«Diese Welt hat ein Problem und es heißt Westen» – das stellte die mazedonische Friedensforscherin Biljana Vankovska auf dem Treffen des Waldai Clubs kürzlich im russischen Sotschi fest. Und sie sagte, der Ausgang des Konflikts in der Ukraine werde über die Zukunft des globalen Friedens und der Sicherheit entscheiden.
Vankovska erinnerte an eine Aussage des «Vaters der Friedensforschung», Johann Galtung, der 1999 nach dem völkerrechtswidrigen Überfall der NATO auf Jugoslawien feststellte:
«Diese Welt hat ein Problem. Dieses Problem hat einen Namen und dieser Name lautet: Vereinigte Staaten von Amerika.»
Diese Worte würden 25 Jahre später «prophetischer denn je» klingen, so die Friedensforscherin in ihrem Beitrag beim Waldai Club in diesem Jahr. Die Ukraine sei dafür «nur ein Beispiel von vielen».
Nach dem vermeintlichen Ende des Kalten Krieges hätten sich die USA zum ultimativen Friedensstifter und globalen Verfechter der Demokratie stilisiert. Und die NATO, nun nicht mehr durch die UdSSR oder den Warschauer Pakt aufgehalten, habe sich «unerbittlich unter dem Deckmantel der Verbreitung von Frieden und Demokratie» ausgeweitet.
«Dieser Leviathan scheint nun darauf aus zu sein, sich in eine ‹globale NATO› zu verwandeln – mit anderen Worten, die Vereinten Nationen überflüssig zu machen. Bisher ist es ihm gelungen, viele von uns glauben zu machen, dass die UNO irrelevant und machtlos ist.»
Vankovska verwies auf Galtungs Ansatz zur Konfliktanalyse, «das Konfliktdreieck». Dazu gehören demnach drei Schlüsselelemente: «1) die Einstellungen (A) der beteiligten Akteure, 2) ihr Verhalten (B) und 3) den Widerspruch (C)».
Der Widerspruch, der zum Konflikt führe, entstehe durch die unvereinbaren Werte oder Ziele zwischen den Akteuren. Außerdem erfordere eine aussagekräftige Konfliktanalyse drei Schritte: Diagnose, Prognose und Therapie.
Doch die Welt befinde sich anscheinend «in einer so dunklen Stunde, dass selbst korrekte Diagnosen und fundierte Prognosen sich als nutzlos erwiesen haben», so die Friedensforscherin. Es sei damit nicht erreicht worden, die Krise in der Ukraine zu verhindern, «ganz zu schweigen von anderen verheerenden Konflikten – wie dem anhaltenden Völkermord in Palästina».
Während der Suche danach, wie die Gewalt beendet werden könnte, würden wir uns «in einem beunruhigenden Paradoxon» befinden:
«In der heutigen Orwellschen Atmosphäre, insbesondere innerhalb des sogenannten ‹kollektiven Westens›, werden diejenigen, die sich für Waffenstillstände, Verhandlungen oder diplomatische Lösungen einsetzen, mit Misstrauen oder sogar Feindseligkeit behandelt.»
In den Medien der NATO-Staaten gebe es «nichts ‹Kontroverseres› als einen Friedensvorschlag», zitiert die Friedensforscherin den unabhängigen Journalisten Aaron Maté. Und sie betont, dieser Widerstand gegen den Frieden sei nichts Neues.
1982 habe Jonathan Schell in seinem Buch «Das Schicksal der Erde: Gefahr und Folgen eines Atomkriegs» geschrieben:
«Wir haben festgestellt, dass es viel einfacher ist, unsere eigenen Gräber zu schaufeln, als darüber nachzudenken, dass wir das tun.»
Vankovska berichtete aus Mazedonien – einem der jüngsten und kleinsten NATO-Mitgliedstaaten –, dass dort jede ernsthafte Diskussion über die tieferen Ursachen anhaltender Konflikte oder das Wiederaufleben nuklearer Bedrohungen tabu geworden sei. Der öffentliche Diskurs konzentriere sich weiterhin ausschließlich auf die täglichen militärischen Entwicklungen und strategischen Manöver, «während die tieferen strukturellen Probleme, die uns an diesen Punkt gebracht haben, nicht untersucht werden».
Dabei seien Reflexion, Diplomatie und nachhaltige Lösungen notwendiger denn je – «und doch scheint es schwieriger denn je, sie zu verfolgen». In ihrer Rede beim Waldai Club stellte sie fest, der Westen sei inzwischen das Problem der Welt und die NATO «lediglich das Instrument seiner imperialen Ambitionen».
«Leider wurde vielen postsozialistischen Staaten vorgegaukelt, dass die NATO-Mitgliedschaft Frieden und Sicherheit garantiere.»
Die Friedensforscherin wies auf die Parallelen zwischen der Ukraine und Mazedonien im Zusammenhang mit deren politischer Entwicklung hin. Beide seien nach dem Zusammenbruch sozialistischer Föderationen unabhängig geworden, würden an sensiblen geopolitischen Frontlinien liegen, die der Westen um jeden Preis kontrollieren will, und beide seien Opfer sogenannter Farbrevolutionen geworden.
