (zitiert nach: Männer des Glaubens im deutschen Widerstand, Seite 51)
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Wort zum Sonntag vom 9. Juni 2024: Fuß fassen im Frieden
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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