Der neue Absatz 5 in Paragraf 130 des Strafgesetzbuches sorgt in Deutschland für heftige Diskussionen. Kritiker sehen darin eine grosse Gefahr für die Meinungsfreiheit, darunter auch Elisa Hoven. Sie ist Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig und Richterin am Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen. In der Welt schilderte Sie die ihre Kritik. Wir veröffentlichen hier wichtige Auszüge.
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Lügen ist für sich genommen nicht strafbar. Bislang durfte man falsche Behauptungen über politische Entscheidungen oder historische Ereignisse verbreiten, ohne dass es die Gerichte interessiert hätte. Eine Ausnahme gab es: das Leugnen des Holocaust. Dass das Billigen, Leugnen und Verharmlosen des Völkermords an den Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus unter Strafe steht, rechtfertigt sich ohne Zweifel mit Blick auf die deutsche Geschichte.
Was der Bundestag am vergangenen Donnerstag gegen 23 Uhr (!) ohne jede öffentliche Anhörung (!) beschloss, ist deshalb nicht weniger als eine kleine Revolution im Strafrecht. Bestraft wird nach dem neuen Absatz 5 in Paragraf 130 StGB in Zukunft das Leugnen oder gröbliche Verharmlosen eines jeden Völkermordes, Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechens, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe – und erst einmal unabhängig davon, an welchem Ort oder zu welcher Zeit das umstrittene Kriegsverbrechen stattgefunden hat.
Die Äusserung muss nur geeignet sein, zum Hass gegen zum Beispiel eine nationale oder ethnische Gruppe aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören. Ein Historiker, der die Napoleonischen Kriege verharmlost, dürfte sich also nicht strafbar machen. Bei einem Leugnen der Pogrome gegen Jüdinnen und Juden im Mittelalter dürfte es anders aussehen, bei aktuellen Konflikten erst recht, zumal die «Friedensstörung» von den Gerichten nicht empirisch untersucht wird und bislang selten ein ernsthaftes Korrektiv bildet.
Hochproblematisch an der neuen Regelung ist, dass sie das Leugnen oder Verharmlosen etwa von Kriegsverbrechen bestraft, die noch von keinem Gericht als solche festgestellt wurden. Schreibt jemand auf Facebook, dass die Taten in Butscha vom Westen inszeniert wurden, müsste die Staatsanwaltschaft nach dem neuen Straftatbestand ermitteln. Das zuständige Amtsgericht hätte dann zu untersuchen, ob tatsächlich Kriegsverbrechen stattgefunden haben. (...)
Der Nachweis völkerrechtlicher Verbrechen ist hochkomplex. Selten wird soviel gelogen wie im Krieg (...) Wie ein deutsches Amtsgericht diese Aufgabe bewältigen soll, ist mir ein Rätsel. Und noch ein weiteres tritt hinzu: Solange ein internationales Verbrechen nicht als solches von Gerichten festgestellt wurde, weshalb sollte man es nicht «leugnen» dürfen? Die Vergangenheit hat uns gezeigt, dass über Kriegsverbrechen viel Unwahres berichtet wird. Vielleicht erinnern sich noch einige Leser an die «Brutkastenlüge» im Irakkrieg.
Die Geschichte der irakischen Soldaten, die bei der Invasion Kuwaits im August 1990 Frühgeborene aus den Brutkästen gerissen und auf dem Boden haben sterben lassen sollen, wurde sogar im UN-Sicherheitsrat behandelt. Später stellte sich heraus: Alles gelogen, Teil einer von der kuwaitischen Exilregierung beauftragen PR-Kampagne. Gerade im Krieg, der besonders anfällig ist für Unwahrheiten, ist ein kritisches Hinterfragen von Informationen – zumindest für Journalisten – Pflicht. Und wenn Vorwürfe noch von keinem Gericht geprüft und bestätigt wurden, sollte niemand bestraft werden, der sie nicht anerkennt.
Interessant wäre auch, wie das neue deutsche Recht mit der Arbeit von internationalen Strafverteidigern umgehen will, die im Sinne ihrer Mandanten im Verfahren die Kriegsverbrechen bestreiten oder zumindest relativieren. Oder wie verhält es sich mit der Professorin für Völkerstrafrecht, die Kriegsverbrechen «leugnet», da ihre rechtliche Bewertung ergibt, dass es sich um zivile Verbrechen handelt (denn nicht jedes im Krieg vergangene Verbrechen ist ein Kriegsverbrechen)?
Der Gesetzgeber erklärt die neue Regelung damit, dass er EU-Recht habe umsetzen müssen. Das stimmt aber nur teilweise. Richtig ist, dass es einen «Rahmenbeschluss zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit» gibt, dessen Vorgaben Deutschland bislang nur unzureichend ins deutsche Recht überführt haben soll.
Dass das Europarecht immer weiter in das nationale Strafrecht eingreift, ist ein erhebliches Problem. Doch hier hätte es zumindest die Möglichkeit gegeben, die geforderte Strafbarkeit sinnvoll einzugrenzen. Nach Absatz 4 des Rahmenbeschlusses dürfen die Mitgliedstaaten die Strafbarkeit auf das Leugnen oder gröbliche Verharmlosen solcher Völkerrechtsverbrechen beschränken, die ein internationales Gericht «endgültig festgestellt» hat.
Ohne diese Einschränkung steht eine kritische Auseinandersetzung über Kriegsverbrechen in schwelenden Konflikten künftig unter dem Damoklesschwert strafrechtlicher Verfolgung. Der Gesetzgeber sollte hier dringend nachbessern – und zwar in einem öffentlichen Verfahren, das der Tragweite der Entscheidung für ein verschärftes Strafrecht gerecht wird. Als Gesellschaft müssen wir uns überlegen, wie politisch unser Strafrecht sein soll und ob wir nicht in der Lage sind, auch unangebrachte und kritikwürdige Äusserungen auszuhalten, ohne nach der Staatsanwaltschaft zu rufen.
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Elisa Hoven ist Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig und Richterin am Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen.
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