«Die Bundesversammlung muss ihre Kompetenzen wahrnehmen und kann sich nicht einfach fluchtartig zurückziehen», sagt der Staatsrechtler Prof. Andreas Kley von der Universität Zürich in einem Gespräch mit Thomas Kaiser in der Publikation Zeitgeschehen im Fokus.
Der Bundesrat könne an Stelle der Bundesversammlung Recht setzen, um dringende Probleme zu lösen. Er darf aber nicht die Verfassung verletzen oder die Bundesgesetze abändern, sagt Kley. Aber genau das habe er getan und damit, gestützt auf ein nicht bestehendes angebliches «Notrecht», verfassungs- und gesetzeswidrig gehandelt.
In der Öffentlichkeit herrsche der Eindruck es sei alles rechtens abgelaufen, denn es würden ja Gesetzesartikel angeführt. Für Nichtjuristen erschliesse sich das Problem so nicht von selbst und erscheine damit rechtlich «abgestützt».
Dass es soweit kommen konnte, hätten wir dem Parlament zu verdanken. Es hätte die Session ohne eigenen Beschluss nicht abbrechen dürfen. Das Parlament habe nichts unternommen und die volle Verantwortung dem Bundesrat überlassen. Rechtlich bestehe dafür aber keine Grundlage, die Bundesversammlung hätte ihre Kompetenzen wahrnehmen und sich nicht einfach fluchtartig zurückziehen dürfen, kritisiert Kley.
Damit habe das Parlament auf die Ausübung der ihm zustehenden Kompetenzen freiwillig verzichtet.
Wenn der Bundesrat nun wie vorgesehen das «Notrecht» in ein dringliches Bundesgesetz überführt, würde dies bedeuten, dass die Verfassungs- und Gesetzesverletzung nachträglich geheilt würde. Dies ändere aber rechtlich nichts daran, dass sie bereits gebrochen wurde, sagt Kley.