Transition News: Der quecksilberhaltige Zahnfüllstoff Amalgam soll bereits im 7. Jahrhundert in China als Füllungsmaterial verwendet worden sein. In neuerer Zeit begann seine massenhafte Anwendung 1820. Und jetzt hat sich die EU, wie etwa die Bild kürzlich berichtete, «nach langem Kampf zu einem Verbot der quecksilberhaltigen Zahnfüllungen ab 2025 durchgerungen». Wie finden Sie das?
Helge Runte: Grundsätzlich ist das Amalgam-Verbot aus meiner Sicht sehr begrüssenswert, aber längst überfällig – und zwar deshalb, weil die Toxizität von Quecksilber auf der ganzen Welt seit Jahrzehnten weithin Thema ist. Da standen und stehen natürlich zwei kontroverse Standpunkte gegenüber. Die einen Zahnärzte und ihre sie vertretenden Verbände sehen in dem Füllstoff ein preisgünstiges und gut verarbeitbares Füllungsmaterial und möchten natürlich nicht irgendwann aufgrund nachgewiesener Schädlichkeit vorgehalten bekommen, dass sie ihre Patienten durch Anwendung des Füllstoffes in irgendeiner Form geschädigt haben. Wirtschaftliche Interessen sind auch nicht zu vernachlässigen.
Die anderen haben sich aber aufgrund eigener oder fremder Beobachtungen und aufgrund eigener Denkaktivität dazu entschieden, dem Mainstream nicht blind zu folgen und ohne Rücksicht auf eventuelle Nachteile weiter im Kleinen zu forschen und Schlüsse zu ziehen.
Das Muster, das wir bei der Diskussion über Amalgam sehen, finden wir zum Beispiel auch bei Glyphosat, Corona, 5G, Homöopathie, Akupunktur usw. Und man muss sich immer fragen, wessen und welche Interessen stehen hinter einer Positionierung zu einem Thema.
Dr. med. dent. Helge Runte
Der genaue Stichtag des Amalgam-Verbots soll laut Bild noch nicht feststehen, da Übergangsfristen vereinbart worden seien. Halten Sie das für legitim?
Wessen Interessen werden wohl durch Übergangsfristen gewahrt? Doch wohl diejenigen der Beteiligten, die sich damit schwer tun, die Toxizität eines Stoffes wirklich anzuerkennen. Alternative Materialien stehen wohlgemerkt schon lange zur Verfügung. Sind es also die Interessen der Hersteller, die Interessen der Zahnärzte, die ihr Lager noch abbauen wollen? Die Interessen der Patienten, für die Umweltmedizin in jeglicher Hinsicht ein Fremdwort ist? Die Interessen der Verbände, die jahrzehntelang die Toxizität von Amalgam ignoriert haben und nun nach Erklärungen suchen, um nicht in einem schlechten Licht dazustehen? Wie gehen die Sozialversicherer damit um, wenn plötzlich die Schädlichkeit von Amalgam europaweit anerkannt wird? Kommt es zu Schadensersatzklagen und Forderungen gegenüber Krankenversicherungen in Bezug auf Amalgam-Austausch auf Krankenversichertenkarte?
In der Beurteilung und Handhabung von Toxizitäten in den Bereichen Medizin, Lebensmittel und Substanzen des täglichen Bedarfs schlagen sich leider sehr viele Interessen nieder. Dies führt dann bedauerlicherweise zu den entsprechenden Verzögerungen, was ein Verbot angeht – Verzögerungen, die eigentlich von keinem klar denkenden Menschen akzeptiert werden dürften. Doch die Macht der Interessengruppen ist gross. Die Masse wird die Übergangsfristen daher wohl schlucken.
Amalgam besteht zu rund 50 Prozent aus Quecksilber – und Quecksilber wird von vielen als «das giftigste nicht-radioaktive Material im Universum» bezeichnet. Gibt es dafür harte Belege?
Ob Quecksilber nun das zweitgiftigste oder drittgiftigste nicht-radioaktive Material im Universum ist, scheint mir belanglos. Fakt ist, dass es sehr, sehr giftig ist und dies auch in zahlreichen Untersuchungen und in Beobachtungen zu seinen Auswirkungen belegt ist. Aktuell lässt sich kein echtes Ranking finden. Aber es gibt von aktuell aktiven Umweltmedizinern und seinerzeitigen Leitern von Lehrstühlen für Umweltmedizin eine klare Einschätzung. Es geht im Klartext darum, aus dieser Erfahrung heraus und nach dem ärztlichen Grundsatz «niemals Schaden zufügen» zu denken und zu handeln.
