Wenn ich auf meine bescheidene Lebenszeit von 53 Jahren blicke, dann habe ich spätestens seit dem 11. September 2001 das Gefühl, dass sich unsere Welt dauerhaft in einem Zustand der Krise befindet. Vorher hielt uns der Kalte Krieg in ständiger Angst, und seit 2001 sind wir mit Terrorismus, dem Bankencrash, Corona, der Klimakrise bis zum Krieg in der Ukraine und der damit verbundenen Inflation niemals aus dem Panikmodus herausgekommen.
Auch ich habe mich immer wieder durch die Medien in einer Angstspirale einfangen lassen. Aber betraf mich jede Krise persönlich? Der IS war weit weg, und den Hindukusch, an dem wir «unsere Freiheit verteidigten», hätten die meisten Menschen hierzulande ohne Google Maps schwerlich auf einer Landkarte finden können. Corona wurde derartig aufgebaut, dass den meisten Menschen nicht auffiel, dass Malaria immer noch eine weitaus grössere Geissel für die Menschheit darstellt. Nur eben nicht hier in Europa.
Und so kamen zwei Dinge zusammen: die Überfrachtung durch die Medien – «bad news sells» – und die persönliche Lust am Untergang, der immer wieder beschworen wurde. Medial begleitet, haben wir alle diese Krisen nicht nur als gesellschaftliche, sondern als persönliche Lebenskrisen, als existenzielle Bedrohung empfunden.
Wie aber finde ich den Weg durch die Krisenerfahrungen, und wie kann ich als Christ darauf reagieren? Mein erster Schritt ist, zu unterscheiden.
Es gibt Krisen, welche uns als unabwendbar entgegentreten, zumindest aus persönlicher Sicht. Ein Beispiel wäre der Klimawandel. Es wird wärmer, und der Mensch mag vielleicht einen Anteil daran haben. Aber selbst wenn der gesamte Westen kein CO2 mehr freisetzte, wenn wir unsere Industrie abbauten, wenn wir von heute auf morgen kein Auto mehr bewegten und wir keine Landwirtschaft mehr betrieben, dann hätte das auf die klimatischen Veränderungen keine Auswirkung.
Alles Öl, das wir nicht zu Plastik verarbeiten, das wir nicht als Benzin in unsere Fahrzeuge kippen, verbleibt deswegen ja nicht in der Erde. Gefördert und verkauft wird es dennoch. Nur sind es dann eben nicht mehr wir, die es nutzen. Und wenn wir keine Kohle mehr verstromen, bauen die Ingenieure in China zehn neue Kohlekraftwerke.
Es bleibt ein Gefühl der untätigen Hilflosigkeit. Zudem scheint die Entscheidungsträger in dieser Welt vor allem die eine Frage umzutreiben: Wie kann ich Macht ausüben und so mein Ego verwirklichen?
Dann gibt es solche Krisen, die wir selbst verursachen oder in unserem Lebensbereich verändern können. Streit in der Familie, Mobbing im Betrieb oder in der Schule, Verlust des Arbeitsplatzes, fremdgehen etc. Es gibt Krisen, die eine ganze Gesellschaft betreffen, und solche, die mich als Individuum und nur mich angehen.
Wie aber reagieren wir auf Krisen? Als Christinnen und Christen? – Ein Blick in die Bibel lohnt sich immer. Aber hier lohnt er sich besonders, denn schon vor mir haben Menschen Auswege aus Krisen gefunden.
«In höchster Not wandte ich mich an den Herrn.
Er antwortete mir, als ich zu ihm rief:
Herr rette mein Leben vor denen, die Lügen auf ihren Lippen tragen,
die Betrug mit ihrer Zunge begehen!»
Psalm 120, Verse 1f
So beginnt der 120. Psalm. Ein Mensch in höchster Not, in einer existentiellen Krise, wendet sich an Gott. Immer und immer wieder finden wir solche Äusserungen in den Psalmen. Immer wieder geht es um die Bitte um Stärkung oder um Rettung. Und immer wieder wird Gott als derjenige bekannt, der die Fäden in der Hand hält, der Herr ist über die Welt.
Oder denken wir an Jesus im Garten Gethsemane, erzählt beispielsweise in Markus 14. Er hätte sagen können: «Ach nein, ans Kreuz geschlagen werden ist wirklich keine gute Idee. Ich gehe nach – sagen wir: Indien und verbringe dort in Ruhe meinen Lebensabend.» Und ja, er hatte Angst und betete:
„Wenn es möglich ist, dann lass diesen Kelch an mir vorübergehen»; Matthäus 26,39. Aber er fährt fort mit den Worten: «Nicht mein, sondern dein Wille geschehe»; Lukas 22,42.
Jesus begibt sich ganz und gar in Gottes Hand. Dieses tiefe Vertrauen können wir uns bei ihm abschauen.
Wie wird das in deinem, in meinem Leben konkret? Es kann durchaus heissen, in einer krisenhaften Situation einiges selbst in die Hand zu nehmen: eine Umschulung, einen neuen Job, ein Gespräch inklusive Mediation mit Kollegen? Oder ist eine Umarmung dran, das Kandidieren für ein politisches Amt oder die Unterstützung einer gemeinnützigen Organisation?
Für mich ist der erste Schritt ein Gebet, also für Gott Raum schaffen auf dem Weg. Es gibt mir die Möglichkeit, nicht nur meine kleine Welt, sondern auch das grössere Ganze zu sehen.
Aber gerade wenn ich von diesem Ganzen nicht alles beeinflussen kann – keinen Krieg, keine unheilbare Krankheit, keinen Klimawandel –, dann brauche ich Kraft zum Durchhalten und keinen blinden Aktionismus. Im Gebet kann ich sagen: «Herr, wir haben hier ein Problem. Da ist zum Beispiel dieser Krieg, da ist diese Klimaangst; was können wir tun? Welches sind vielleicht meine ganz kleinen konkreten Schritte? Mein Gott, wo kann ich hilfreich sein?»
Oder soll ich vielleicht einfach mal ganz beiseite treten, meinen Mund halten und Gott die Fäden in die Hand nehmen lassen? Etwas, das uns Menschen wohl am schwersten fällt. Eines sollte uns in jedem Fall klar sein: Nicht die Medien bringen das Heil; kein Wirtschaftsminister, keine Impfung und keine Wärmepumpe. Nur wenn Lösungen gut durchdacht sind, dann können sie Erleichterungen bringen.
Je mehr wir Gott in unserem Leben Raum geben, desto weniger werden wir Gefahr laufen, an Krisen zu zerbrechen. Das mag den Mächtigen ein Ärgernis sein, aber auf diesem Weg werden jene Kräfte frei, die diese Welt tatsächlich zu einem besseren Ort machen.
Der Friede Gottes ist nun einmal höher als unsere menschliche Vernunft (nach Philipper 4).
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Wort zum Sonntag vom 13. August 2023: Das gute Wechselspiel der Erkenntnis
Edgar Rebbe ist Gemeindepfarrer in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Varel. Er hat sich während der Coronazeit mit seinen kritischen Äusserungen zu diversen Massnahmen nicht nur Freunde gemacht. In Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen ermutigt er zu offener Diskussion und respektvollem Miteinander.
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