«Im Falle Mazedoniens führte der Regimewechsel – dargestellt als demokratischer Aufstand – dazu, dass das Land seinen Namen, seine verfassungsmäßige Souveränität und seine Identität verlor, jedoch schließlich die NATO-Mitgliedschaft sicherte.»
Die Ukraine hingegen laufe Gefahr, alles zu verlieren, wenn die Welt nicht auf Friedensgespräche und Verhandlungen setze, wie es die BRICS-Staaten in der jüngsten Kasaner Erklärung vorgeschlagen haben. Der Ausgang des Konflikts in der Ukraine werde über die Zukunft des globalen Friedens und der Sicherheit entscheiden.
Es sei «ermüdend, überhaupt über die Doppelmoral des Westens zu diskutieren – vor allem jetzt, wo ein Völkermord nicht nur toleriert, sondern offen unterstützt wird». Als Beispiel dafür, wie der Westen mit seinen Vasallenstaaten umgeht, erwähnte sie, dass Mazedonien zur Unterzeichnung des sogenannten Prespa-Abkommens gezwungen wurde – «und seinen Namen und seine Identität im Austausch für die NATO-Erweiterung opferte».
Dabei sei der antike Stratege Thukydides oft zitiert worden: «Die Starken tun, was sie können, und die Schwachen erleiden, was sie müssen.» Doch im Fall der Ukraine habe sich die Sichtweise dramatisch geändert: «Plötzlich ist von einem möglichen militärischen Sieg gegen einen weitaus stärkeren Gegner die Rede.»
Die Botschaft laute: «Gebt nicht auf, kämpft bis zum letzten Ukrainer! Der Kampf ist nicht nur moralisch, sondern auch erreichbar!» Mazedonien habe inzwischen kapituliert und sehe sich nun in einen Konflikt hineingezogen, den die Bevölkerung nie wollte.
Die NATO garantiere ihren Mitgliedern angeblich Frieden, Wohlstand und sogar Identitätssicherheit. Doch im Fall der Ukraine spiele der Westen mit existenziellen Einsätzen, so Vankovska, «und treibt die Ukraine an den schrecklichen Rand einer nuklearen Eskalation».
Sie berichtete in Sotschi, dass kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 das OSZE-Netzwerk von Sicherheitsinstituten eine virtuelle Sitzung einberief, um mögliche Reaktionen zu erörtern. Als Vertreterin des Global Change Centers in Skopje und Wissenschaftlerin aus einem Land, das sich auf die Übernahme des OSZE-Vorsitzes vorbereite, sei sie um einen Beitrag gebeten worden.
Doch ihre Analyse sei erwartungsgemäß schnell verworfen worden: «Weil ich den Konflikt als Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen (NATO, USA, EU – suchen Sie sich etwas aus) und Russland bezeichnete.» Sie habe argumentiert, der Krieg in der Ukraine sei «nicht nur der vorhersehbarste Konflikt in der jüngeren Geschichte, sondern wäre «auch am einfachsten zu verhindern gewesen».
Das wäre aber nur möglich gewesen, «wenn die westlichen Staats- und Regierungschefs keine versteckte Agenda verfolgt hätten». Doch diese Agenda sei gar nicht so versteckt gewesen – «Moskau hat sie schon von weitem kommen sehen, und das zu Recht».
Es handelt sich dabei laut Vankovska um ein «Beispiel für die Ohnmacht und die westliche Voreingenommenheit, die in der aktuellen europäischen Sicherheitsarchitektur verankert sind». Die UNO werde als unheilbarer Patient auf dem Sterbebett dargestellt und die Friedensnobelpreisträgerin EU funktioniere «eher wie ein ziviler Arm der NATO oder vielmehr wie eine Kolonie des untergehenden US-amerikanischen Imperiums».
Mit Blick auf den Ausgang der US-Wahlen erklärte sie, es sei nicht entscheidend, wer in das Weiße Haus einziehe. Der militärisch-industrielle-mediale-akademische-Unterhaltungskomplex bestimme und lebe vom Krieg.
«Von Washington – oder seinen Verbündeten – etwas Gutes oder Effektives zu erwarten, wäre bestenfalls Wunschdenken.»
Die Friedensforscherin sieht eine Lösung für diese kranke Welt: «Diese Lösung hat einen Namen – die Weltmehrheit.» Diese aufstrebende Koalition habe ihre Entschlossenheit bereits unter Beweis gestellt, indem sie ein Ende des Ukraine-Konflikts forderte und die Anerkennung Palästinas als unabhängiger und gleichberechtigter Staat innerhalb der Vereinten Nationen unterstützte.
«Ihr Name ist BRICS.»
Für jede sinnvolle Veränderung müsse die unerbittliche Expansion der NATO gestoppt werden. Auf seinem Weg der Selbstzerstörung riskiere das westliche Bündnis, den Rest der Welt mit sich zu reißen. Vankovska stellte klar:
«Es ist an der Zeit, eine neue Weltordnung zu schaffen, die auf Zusammenarbeit, Gleichheit und Frieden beruht.»
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