Transition News: Wie ist die Stimmung in der Landeshauptstadt Potsdam nach der Wahl am Sonntag?
Matthias Krauß: Vielleicht ist eine Mehrheit in Potsdam erleichtert ob des SPD-Sieges. Aber man sollte die Stimmung in Potsdam nicht mit der im Land Brandenburg verwechseln. Potsdam, das voller reicher und verbeamteter Menschen ist, spiegelt die Dinge anders wider als «die Territorien». Das Land ist außerdem gespalten in den «Speckgürtel» um Berlin und den großen, aber sich immer noch ausdünnenden Rest. Die Verteilung der gewonnenen Direktmandate zwischen SPD und AfD bildet diese Lage ab.
Die regierende SPD hat knapp vor der AfD die meisten Stimmen bei der Landtagswahl am Sonntag gewonnen. Beide haben jeweils nicht ganz ein Drittel der Wählerstimmen bekommen. Wie ist das in Verbindung mit der relativ hohen Wahlbeteiligung von über 70 Prozent einzuschätzen?
Zunächst ist das Ergebnis ein Resultat gelebter und ausgeübter Demokratie. Noch nie haben sich in Brandenburg so viele Menschen an einer Landtagswahl beteiligt wie diesmal. Die Gesellschaft politisiert sich wieder stärker. Das Resultat zeigt, es stehen in diesem Bundesland zwei Lager einander gegenüber, die miteinander nicht viel gemeinsam haben.
Matthias Krauß 2019 (Foto: Tilo Gräser)
Sie kennen das Land Brandenburg ebenso wie seine Politik. Welche Erklärung haben Sie für das Ergebnis? Was waren die entscheidenden Themen, welche Rolle spielten die Bundespolitik und die internationale Lage?
Das SPD-Drittel wird gespeist von den vielen Menschen, denen es in diesem Bundesland sehr gut geht. Sie haben sichere und hohe Einkommen, ihre Anwartschaften stimmen, sie können Eigentum anhäufen und ihren Kindern ordentlich was vererben. Um irgendetwas kämpfen müssen sie schon lange nicht mehr. Ihnen fällt alles zu. Hier sind die Kräfte der Beharrung daheim. Die gute persönliche Situation wird mit der Situation des Landes gleichgesetzt. Die Vertreter der anderen Seite müssen nicht unbedingt im Elend leben, aber sie fühlen sich zunehmend unwohl angesichts der bestürzenden Resultate der Wirtschafts-, Migrations-, Bildungs-, Energie-, Wohnungsbau- und Außenpolitik. Das Wahlergebnis ist eine Antwort auch auf die Bundespolitik.
Analysen zufolge hat etwa ein Drittel der jungen Wähler die AfD gewählt, mehr als die anderen Parteien. Wie lässt sich das erklären? Welche «Zukunft» bietet die AfD den jungen Menschen in Brandenburg?
Die AfD selbst erklärt das vor allem damit, dass deutsche Kinder miserable Erlebnisse mit einem Teil der Migrantenkinder haben. Vielleicht gehört das dazu. Im Spiel ist möglicherweise auch, dass die allgemeine Verunsicherung die junge Generation nicht unberührt lässt. Die traditionellen Parteien, die Kräfte des «Weiter so» vermitteln keine Gestaltungskraft mehr. Änderungen, entschlossene Schritte werden ihnen nicht zugetraut. Im Grunde müsste es in diesem völlig blockierten Deutschland um einen New Deal gehen, um eine Neuverteilung der Karten. Von nichts aber ist das Deutschland der wohlerworbenen Privilegien weiter entfernt als davon. Aber das sehen wohl auch ältere Menschen so.
Im Potsdamer Landtag wird es deutliche äußerliche Veränderungen geben mit nur noch vier Parteien. Eine ist das erste Mal dabei, das BSW, wenn auch nicht nur mit neuen Personen. Linkspartei und Grüne sind raus, ebenso die Freien Wähler. Ändert sich mehr als das Farbspektrum im Landesparlament?
Die Hälfte der brandenburgischen Abgeordneten wird von nun an von Parteien gestellt, die es vor wenigen Jahren noch nicht gegeben hat. Es liegt also eine Abkehr vom überkommenen Parteienspektrum vor. Dieses Spektrum überzeugt immer weniger. Im Grunde würde Deutschland nachvollziehen, was andere europäische Staaten schon längst vorgemacht haben.
Welche Regierung halten Sie für möglich? Wird Ministerpräsident Dietmar Woidke mit der CDU weiterregieren, ohne absolute Mehrheit, oder wird er es mit dem BSW wagen?
