«Es ist nicht so, als ob die ganze Zeit des Widerstandes für uns nur Schrecken gewesen wäre. Das war es nicht, sondern es war ein Leben mit Sinn, und so haben wir es empfunden.»
Diese Worte der damals etwa 80jährigen Gräfin Freya von Moltke stelle ich an den Anfang dieses Wortes zum Sonntag. Das Interview mit ihr findet sich in dem Sammelband «Mit dem Mut des Herzens. Die Frauen des 20. Juli». Freyas Mann, Helmuth James Graf von Moltke von dem schlesischen Gut Kreisau, war noch im Januar 1945 wegen seines Widerstandes gegen das NS-Regime hingerichtet worden.
Jedoch:
«Wir selbst haben das Wort Widerstand überhaupt nicht benutzt, sondern uns als Gegner des Nazi-Regimes empfunden. Wir haben uns überhaupt nicht benannt, sondern wir haben etwas getan.» (Seiten 140 und 139)
Und: «Nicht, daß ich denke, dasselbe würde sich noch einmal ereignen, so ist es nicht in der Geschichte. Aber jede Generation muß immer wieder große Fragen angehen und muß einstehen für das, was sie tut. (…) Man muß viel mehr ins Menschliche gehen, wenn man die Geschichte befragt.» (Seite 147)
Ja, es braucht diesen großen menschlichen Bogen, wenn wir uns mit heutigen Widerwärtigkeiten auseinandersetzen: den Bogen von Sinn und Freimut, von Gelassenheit und Klarheit. Vielleicht reicht schon eine erste Ahnung davon, um beispielsweise widerwärtige ungebetene Besuche frühmorgens zu überstehen, ja gestärkt aus ihnen hervorzugehen.
Wie weit sind wir gekommen, wenn ein sinkendes Unrechtsbewußtseins offenbar direkt korreliert mit der Loyalität zum Staat, wie der Strafverteidiger Dubravko Mandic in einem Video konstatiert? Umso nötiger sei es darum, sich auf verschiedene Formen der Repression einzustellen; «weil Widerstand etwas ist, das man üben muß − in der Diktatur genauso wie in der Demokratie», meint Freya von Moltke (Seite 139).
Entsprechend will auch Rechtsanwalt Mandic nicht Angst machen, sondern zu einem freien Realismus anstiften mit Ratschlägen wie:
- die Rechtswidrigkeit einer Hausdurchsuchung auf Verdacht hin bekunden,
- die Absicht vom Beweisesammeln als pure Repression benennen,
- nicht blauäugig mit den Beamten kooperieren wollen,
- sich Versuche beschwichtigender Freundlichkeit verklemmen,
- vor dem Türöffnen manches rasch noch beiseite schaffen,
- jegliche Aussage verweigern und nichts unterschreiben.
Wer sich zum Wohle des größeren Ganzen den Mund nicht verbieten lassen will, nicht verbieten lassen kann, der schaut den Dingen ins Gesicht und versucht sich seine eigene Freiheit so weit wie möglich abzusichern, statt sie sich zunehmend beschneiden zu lassen.
Welche Rolle spielt darin der Glaube, der christliche? Nach Freya von Moltkes Erkenntnis aus schwerer Zeit ist «das Christentum viel stärker als die Kirchen, die es heute repräsentieren, und das war die eigentliche Erkenntnis der Kreisauer. In schwerer Zeit wurde ihnen bewußt, welch revolutionäre Glaubens- und Lebenskraft in der Lehre dieses Mannes aus Palästina auch heute noch steckt. Ja, das möchte ich so stehen lassen.» (Seite 146)
Ich noch nicht. Ich möchte auf zwei konkrete Worte jener Kraft verweisen, die so manche Beklommenheit aus Geist und Gemüt herauszubürsten vermögen, als da wären:
«Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.»
Jesus in seiner Bergpredigt (Matthäus 5, Vers 6)
Und:
«HERR, zeige mir, wie ich leben soll,
und führe mich den Weg, der richtig ist,
denn meine Feinde warten nur darauf, dass ich falle.
Gib mich nicht in ihre Hände,
denn sie beschuldigen mich vieler Dinge, die ich nicht getan habe,
und werden mir Grausames antun.
Doch ich vertraue fest darauf, dass ich noch sehen werde,
wie gut Gott ist, solange ich lebe.
Vertraue auf den HERRN!
Sei mutig und tapfer und hoffe geduldig auf den HERRN!»
Psalm 27,11-14
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Ein Wort zum Jahreswechsel: Wem sei das neue Jahr zugedacht?
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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