Sie haben sich «das Maul zerrissen» müsste es eigentlich heißen. Die gängige Übersetzung von «sie murrten alle» ist zu schwach. Und bei einem, der «völlig daneben liegt», kann man nicht auch noch einkehren wollen!
So herum mag einem die alte Geschichte von Jesus und dem Oberzöllner Zachäus schon ein wenig plastischer erscheinen. Sie sei kurz umrissen:
Nach rund zwei Jahren Wanderpredigertum erregt Jesus im ganzen Land immer mehr Aufsehen. Freunde wie Gegner positionieren sich, und das schon, bevor er wieder in eine Ortschaft kommt und ein weiterer «Auftritt» absehbar ist. Das war beim Einzug ins alte Jericho nicht anders.
Laternenpfähle gab es noch keine, wohl aber Bäume, auf die man steigen konnte, um zumindest einen Blick auf die «umstrittene» Figur werfen zu können. Das tat der kleinwüchsige Zachäus, bekannt als zwielichtige Persönlichkeit. Rechtzeitig sicherte er sich seinen Aussichtspunkt ganz am Anfang von der Route, die Jesus wohl nehmen würde.
Und Er kam, sah und rief ihn. Er solle herabsteigen, weil er heute Besuch hat. Alle übrigen Leuten am Wegesrand kommen in der Erzählung ebensowenig vor wie die vielleicht ursprünglichen Pläne des Predigers und seiner Schar. Sondern er lässt sich von eben dem da zum Abendessen einladen.
Tischgemeinschaft mit einem Zöllner! Das waren die, die mit den Römern zusammenarbeiteten, die von ihnen in Pacht- und Unterpachtverträgen die Genehmigung erhielten, auf alle möglichen Waren Zuschläge zu erheben. Wieviel genau, das war nur vage bestimmt; Hauptsache, der Verpächter erhielt sein Geld. Was darüber hinausging, da war brutto gleich netto.
Die Juden selber kannten keine Zölle. Das führten erst die Besatzer ein. Deren Geruch übertrug sich eins zu eins auf die Kollaborateure, die nun die eigenen Landsleute ausnahmen. Ein halbwegs frommer Jude nannte darum diese Berufsgruppe in einem Atemzug mit den Huren.
Diese Halbfrommen aber interessierten Jesus nicht. Vor aller Augen lässt er sich demonstrativ vom Oberzöllner der Region einladen. Als die Umstehenden das sahen, «zerrissen sie sich das Maul und sagten: Bei einem, der völlig daneben liegt, kehrt er ein!» − Im Luther-Deutsch: bei einem «Sünder». Der Begriff stammt vom Speerwerfen und meint einen, der «das Ziel verfehlt» hat.
Jesus lenkt ihn ins Ziel, in die Gemeinschaft mit ihm. Vor dessen allgemeinem Ruf hat er ebensowenig Respekt wie vor dem Naserümpfen der Geistlichkeiten und anderer Gutmeinenden, also vor dem Vorwurf einer Kontaktschuld. «Ist das am Ende auch so einer? Wissen wir jetzt endlich, mit welcher Klientel wir es auch bei ihm zu tun haben!» Nichts davon, niente.
Vor drei Jahren wurde ich von der Polizei zu einem «Gespräch» eingeladen. Es ging um eine kurzfristig verbotene Demonstration im deutschen Freiburg, bei der ich mich nicht von der Schar entfernt, sondern im Gegenteil versucht hatte, zu ihr zu sprechen. «Aber da waren ja auch Reichsbürger dabei», versuchte mich der Beamte zu konfrontieren.
Ich musste spontan lachen. «Keine Ahnung, davon weiß ich nichts. Aber wenn ich es gewusst hätte, wäre ich vielleicht erst recht hingegangen. Denn wenn man die allein lässt, dann verhärten sich ihre Ansichten, und sie werden aggressiv, und dann habt ihr sie dort, wo ihr als Polizei sie haben wollt.» − «Das kann man auch anders sehen.» − Möglich, aber nicht als Seelsorger.
Rundherum, so scheint mir, wird nur noch «das Maul zerrissen»: über Leute mit den «falschen» Ansichten, mit «schrägen» Freunden, mit «umstrittenen» Kontakten». Was dabei verloren geht, das ist der Blick auf den Menschen: den suchenden, den fragenden, den da und dort nicht ganz koscheren.
Vielleicht ist es wieder Zeit für konstruktive Provokationen. − Wie jene Geschichte ausgegangen ist, wäre hier nachzulesen.
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Wort zum Sonntag vom 4. Januar 2025: Perspektive in trüben Zeiten
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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