Fast möchte man auf neudeutsch sagen: «Corona reloaded, Spritze welcome back»: «Bist du dafür oder dagegen? Hoffentlich dafür, denn die Sache ist doch eindeutig.» Ist sie das? «Ja, du wirst es doch nicht besser wissen wollen als die Fachleute?» Hmmmm ... Fachleute sind im besseren Fall Leute von ihrem Fach. Aber da gibt es viele Fächer.
Dieser Dialog liesse sich endlos weiterführen, vor kurzem noch über C wie Corona, dann über U wie Ukraine und jetzt über I wie Israel. Doch CUI bono? Wem nützt das Ganze? «Was bringt’s?»
Spaltung bringt’s. Und nützen tut es einmal mehr denen, die dank einem selbstbeschäftigten Volk ihre Macht ausbauen und ihre Geschäfte vertiefen, also ihre sprichwörtlich gewordene Agenda vorantreiben.
Es ist unmöglich und auch nicht annähernd meine Absicht, an dieser Stelle den Nahost-Konflikt aufzudröseln nach historischen, politischen, wirtschaftlichen oder religiösen Aspekten und Präferenzen. Sondern ich will, ausgehend von ihnen, auf die Gefahren hinweisen, die damit für unser eigenes Miteinander verbunden sind.
Die eine kommt von aussen durch Desinformation. Über die angeblich getöteten Babys muß man keine weiteren Worte verlieren; das waren ohnehin schon zu viele. Heikler, in gewissem Sinne aber ähnlich eindeutig, wird es bei der wundersamen «Grenzöffnung» von seiten Israels. Vier von fünf Israelis gäben dafür inzwischen Premierminister Netanjahu die Schuld. Unter Christen im Westen hingegen spielt der Reflex von Opfer und Verteidigungskampf, der Israel nun abverlangt werde.
Damit sind wir mitten drin in dem Problem, in unserm eigenen Problem: Lassen wir uns auch dieses Mal wieder in unwillkürliche Festlegungen drängen? Falls ja, falls sie durchbrechen, weil sie einem gleichsam im Blut liegen: Gestehen wir ihnen den Charakter von Wahrheit zu oder den einer ersten spontanen Reaktion? C und U könnten uns gelehrt haben, daß vieles anders ist als es zunächst erscheint, als es einem verkauft wird und als man es bislang selber angeschaut hat. Diese Rückfragen unter I nicht zu stellen, hiesse, der zweiten Gefahr zu erliegen: einer Abwehr und Selbstgerechtigkeit von innen.
Ich kenne die ebenso vehementen wie unfruchtbaren Gespräche zum C-Thema zur Genüge. Was hatte sie oft so vehement wie fruchtlos gemacht? Für die Kritischen vor allem der Eindruck, man rede hier nicht mehr mit einem vernünftigen Menschen, sondern mit einem mentalen Repetenten von nur Gehörtem und Eingebläuten. Für die «Gläubigen» war es wohl ein Entsetzen darüber, dass «Vater Staat» ein absichtsvolles böses Handeln unterstellt wird. «Die können doch nicht ....»
Konsternierung also auf beiden Seiten: über eine Weigerung, Fakten wahrzunehmen, bei den einen; über ein «abgehobenes Welt- und Menschenbild» bei den anderen.
Heute dasselbe in grün beziehungsweise weiss-hellblau: Den einen darf (der Staat) Israel als das Volk Gottes fast nicht kritisiert werden, zuallerletzt in seinem derzeitigen Abwehrkampf; den anderen und kritischeren gruselt es ob soviel Polit-Gehorsam in neuem Gewand.
Meinung gegen Meinung oder Fakten gegen Fakten? Und die andere Frage, die sich daraus ergibt: Welchen Stellenwert hat dieses Thema, und was bedeutet die «Position» des anderen für das Miteinander? Können wir’s trotzdem und darüberhinaus miteinander oder geht die Konsternierung über die «schräge» Haltung des anderen in gemeinsames Schweigen über, wo man nur noch den Abstand miteinander teilt?
«Schlag nach bei Paulus.» Ja, das ist mitunter hilfreich. Dort finde ich zweierlei Bewertungen von Verschiedenheiten. Zum einen das
«Streitet nicht über Meinungen»
in Römer 14,1 und zum anderen aus 1. Korinther 11,19:
«Denn es müssen ja Spaltungen unter euch sein, auf dass die unter euch offenbar werden, die bewährt sind.»
Doch was ist nun Meinungsstreit, den es zu vermeiden gilt, und was ist Spaltung im Sinne einer guten Sichtung? Als blosse Meinung nennt Paulus Dinge, die den einen üblich und vertraut sind, den anderen aber nicht, wie zum Beispiel bestimmte Essensregeln und -gebote. Der eine denkt sich hier und da etwas dabei, der andere nicht. «Es gibt wirklich Wichtigeres», signalisiert der Apostel, als dass einer dem anderen seine Gewohnheit infragestellt oder aufdrängt.
Die Spaltungen in jenem Abschnitt des 1. Korintherbriefs entzündeten sich an anderem. Hier ging es um die Frage, ob das barsche und selbstherrliche Auftreten von einzelnen oder Gruppen andere Menschen aus der Gemeinde an den Rand drängt und missachtet. Grundregeln des Miteinander standen auf dem Spiel. Die «Bewährten» halten sie ein.
Meinungen sind zu diskutieren, aber eine Einigung ist nicht nötig. Ein rücksichtsvolles Miteinander hingegen ist indiskutabel, dem Abwägen entzogen. Der eine mag weiterdenken, der andere mag es nicht. Diese Bereitschaft ist «Meinung». Rigoristischen Besserwissern ihre Grenzen aufzeigen führt mitunter zu einer guten Sichtung.
Jeder Mensch sucht eine unklare Situation, eine offene Frage, irgendwie in eine lebbare gedankliche Ordnung zu überführen. Eine Mehrheit wohl greift dafür auf Gelerntes und Bekanntes zurück. Das Neue wird dann irgendwie passend gemacht:
- Impfungen hat es schon immer gegeben. Warum soll die jetzt so schlecht sein?
- Unsere Regierung macht nicht alles richtig. Aber schaden wollen sie auf keinen Fall.
- Wenn die Russen angreifen, dürfen sich die anderen doch wehren, oder nicht?
- Das Volk Gottes ist in Gefahr. Ich muss mich als Christ auf dessen Seite stellen.
- Wer so lange selber unterdrückt hat, der hat irgendwann mit Gegenwind zu rechnen.
Meinungen, aufgebaut auf mitgebrachten Üblichkeiten und Wertungen.
Anderen reicht das nicht. Sie sehen weitere Aspekte, die doch unbedingt zur Sache dazugehören. Sie stellen die schlüssigsten davon nebeneinander, vergleichen sie und lassen sie zu einem mehrschichtigen Bild zusammenfinden.
Meinungen, aufgebaut auf eruierten Informationen.
Die Frage ist nun: Führen, verführen sie zu einem barschen und selbstherrlichen Auftreten und drängen damit andere an den Rand, verachten sie? Stehen jetzt Grundregeln des Miteinander auf dem Spiel oder erweisen sich die «Bewährten» gerade dadurch, dass sie die Person des anderen höher schätzen als dessen «unreflektierte Ansichten»?
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Wort zum Sonntag vom 8. Oktober 2023: Ist der Glaubende im Notfall passiv?
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf.
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