«Aus dem Protest gegen die Corona-Politik als Demokratiebewegung ist inzwischen auch ein Protest gegen die Kriegspolitik als Teil der Friedensbewegung geworden.»
Diesen Befund stellte die Psychoanalytikerin Almuth Bruder-Bezzel am Samstag, dem dritten Tag des Kongresses der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP), in Berlin vor. Sie nahm die drei Jahre Protest in den Blick, seitdem im März 2020 die «Corona-Krise» von der Politik ausgerufen wurde.
Bruder-Bezzel gehörte wie ihr Mann Klaus-Jürgen Bruder selbst zu jenen Wissenschaftlern, welche die offiziellen Corona-Narrative wie auch die damit begründeten Massnahmen hinterfragten und kritisch begleiteten. Wie andere erlebten die beiden deshalb Diffamierung und Ausgrenzung, vor allem in ihrer eigenen Berufsgruppe. Und sie beteiligten sich am Protest gegen eine Politik, die die Interessen der Pharma-Industrie durchsetzte und ihre Machtgelüste gegenüber den Bürgern auslebte. Mit Blick auf den Beginn vor mehr als drei Jahren und die Motivation zum Protest sagte sie:
«Wichtig war für uns, sich nicht blind der Angst hinzugeben, wichtig war, sich zu informieren, nachzufragen, hier war ein gesundes Misstrauen gegen jede Hysterie, gegen unsinnige Anordnungen hilfreich. Ich glaube, niemand hat geahnt, in welchem Ausmass aber die propagandistischen Einflüsse, die Angstmacher und vor allem die Ausgrenzung stattfinden wird.»
Die Psychoanalytikerin beschrieb die Entwicklung der Protestbewegung, deren heterogene Zusammensetzung, ihre Ziele sowie ihre Mittel und Methoden. Mit dem Beginn des Ukraine-Krieges sei die Bewegung erfreulicherweise «ziemlich geschlossen und mit einem einheitlichen Tenor in eine Friedensbewegung übergegangen», stellte sie fest. Rechte Kräfte hätten sich zwar am Protest beteiligt, diesen aber nie dominiert.
Das Fehlen der Linken
«Es scheint so zu sein, dass tatsächlich Rechte auf unseren Demonstrationen immer sichtbarer werden», so Bruder-Bezzel. Das sei aber nur der Fall, weil die organisierte Linke fehle.
«Warum fehlt die Linke? Weil die Linke angepasst, staatsmännisch geworden ist und an ihren Parlamentssesseln klebt.»
Die Linken innerhalb der Protestbewegung müssen ihrer Meinung nach «sichtbarer und hörbarer» werden. Gleichzeitig wandte sie sich gegen Behauptungen, dass die politischen Kategorien «Links» und «Rechts» nicht mehr gültig seien. Dass es «kein rechts und links mehr gebe, ist so unsinnig, wie die Behauptung eines Farbenblinden, dass es Grün oder Rot gar nicht gebe».
Dr. Almuth Bruder-Bezzel (Foto: Tilo Gräser)
Bruder-Bezzel bezeichnete es als erfreulich, dass die Bewegung heterogen zusammengesetzt ist und sich breite Teile der Bevölkerung beteiligen. Das habe aber zur Konsequenz, «dass es unterschiedliche Sichtweisen und längerfristig unterschiedliche Ziele gibt, die auseinanderdriften, sich gegenseitig blockieren können, sich nicht so leicht zu Bündnissen und Kompromissen, gar zu einer organisatorischen Einheit verbinden lassen».
Die Suche nach Auswegen
Aufklärung, Demonstrationen und Kultur – das sind aus ihrer Sicht die wichtigsten Formen des Protests gegen die Corona- und auch die Kriegspolitik. Es bleibe aber die Frage, «ob wir es angesichts der massiven, drohenden und bereits an Fahrt aufnehmenden Neuen Normalität schaffen, qualitativ und quantitativ wieder mächtiger zu werden». Dazu sei aber die Parole «Friede – Freiheit – Selbstbestimmung» zu vage und defensiv.
Zahlreiche Menschen hätten auf die Krisen reagiert, indem sie in Religion oder Esoterik geflüchtet oder aus dem System der kapitalistischen Gesellschaft ausgestiegen seien. Die Psychoanalytikerin sieht das als «Aussteigen aus der Protestbewegung» in ein «Ghetto der Gegengesellschaften». Diese würden meist im Elend enden, habe ihr Fachkollege Peter Brückner einst festgestellt, der die 68er-Bewegung begleitet und analysiert hat.