Welche Rolle spielen dabei die persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen?
In jeder Praxis für Umweltmedizin gibt es unzählige Kasuistiken zur Auswirkung von quecksilberhaltigem Amalgam und zu den Veränderungen bei den Patienten nach der fachgerechten Entfernung des Amalgams. Die Zahl der Umweltmediziner steigt erfreulicherweise ständig. An dieser Stelle sei ganz klar gefragt, ob das Prädikat «evidenzbasiert» bezogen auf gross angelegte Studien wirklich das einzige Kriterien für eine verantwortungsvolle, hippokratisch basierte Einstellung zum Menschen und zur Therapie an ihm sein darf.
So ist für mich die langjährige Erfahrung eines Arztes, die auch von seiner Fähigkeit zur wohlwollend kritischen Sicht auf wissenschaftliche Entwicklungen und Neuerungen genährt wird und die von ihm nicht durch gross angelegte und von Interessenkonflikten freie Studien belegt werden kann, mindestens gleichwertig in der Beurteilung des medizinischen Erfolges in der Therapie. Folglich wäre es schön, harte Belege zu haben. Aber dazu sind Universitäten allein in der Lage – und da muss schon wieder genau hingeschaut und gefragt werden: Welche Fragestellung mit welchen Interessen stehen am Anfang einer Studie – und was wird überhaupt finanziert bzw. was wird erst gar nicht finanziert?
2008 hatte aber die «Münchener Amalgamstudie», mit deren Durchführung das Zentrum für naturheilkundliche Forschung am Klinikum rechts der Isar von der TU München 1996 im Zuge eines Gerichtsverfahrens gegen die Firma Degussa beauftragt worden war, Entwarnung gegeben in Sachen Amalgam. Von der FAZ wurde sie seinerzeit mit der Headline «Austausch von Amalgam meist unnötig» kommentiert. Die Süddeutsche Zeitung wiederum gab «Entwarnung in aller Munde» und schrieb, in der «Münchner Langzeitstudie» habe man «keinen Zusammenhang zwischen Amalgamfüllungen und Beschwerden der Patienten nachweisen» können. Und die Welt redete im Zuge dessen gar von der «Mär der gefährlichen Amalgam-Füllung». Können Amalgamträger also nicht doch unbesorgt sein?
Abgesehen davon, was und unter welcher Fahne welches Medium berichtet und dass Degussa ein Amalgamhersteller war, kann doch kein Mensch davon ausgehen, dass der Mund der einzige Bereich ist, in dem Quecksilber unschädlich ist. Zumal die Freisetzung von Quecksilber aus Amalgamfüllungen vom Bundesumweltamt und auch vom Robert Koch-Institut, kurz RKI, bestätigt wurde. Zumal anerkannt ist, dass Quecksilber extrem giftig ist. Zumal bekannt ist, dass Quecksilber bei Zimmertemperatur und entsprechend verstärkt im Mundraum dampfförmig ist und eingeatmet wird. Zumal nicht funktionierende Amalgamabscheider in Praxen mit Strafen belegt werden, weil dadurch herausgebohrtes Amalgam ins Abwasser gelangen kann. Zumal es schon in den vergangenen Jahren wiederholt Einschränkungen bei der Verwendung von Amalgam bei Patienten gegeben hat. Zumal belegt ist, dass Quecksilber die Plazenta passieren kann usw.
Was genau hat das RKI gesagt?
Die Stellungnahme des RKI, die wohlgemerkt aus dem Jahr 2006 stammt, spricht Bände. Darin heisst es:
«Aus Amalgamfüllungen wird Quecksilber in geringen Mengen freigesetzt. Dentalamalgam ist neben dem Fischverzehr die Hauptquelle für die Quecksilberaufnahme beim Menschen. Von der zahnmedizinischen Anwendung von Amalgam gehen gesundheitliche Risiken aus, die wie bei jedem Medizinprodukt gegen den Nutzen abgewogen werden müssen. Während die mit Amalgam verbundenen gesundheitlichen Risiken von den meisten Experten als gering und von der Nutzen-Risiko-Abschätzung her eher als vernachlässigbar eingeschätzt werden, gibt es auch abweichende Auffassungen. Hiernach bestehen schon bei den sehr niedrigen amalgambedingten Quecksilberexpositionen nicht tolerierbare Gesundheitsgefährdungen. In vielen Industrieländern ist schon seit längerem eine intensive Diskussion über die dentale Amalgamverwendung im Gange.»
Wie wären denn die erwähnten Medienschlagzeilen zu erklären?
