In der Schweiz hat die Frage der Stellung des Islam noch nicht das explosive Ausmaß erreicht, das es in Deutschland angenommen hat, doch die politische und soziale Dynamik verändert sich zusehends. In einer Gesellschaft, die sich zunehmend polarisiert, ist die Frage nach der Stellung des Islams und seiner Integration in die Schweizer Werteordnung zu einem zentralen politischen Streitpunkt geworden.
Eine erste politische Auseinandersetzung über die Rolle des Islam gab es 2009 bei der Volksinitiative über das Minarettverbot. Diese obsiegte und der Bau von Minaretten ist seither verboten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schützte das Verbot und fand, dass es mit den Grundrechten vereinbar sei.
Die Befürworter argumentierten, Minarette seien ein öffentliches Zeichen des Herrschaftsanspruchs des Islams, der nun auch die Schweiz erreicht habe. Das Minarett sei meistens ein Sieges- und Sichtbarkeitszeichen für den Islam. Zudem hielten viele islamische Staaten nicht oder nicht mehr Gegenrecht beim Bau und der Wiederherstellung christlicher Kirchen.
Die Gründung der Islamischen Volkspartei (IVP) durch den muslimischen Lkw-Fahrer Besim Fejzulahi hat anfang des Monats zu einem Shitstorm geführt. Fejzulahi ist albanischer Herkunft und aus Nordmazedonien. Als er Anfang März 2025 diese Partei ins Leben rief, formulierte er eine klare Ablehnung gegenüber der Islamkritik der Schweizerischen Volkspartei (SVP), der größten Partei der Schweiz, und kündigte an, eine breitere Plattform für den Islam in der Schweiz zu schaffen. Während dies von einigen als ein Schritt hin zu einer stärkeren politischen Repräsentation der muslimischen Gemeinschaft verstanden wird, gibt es Bedenken, dass sich hinter dieser Bewegung Elemente der Scharia und eine institutionelle Verankerung islamischer Werte verbergen könnten, die nichts mit dem Wertesystem der Schweiz zu tun haben. Fejzulahi forderte unter anderem eine Moscheesteuer, staatliche Anstellung von Imamen und eine Aufhebung des Minarettverbotes.
Im Hintergrund dieser Diskussion stehen Befürchtungen, dass Tendenzen in Deutschland in der Schweiz Schule machen könnten. Eine wachsende Zahl von Beobachtern und Journalisten kritisiert die Neigung, den Islam in der Öffentlichkeit zu überhöhen. Beatrice Achterberg, Redakteurin der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) im Berliner Korrespondentenbüro, äußerte sich kritisch zu Ramadanbeleuchtungen, wie es sie in Deutschland bereits gibt – insbesondere nach den islamistisch motivierten Terroranschlägen in dem Land. In einem Kommentar stellt sie fest, dass der Islam in Deutschland bereits viel mehr gefeiert werde als das Christentum, was in einer Gesellschaft, die von Radikalisierung bedroht sei, problematisch sei. Sie beschreibt die Ramadan-Beleuchtung als «fragwürdiges Zeichen» der Toleranz, die eher als ein Symbol der Unterwerfung denn der Akzeptanz gedeutet werden könne.
In einem Kommentar auf Inside Paradeplatz von Ende letzter Woche wurde auf die konservative Islamwissenschaftlerin Amira Hafner-Al Jabaji verwiesen, die gegen emanzipierte Muslimas mobilmacht, aber in politischen Kreisen in der Schweiz wohlgelitten scheint. Sie tritt zum Beispiel als Referentin bei der «Aktionswoche gegen Rassismus» in Basel auf, einer Veranstaltung, die für ihre linke Ausrichtung bekannt ist. Hafner-Al Jabaji, die sich als Streiterin für den interreligiösen Dialog bezeichnet, hat wiederholt emanzipierte muslimische Frauen und kritische Stimmen innerhalb des Islam angegriffen.