Erste Äußerungen lassen daran zweifeln. Eine SPD-CDU-Regierung, die sich vom BSW tolerieren lassen müsste, wäre angesichts der heutigen Bedingungen, die das BSW für die «konstruktive Zusammenarbeit» stellt, wohl ein Unding. Außerdem hat die CDU schon abgewunken und findet sich mit der Oppositionsrolle ab. Eine Regierung SPD-BSW hätte eine Mehrheit von zwei Stimmen, was auf alles andere als «stabile Verhältnisse» hinauslaufen würde. Denn Abweichler bei diesem Bund ungleicher Brüder dürfte es dann praktisch keine geben. Schon die Wahl des Ministerpräsidenten könnte als nicht gesichert gelten. Wenn SPD, CDU und BSW eine Koalition schmieden würden, wäre eine Partei, die mehr Waffen in die Ukraine senden will, mit einer Partei verbandelt, die solche Lieferungen abschaffen will. Schwer zu sagen, ob das mit dem Verweis «liegt in Bundeszuständigkeit» abgetan werden könnte. Die AfD zur alleinigen Oppositionspartei zu machen, scheint auch nicht geraten.
Wie schätzen Sie den Untergang der Linkspartei ein, die in Brandenburg mal über 20 Prozent errang und auch mitregierte? Ist das BSW der Ersatz dafür?
Die Linke hatte in Brandenburg mal 28 Prozent der Stimmen. Das Land war ihre Hochburg, ihre «feste Burg». Nun haben sie sich auf drei Prozent reduziert. Dieser Vorgang nahm sich 15 Jahre Zeit. Von einer Partei der Hoffnung ist sie zu einer Partei geworden, die Ärger bis Wut auf sich zieht. Von ihrer DDR-Herkunft will sie nichts wissen, die stört bei den rot-rot-grünen Phantasien ihres Führungspersonals. Der Personenkreis, der sich da an die Spitze gesetzt hat, lässt die meisten älteren Parteimitglieder nur noch abwinken. Von den Wählern ganz zu schweigen. Was die zumeist jungen Akteure unter «links» verstehen, ist vielen Älteren ein Graus. Zum Schwur kam es, als Bodo Ramelow, um selbst Thüringens Ministerpräsident werden zu können, die DDR einen «Unrechtsstaat» nannte. Was das mit dieser Partei gemacht hat, verbirgt sie vor sich selbst. Wie sie alles vor sich verbirgt, was ihr unangenehm ist, was aber aufgearbeitet werden müsste. Die DDR-Vergangenheit will sie los sein, aber etwas anderes Tragendes hat sie nicht gefunden. Niemals wurden die bestürzenden Rückgänge in der Wählerschaft ernsthaft besprochen, niemals fand sich jemand, der die Verantwortung für diese deprimierende Entwicklung übernommen hätte und zurückgetreten wäre. Immer und immer wieder servierten die brandenburgischen Linken dieselben gescheiterten Kandidaten bei der nächsten Wahl. Die einstigen PDS-Wähler waren jene, die autonom waren und sich selbst ein Urteil bilden konnten. Das hat einstmals der PDS/Linkspartei genützt und fällt ihr heute auf die Füße. Mit den bekannten Resultaten. Sie wollen grüner sein als die Grünen, christlicher sein als die Christen, sozialer als die Sozialdemokraten. Nur was sie selbst sein wollen, das wissen sie nicht so recht. Vielleicht «die Netten». Oder die «etwas weniger Schlimmen». Weil sie es selbst nicht wissen, kann ich es auch nicht wissen.
In Sachsen und Thüringen haben jeweils CDU und AfD zusammen mehr als 50 Prozent der Wählerstimmen bekommen, ein deutliches Zeichen (siehe hier) für eine konservative Stimmung in der Gesellschaft: Es soll sich möglichst wenig verändern. In Brandenburg sieht es ähnlich aus, bloß dass hier statt der CDU die SPD als die vermeintlich bewahrende Kraft gewählt wurde. Ist das derselbe Trend?
Was in Sachsen die CDU, ist in Brandenburg die SPD. Die Staatspartei eben. Einen Wechsel der größten Regierungspartei hat es in beiden Bundesländern dreieinhalb Jahrzehnte lang nicht gegeben. Für die Etablierten im jeweils anderen Land erfüllt die jeweils andere Partei die gleiche Funktion: Sie bewahrt die Pfründeverteilung. Am Ende vermittelt das ja bloß, dass es völlig egal ist, ob ich von SPD oder CDU regiert werde, inhaltlich ist vom Grundsatz her nichts anders.
Welche tatsächlichen Veränderungen in der Landespolitik erwarten Sie nach der Wahl? Kommt jetzt «Brandenburg zuerst» oder welche Prioritäten werden neu gesetzt?
Ich erwarte unsichere Verhältnisse. Ein Ausweg zeichnet sich derzeit nicht ab. Vielleicht wird die SPD versuchen, eine Gruppe Abtrünniger aus dem BSW «herauszukaufen», um sich eine Mehrheit zu verschaffen. Wenn es niemandem gelingt, eine Regierung zu bilden, muss es zu Neuwahlen kommen.
Das Interview führte Tilo Gräser.
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Matthias Krauß (Jahrgang 1960) stammt aus Hennigsdorf, Bezirk Potsdam seinerzeit, hat Kindheit und Jugend im Schatten der Berliner Mauer verlebt, dann in Leipzig Journalistik studiert, war danach Jugendredakteur der «Märkischen Volksstimme» und ist seit 1990 freier Journalist und Autor in Potsdam. Themen: Potsdam, Brandenburg, Deutschland, die Welt. Er hat zahlreiche Bücher verfasst.
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