Irgendwie ist es Zeit, aufzuräumen und den Blick frei zu bekommen. Mitgebrachtes Halbwissen und alte Reflexe dienen selten dem Leben und der Wahrheit. Dazu gehört die Meinung, dass biblischer Glauben etwas Unvernünftiges sei, das der rational denkende Mensch verachten muss. Meines Erachtens findet gerade eine krasse Umkehrung statt: Logisches Denken wird abgeschafft, aber der christliche Glauben klärt das Denken.
Ein Beispiel ist diese Aufforderung aus dem Neuen Testament, aus dem Philipperbrief:
«Im übrigen, ihr Brüder, alles, was wahrhaftig, was ehrbar, was gerecht, was rein, was liebenswert, was wohllautend, was irgendeine Tugend oder etwas Lobenswertes ist, darauf seid bedacht!» Philipper 4,8
Früher mögen diese Zeilen nur als Ausdruck bürgerlicher Sittsamkeit gegolten haben, als der kirchliche Überbau einer guten Gesellschaft, wohlanständig bis zum Ersticken. Heute sind sie − je länger, desto mehr − ein Affront gegen den Zeitgeist.
Damit meine ich gar nicht ’mal die Einzeltugenden, die hier wie Puzzleteile des aufrechten Menschen aneinandergereiht werden. Ich meine das Menschenbild selber. Paulus setzt urteilsfähige wie urteilswillige einzelne voraus, die einander helfen beim Filtern dessen, was dem Leben dient und was es hindert und zerstört.
«Seid darauf bedacht», mahnt er. Man kann auch übersetzen «das bedenkt» (Adolf Schlatter), «erwägt» (Elberfelder Übersetzung). Das griechische Verb «logizesthai» meint auch «urteilen, beherzigen, berücksichtigen» oder «einen Schluss draus ziehen». Der gottgebundene Mensch setzt seinen Verstand ein und merkt, was ihm zum Guten dient oder ihn vom Weg abbringt.
Alles nicht selbstverständlich; je länger, desto weniger. Irrationalitäten greifen um sich, bewusst und absichtsvoll propagierte. Der Jurist Matthias Weidner beschreibt diesen Weg in dankenswerten Klarheit. Der Ausschnitt aus einem längeren Vortrag setzt bei einem übergeordeten Ziel der Herrschenden ein, der Anpassung des einzelnen:
«Damit ich die Anpassung überhaupt erzielen kann, brauche ich die volle Kontrolle der Medien. Auf englisch heißt das ‹cancel culture›, also ‹die Kultur killen›. Das heißt, sie erschaffen eine vorgeformte falsche Natur und Kultur, die die Normalen als die Kranken darstellen. Das wird alles auf den Kopf gedreht. Als Produkt des Ganzen kommt dann die Verzweiflung als der nächste psychologische Schritt. Die Verzweiflung ist dann die Unlogik.
Also, alle wissen, es ist unlogisch, die Propaganda zerstört das logische Denkvermögen. Der Ausweg dazu − und da sind wir heute −, der Ausweg ist dann die Annahme der Unlogik, um zur Gesellschaft dazuzugehören. Dann sind wir in der Massenformationspsychose gelandet. Da sind wir heute.»
Der Liechtensteiner Philosophie-Dozent Prof. Daniel von Wachter verwies kürzlich auf die geistesgeschichtlichen Hintergründe moderner Sexualerziehung. Laut dem Marxisten György Lukács sei «die revolutionäre Zerstörung der Gesellschaft … die eine und einzige Lösung für die kulturellen Widersprüche unserer Epoche». Und «solch ein weltweiter Umsturz von gesellschaftlichen Werten kann nicht geschehen, ohne dass die alten Werte vernichtet und neue von den Revolutionären geschaffen werden». Von Wachter bezeichnet das als «kulturellen Terrorismus».
Der wiederum führt in Angst, Orientierungslosigkeit − und einen blinden Gehorsam als Krücke gegen das totale Erliegen. In der «festgefügten Körperschaft des Kollektivs» erwacht dieser Mensch dann «zu einem neuen Leben» und bezieht aus ihr «einen Zuwachs an Stolz, Vertrauen und Lebenssinn», folgert der amerikanische Denker Eric Hoffer in seinem Büchlein «Der Fanatiker. Eine Pathologie des Parteigängers» (Seite 18).
Der Preis dafür ist er selbst. «In jedem Akt, auch dem kleinsten, muß sich das Einzelwesen in einem Ritual irgendeiner Art mit der Gemeinde, dem Stamm, der Partei usw. verbinden» (Hoffer, Seiten 54f). Oder wie es in einer Analyse von Rtdeutsch neulich hieß: «Meinungsfreiheit ist für ihn [sc. den gleichgeschaltete Deutschen] und seine Regierung dann verwirklicht, wenn alle öffentlich die gleiche Meinung äußern.»
Von Logik keine Spur mehr. Die verflüssigte Persönlichkeit sucht neue Gestalt in den offerierten Matrizen eines normierten Wohlverhaltens. Weil aber im Hintergrund die Verzweiflung droht, die «Erscheinungsform des Todes auf der Ebene des Denkens» (Eugen Rosenstock), erfasst den Menschen eine permanente Unruhe. «Wenn wir so vor uns selbst weglaufen, fallen wir entweder unserm Nächsten zur Last oder springen ihm an die Kehle» (Hoffer, Seite 19).
Als Beispiele aus der Gegenwart kann man summarisch auf den irrationalen Wahn eines «Follow the Science» oder auch nur der jeweils aktuellen Verordung verweisen, auf die unbelegten Warnungen vor der «Gefahr aus dem Osten», auf die hysterische Angst vor allem, was die veröffentlichte und internalisierte Meinung bedroht, materialisiert zu einem «Gespenst von rechts».
Hoffer umreißt aber auch das Remedium gegen eine solche Vermassung, nämlich «jede Einrichtung, die dem übertriebenen Individualismus entgegenarbeitet, Selbstvergessen begünstigt oder Bestätigung und einen neuen Anfang verspricht» (Seite 24).
Verspricht und im besseren Fall auch bietet. Von so einem Ruck ins Neue, Offene schreibt Paulus im Epheserbrief:
«Darum heißt es: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten. So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse.» Epheser 5,14f; Ratio gegen Irratio.
Soviel antizyklisch wie heute war selten vonnöten. Aber es wäre nicht verlangt, wenn es nicht vorher schon angeboten wäre − in Christus, also ohne einem Leben «nach der Art dieser Welt, unter dem Mächtigen, der in der Luft herrscht, nämlich dem Geist, der zu dieser Zeit am Werk ist» (Epheser 2,2). Keiner mehr, der die Menschen und ihre Kultur mit Füßen tritt.
Positiv formuliert: «Alles, was wahrhaftig, was ehrbar, was gerecht, was rein, was liebenswert, was wohllautend, was irgendeine Tugend oder etwas Lobenswertes ist, darauf seid bedacht» − als vernünftige Menschen, die ihre Identität und Kraft nicht aus der Masse beziehen, sondern von dem Einen Auferstandenen.
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Wort zum Sonntag vom 16. Juni 2024: Eine Trennung im Segen
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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