So wenig Abstand liegt mitunter zwischen den Jahrtausenden, und so sehr gleichen sich oft die Geisteshaltungen.
Zwar seien «viele Massnahmen zur Eindämmung der Krankheit (...) fürchterlich überzogen gewesen», wird der deutsche Landesbischof Friedrich Kramer zitiert. «Aber heute sei der Erkenntnisstand ein anderer als zu Beginn der Pandemie», erklärte er in der vergangenen Woche an einer Tagung in Erfurt. Zudem habe es neben einem «Totalversagen» doch auch «schöne Momente» gegeben.
Das hatte sich Ende Dezember 2020 noch anders angehört. Kramer halte «die Härte der Corona-Maßnahmen für angemessen», schrieb die Berliner Zeitung. Der Bischof wörtlich: «Jedem, der ein Herz hat, dem leuchtet das ein.» Ein schönes Glockengeläut musste in jenem Jahr ausreichen, um österliche Gefühle aufkommen zu lassen, betonte er im März 2020. Die Kirchen selber blieben auch in Mitteldeutschland geschlossen.
Tausendachthundert Jahre vorher hat ein anderer Bischof, Cyprian von Karthago, auf eine solche Zeit der Bedrängnis zurückgeschaut. Um der Solidarität mit Reich und Gesellschaft willen zwang Kaiser Decius im Jahr 251 alle Bewohner des Römischen Reiches dazu, öffentlich den Göttern zu opfern. Und derartige «Regeln dürfen nie hinterfragt werden; das sollten wir einfach so tun», würde sich das später einmal aus nicht minder herrschaftlicher Pose anhören.
Nicht jeder seiner Mitchristen und nicht jeder Priester oder Bischof hatte sich damals bewährt und die Versuchung von sich gewiesen:
«Vor der Schlacht schon besiegt, ohne Kampf schon niedergestreckt, retteten viele für sich nicht einmal den Schein, als ob sie nur widerwillig den Götzen geopfert hätten. Nein, aus freien Stücken liefen sie auf das Forum [zur Opferstätte], freiwillig eilten sie ihrem geistlichen Tode entgegen. (...)
Wie kann ein solcher Mensch [höhere] Gewalt vorschützen, um damit sein Vergehen zu rechtfertigen, da er vielmehr selbst Gewalt angewandt hat, um sein Verderben herbeizuführen?»Cyprian in seiner wohl berühmtesten Schrift «De Lapsis» aus dem Jahr 251, zitiert nach Ronny Kamrath: «Cyprian von Karthago. Bischof und Kirchenvater», Seite 131.
Kramer war da nur einer von vielen, von viel zu vielen. Auch er verweist auf Pfarrer, die sich zu Hochzeiten des C-Wahns gewisse Freiheiten zugunsten der Gläubigen herausgenommen hatten – Feigenblätter von heute für das Versagen von damals. «Eine Corona-Untergrundkirche mit illegalen Zutritten zu Altenheimen muss jetzt herhalten für das Totalversagen des satt finanzierten Klerus», urteilte unlängst Peter Hahne in seinem Beitrag «Der Heiligenschein der Scheinheiligen».
Wie wenig sich doch die Zeiten ändern. Das bedeutet gleichzeitig: Es gibt zu lernen von den Vorfahren. Denn «unsere geschichtlichen Veränderungen [werden] durch eine geistige Beziehung zwischen zwei Menschen, zwei Generationen, zwei Zeiten bewirkt», schreibt Eugen Rosenstock-Huessy («Des Christen Zukunft», Seite 263).
Lernen von schweren Zeiten in Karthago: hinschauen auf Zweifel, Versagen, aber auch Sieg der damaligen Christen. Rein äusserlich war es um gar nicht soviel gegangen. «Glauben» durften sie weiterhin. Es ging «nur» darum, «die Priorität der römischen Religion» nicht zu verleugnen. Solange der Gehorsam gegen die Obrigkeit steht und sichtbar zelebriert wird, konnte man auch damals «glauben», was man will. Oder wie mir ein Kollege im April 2020 naiv-freimütig bekannte: «Ostern findet ja trotzdem statt.»
Warum nun geht ein Cyprian so hart ins Gericht gerade auch mit den Leitern, die allzu offenkundig mitgespielt hatten? Lassen wir ihn wiederum selbst zu Wort kommen:
«Du selbst bist ja als Schlachtopfer, du selbst bist als Opfertier an den Altar gekommen; geopfert hast du hier dein Heil, deine Hoffnung; deinen Glauben hast du hier in den unheilvollen Flammen verbrannt. (...) Und damit ja nichts fehle, um das Maß des Frevels voll zu machen, wurden sogar die Kinder von den Eltern auf den Armen herbeigetragen oder herangeschleppt.» (nach Kamrath, Seite 131)
An jener Tagung in Erfurt nahm auch Rochus Leonhardt teil, Theologieprofessor aus Leipzig. Er kritisierte dort «die fast schon sakrale Verklärung der Impfung während der Pandemie». Anfang letzten Jahres war er noch deutlicher geworden und hatte seinen Finger tief in die Wunde gelegt.
Die «Spendung des ‹Impfsakraments›», schrieb er, sei «der Vollzug desjenigen Initiationsritus, der die Bekehrung zur heilbringenden Mehrheitsmeinung signalisiert und ins gelobte Land zu führen verspricht».
All das war nur möglich, weil sich über die Jahrhunderte in Kirche und Theologie ein unseliger Untertanen-Geist breitgemacht hatte. Was «von oben kommt», wird kaum je hinterfragt, auf «Teufel, komm ’raus» nicht. Manchmal kommt er dann tatsächlich ’raus.
Cyprian mahnt nicht von ungefähr:
«Wir möchten also nicht, geliebteste Brüder, dass sich Mietlinge finden, sondern gute Hirten!»
(nach Kamrath, Seite 120)
Aber schon damals versuchte man, Abkürzungen zu nehmen. Cyprian lässt sie nicht gelten:
«Im Widerspruch mit (...) dem Evangelium wird von einigen voll Leichtfertigkeit den Unvorsichtigen wieder ohne weiteres die Gemeinschaft gewährt, ein ungültiger und falscher Friede, gefährlich für den Spender und ohne Nutzen für die Empfänger.
(...), die Buße ist aus ihrem Herzen gebannt, die Erinnerung an die so schwere und schreckliche Sünde getilgt. Verdeckt werden die Wunden der Sterbenden, und den tödlichen Stoss, der tief im Innersten sitzt, verhüllt man, indem man das Leiden verborgen hält.»
(nach Kamrath, Seite 136)
Wem die Spritze ein Akt der «Nächstenliebe» und die staatlich verordnete Ausgrenzung Andersdenkender eine «lebensrettende Maßnahme» war – der möge wieder einmal Cyprian lesen: «De Lapsis» – «Von den Abgefallenen».
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Wort zum Sonntag vom 16. Juli 2023: Entscheidungszeit im alten Rom
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf.
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