Die Süddeutsche etwa schrieb: «Zwölf Jahre lang spürten Wissenschaftler von der TU München den Folgen des Amalgams nach. Ihr Fazit beruhigt.» Doch dies Formulierung ist missverständlich, denn das Forschungsprojekt dauerte zwar insgesamt 12 Jahre, doch in der besagten Studie wurden die Patienten maximal 18 Monate beobachtet. Oder nehmen wir die Behauptung von Studienleiter Dieter Melchart, «mit Sicherheit besteht kein Zusammenhang zwischen viel Amalgam im Mund und hohen Beschwerden», die etwa Spiegel Online brachte. Auch sie entbehrt der Grundlage, weil sich die Studie mit «hohen Beschwerden», sprich schweren Krankheiten wie Multipler Sklerose, Alzheimer, Parkinson, Krebs, Allergien, Entzündungen, Autismus etc., gar nicht befasste.
Noch heute geben aber Leute wie Professor Christoph Benz, Präsident der Bundeszahnärztekammer, Entwarnung. In besagtem Bild-Bericht wird er wie folgt zitiert: «Wir Zahnärzte sind nicht begeistert von diesem [Amalgam-]Verbot. Denn das Material ist einfach gut. Gerade, wenn es besonders feucht im Mund ist oder wenn Patienten den Mund nicht so lange aufhalten können, ist Amalgam fantastisch zu verarbeiten. Die Befürchtungen hinsichtlich Amalgam sind Unsinn, das haben viele Studien gezeigt.»
Damit redet er leider, wie erläutert, an dem vorbei, was in Bezug auf die Schädlichkeit von Amalgam als gesichert betrachtet werden kann.
Es prasseln aber doch täglich etliche Industriegifte auf uns ein – macht es da für Amalgamträger wirklich einen Unterschied, ob sie noch ein Minibisschen Quecksilber über ihre Amalgamfüllungen aufnehmen?
Ja, die Umweltbelastungen werden immer grösser und im Einzelnen mehr. Doch man muss fragen: Wie gross ist das «Minibisschen» an Quecksilber, das Sie erwähnen – wissen Sie es genau? Und wissen Sie, wie stark und funktionsfähig Ihre Entgiftungssysteme sind? Wissen Sie, wieviel «Umweltmüll» Sie bereits in Ihrem Körper angereichert haben, der irgendwann das Fass zur Regulationsfähigkeit, Regenerationsfähigkeit zum Überlaufen bringt?
Macht es nicht in jedem Fall Sinn, den Anstieg der Müllbelastung im Körper einzudämmen und noch besser zu reduzieren, insbesondere wenn man von der Tatsache einer Belastung durch einen Stoff weiss, und noch mehr, wenn man die Giftigkeit auch von öffentlicher Stelle bestätigt bekommt, auch wenn sich die öffentlichen Stellen sehr zurückhaltend dazu bekennen? Wann soll der Mensch seine Mündigkeit leben, wenn nicht in derartigen Fällen?
Wie aus der Münchener Amalgamstudie hervorging, nahmen die Beschwerden bei den Probanden meist während und kurz nach der Amalgamentfernung zu. Dies deutet Experten zufolge darauf hin, dass durch die Entfernung Amalgamdämpfe entstehen und in den Körper der Betroffenen gelangen. Sie gehören in Deutschland zu den Pionieren, was Vorkehrungen für eine sichere Amalgamentfernung aus den Zähnen angeht. Wie genau gehen Sie da vor?
Zunächst: Meine Praxis setzt eine korrekte umfangreiche Amalgamentfernung seit 35 Jahren um, viele andere tun das seit vielen Jahren – und nie kam es bei den Patienten im Anschluss zu Beschwerden. Trotzdem wurden die Massnahmen in Zusammenarbeit mit Umweltmedizinern im Laufe der Jahrzehnte immer wieder auf Sicherheit für Patient und Mitarbeiter geprüft und eventuell ergänzt. Dabei gehen wir grundsätzlich wie folgt vor:
Im ersten Schritt erfassen wir den individuellen Gesundheitszustand des Patienten und fragen hier zum Beispiel die aktuelle Belastbarkeit und Behandlungsfähigkeit oder auch die Ausstattung des Patienten mit Mineralstoffen, Spurenelementen und Vitaminen ab. Genau wie den Zustand der Nieren- und Leberfunktion. Gegebenenfalls empfiehlt sich dann eine Vorbehandlung durch einen kundigen Allgemeinmediziner.
Auch klären wir im Vorfeld ab, ob Typ-IV-Allergien vorliegen gegenüber Metallen, Kunststoffen und Zementen, denn die Defekte müssen ja gleich nach der Entfernung des Amalgams wieder gefüllt werden mit einem Material, das der Patient verträgt.