Besonders auffällig war ihr Angriff auf Saïda Keller-Messahli, eine prominente Verfechterin der erfolgreichen «Burka-Initiative», die sie in einem Brandbrief diffamierte. Auch SRF kritisierte sie für eine vermeintlich unzureichende Darstellung von muslimischen Verbänden in seinen Programmen. Hafner-Al Jabaji setzt sich für eine konservative Interpretation des Islam ein und relativiert feministische Kritiken am Islam. Sie lehnt westliche Emanzipationskonzepte ab und behauptet, dass die «Unterdrückung» muslimischer Frauen häufig übertrieben dargestellt wird.
Hafner-Al Jabaji positioniert sich als Vertreterin einer nicht-christlichen religiösen Minderheit in der Schweiz, die gegen die westliche Kultur kämpfen wolle. Sie stellt sich gegen die feministische Kritik an der Burka und dem Kopftuch und relativiert die Praxis der Zwangsheirat als «arrangierte Hochzeiten», die in manchen Fällen freiwillig seien. Trotz ihrer akademischen Bildung und Berufung auf eine westliche Gesellschaft scheint sie die über Jahrhunderte bestehende Unterdrückung von Frauen im Islam zu akzeptieren, was sie zu einem kontroversen Beispiel einer vermeintlich emanzipierten muslimischen Frau macht.
Auf der anderen Seite des religiösen Spektrums wird die öffentliche, positive Darstellung von christlichen Werten zunehmend kritisch betrachtet. Ein Ereignis, das dies eindrucksvoll unterstreicht, war die jüngste Reaktion auf eine Parodie des Abendmahls bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2024 in Paris. Der Aktivist Sebastian Lukomski von CitizenGO berichtete von seiner Festnahme, weil er gegen diese öffentliche Beleidigung des Christentums protestierte. Die Reaktionen der französischen Behörden auf seinen Protest werfen ein Schlaglicht auf das wachsende Problem des zunehmenden Misstrauens gegenüber öffentlichen Bekenntnissen zum Christentum.
Der Schweizer Konfliktforscher Moritz Haegi, der sich intensiv mit dem Einfluss des Islam auf die Gesellschaft beschäftigt hat, warnt vor der zunehmenden Tendenz, islamische Gruppen in der politischen Landschaft institutionell zu stärken. Dieser Kurs gehe, so Haegi, Hand in Hand mit einer wachsenden Akzeptanz von islamistischen Tendenzen, die die gesellschaftliche Grundordnung gefährden könnten.
Der Fall der Islamischen Volkspartei, die Forderungen nach der Abschaffung des Minarettverbots und nach der Einführung einer Moscheesteuer stellt, ist ein weiterer Aspekt dieser Auseinandersetzung. Diese Forderungen zielen darauf ab, die muslimische Gemeinschaft in der Schweiz politisch zu stärken und ihre religiösen Institutionen von ausländischem Einfluss zu befreien. Gleichzeitig wird jedoch die Frage aufgeworfen, inwieweit eine solche politische Bewegung den politischen Rahmen der Schweiz destabilisieren könnte, insbesondere wenn ihre Forderungen nach einer stärkeren Berücksichtigung der Scharia Realität werden.
Trotz der politischen Spannungen bleibt die Schweiz in ihrem Umgang mit religiösen Minderheiten und insbesondere dem Islam in einer vielschichtigen Situation. Die Schweiz steht unter dem Druck, sowohl die Rechte religiöser Minderheiten zu schützen als auch die Grundwerte einer säkularen Gesellschaft zu wahren, die auf christlichen, abendländischen Werten basiert, die aber zunehmend erodieren. Der zunehmende politische Einfluss des Islams, symbolisiert durch die Gründung neuer politischer Parteien wie der IVP, fordert die Schweiz heraus, ihre Position zwischen religiöser Toleranz und politischer Sicherheit neu zu definieren.
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