Was die Schutzmassnahmen während Amalgamentfernung angeht, so sorgen wir für eine gute Ventilator-Belüftung des Raumes, setzen vor und während der Entfernung Chelatbildner ein, also «Metallbinder», verwenden einen Kofferdam, vier Absauger im Mund, eine Gold-Nasenmaske und eine Augenmaske. Des Weiteren sorgen wir für eine gute Wasserspülung und eine Sauerstoffzufuhr über eine Nasenbrille und entfernen das Amalgam im Schneideverfahren mittels «Spezialbohrern». Wir bohren das Amalgam also nicht heraus, sondern zerlegen die Amalgamfüllung in Stücke. Wir verwenden dabei auch keine sich in Hochgeschwindigkeit drehenden Turbinen. Und auch der Zement unter den Amalgamfüllungen wird vorsichtig und zugleich nachhaltig entfernt.
Zur Kehrseite des Amalgam-Verbots gehört, dass die Endverbraucher für die Materialien, die Amalgam ersetzen werden, «tief in die Tasche greifen müssen», wie die Bild schreibt. Wie ist das politisch logisch zu erklären? Immerhin mussten die Patienten für Amalgam, obwohl es hochtoxisch ist, und die darin enthaltenen Materialen wie Quecksilber, Silber und Zinn ja auch ihren Wert haben, gar nichts bezahlen?
Das Tief-in-die-Tasche-greifen-müssen hängt immer damit zusammen, ob die Versicherer eine Massnahme anerkennen und somit erstatten. Die Schutzmassnahmen (Material, Arbeitsaufwand) werden nicht anerkannt und somit nicht erstattet. Die Füllungsart selbst kann der Patient entscheiden – von Zementen über Kompositfüllungen bis hin zu Keramikfüllungen und Goldlegierungsfüllungen.
Alle diese Materialien haben unterschiedliche Indikationen und unterschiedliche Lebensdauern. Die Umsetzung von Nicht-Amalgamfüllungen erfordert mehr Zeit und ist mit dem Einsatz von teureren Materialien verbunden als dies bei einer Amalgamfüllung der Fall ist. Somit haben die Füllungen aus diesen Materialien einen anderen Preis als eine Amalgamfüllung.
Es wäre natürlich sehr wünschenswert und fair, wenn – spätestens nach Eintritt des Amalgamverbots – die Versicherer nicht den Aufwand für eine Amalgamfüllung in der Honorierung für eine andere Füllung zugrunde legen würden. Meines Wissens hat man in Japan vor vielen Jahren bereits die Amalgamfüllungen aus den Praxen nahezu verbannt und die Kompositfüllungen höher dotiert.
Was wissen wir über die Unbedenklichkeit dieser Materialien, die Amalgam ersetzen sollen – und im Übrigen auch über die Unbedenklichkeit etwa von Goldfüllungen?
Alle Materialien – bis auf Keramik aus unserer Sicht – haben ein Problempotenzial, auch wenn es meist klein sein mag. So macht es immer Sinn, die Materialien über einen Lymphozytentransformationstest, kurz LTT, unter Einschaltung eines kompetenten Labors zu testen. So hat Vera Stejskal von der Stockholm University schon vor Jahren aufgedeckt, dass sogar Gold und Platin in relevanter Häufigkeit bei Patienten verdeckte TYP-IV-Allergien auslösen können. Wir empfehlen in jedem Fall nach einer Amalgamentfernung keine Metalle mehr im Mund zu verwenden. Schlussbemerkung: Ich bin sehr dankbar, dass das Verbot kommen wird, welche Hürden zu überwinden und welche Kraft es auch gefordert hat.
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Helge Runte ist approbierter Zahnarzt. 1981 gründete er seine eigene Praxis für ganzheitliche biologische Zahnheilkunde und Umweltzahnmedizin im baden-württembergischen Wannweil. Im Zentrum seines zahnmedizinischen Handelns steht die Erkenntnis, dass Zähne und Organismus in einer engen Verbindung zueinander stehen bzw. dass erkrankte Zähne und belastende Füllungsmaterialien Einfluss auf den gesamten Organismus haben und Erkrankungen ausserhalb des Mund- und Kieferbereichs begünstigen können. Nach dem Motto: An jedem Zahn hängt ein ganzer Mensch mit seinem Körper, seiner Seele und seinem Geist. Dr. Runte ist qualifiziertes Mitglied der Gesellschaft für Ganzheitliche Zahnmedizin GZM und qualifiziertes Mitglied der Gesellschaft für Umweltzahnmedizin DEGUZ.
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