Die Proteste sind «nur sehr eingeschränkt erfolgreich» gewesen, schätzte sie mit Blick auf die massiven Einschränkungen der Grundrechte und der Massnahmen sowie deren Folgen ein. Die Opposition sei nicht zur Mehrheit geworden, auch wenn sie «keineswegs die kleine Minderheit» sei:
«Sie ist den Herrschenden in der Tat eine Bedrohung, daher hatten die Herrschenden einen Krieg gegen die Bevölkerung entfacht (mit den Massnahmen), und einen Krieg gegen uns, als Feinde.»
WHO als Zentrale der «Neuen Normalität»
Zu den Erfolgen der Protestbewegung zählt für die Psychoanalytikerin, dass die allgemeine Impfpflicht in Deutschland verhindert werden konnte. Die Gesellschaft habe sich verändert, weil viele, die vorher nie oppositionell aktiv geworden sind, begonnen hätten sich zu wehren. Ihr Fazit:
«Die Bewegungen müssen weitergehen und sie werden weitergehen, wir müssen angehen gegen die drohende Umsetzung der Neuen Normalität.»
Wie letzteres geschieht, das beschrieb der Journalist Thomas Oysmüller am dritten Kongresstag am Beispiel der Weltgesundheitsorganisation WHO als «Zentrale der Neuen Normalität». Er zeigte das anhand des geplanten Pandemievertrages sowie der vorgesehenen Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV, englisch: IHR).
Während der Pandemievertrag in der Öffentlichkeit beachtet und kritisiert werde, sei das bei den IGV kaum der Fall. Deren Änderung der Öffentlichkeit vorzuenthalten, könne Absicht sein, so der Journalist. Die geänderten Vorschriften könnten auf der Weltgesundheitsversammlung mit einfacher Mehrheit beschlossen werden, während das beim Pandemievertrag nur mit einer Zweidrittelmehrheit möglich sei.
Der Vertrag muss von den beteiligten Nationen ratifiziert werden. Dagegen treten die Gesundheitsvorschriften zwölf Monate nach der Einigung für alle Staaten verbindlich in Kraft.
«Die IHR sind völkerrechtlich bindend», so Oysmüller. «Ein Staat, der diese missachtet oder ignoriert, dem könnten Sanktionen drohen.»
Entmachtung der Nationalstaaten
Die geplanten Reformen basierten auf den Erfahrungen der herrschenden Elite mit der Covid-Politik, hob er hervor. Und:
«Die WHO-Reform treibt die Militarisierung und die Etablierung einer orwellschen Doppeldenk-Wirklichkeit voran. Darin ist der permanente Kriegs- und Krisenzustand der Normalfall und ‹Gesundheit› wird zu permanenter Krankheit.»
Die WHO werde damit zur «Weltkrankheitsorganisation» sowie zu einer weiteren internationalen Organisation, «die jeglichem demokratischen Prozess entzogen wird, aber echte politische Exekutivmacht erhält und somit die ohnehin kaum mehr vorhandene nationalstaatliche Souveränität weiter abbaut». Oysmüller machte auf die führende Rolle der deutschen Regierung bei den Reformen aufmerksam.
Neben einem «Blankoscheck» für die WHO für die Pandemieprävention gehöre zu den Plänen ein «Turboverfahren» bei der Impfstoffproduktion:
«Vor allem die USA und die EU fordern ausdrücklich eine 100-tägige Entwicklungszeit für Impfstoffe und zusätzliche 30 Tage für die Produktion von Pandemieimpfstoffen. Tests und Studien zur Sicherheit sind bei solch einem Tempo schlichtweg nicht möglich.»
Damit würden die Interessen der Pharmaindustrie und ihrer Finanziers und Anleger wie Bill Gates bedient, mit dem die deutsche Politik eng zusammenarbeite. Das habe zudem nichts mit den Interessen der Menschen zu tun. Das wird auch deutlich daran, dass laut Oysmüller aus den geänderten IGV zeitweise die Begriffe «Menschenrechte, Menschenwürde und Freiheit der Person» gestrichen und erst nach Protesten wieder eingefügt wurden.
Neuer Schub für den Kapitalismus
Werde die Reform der WHO umgesetzt, erhalte diese weitreichende Befugnisse und könne eine Politik der «One Health» durchsetzen. Dieser «holistische» Gesundheitsbegriff schliesst Klima und Umwelt mit ein, wie der Journalist betont. Daraus folge:
«Ein solcher Begriff von Gesundheit verunmöglicht letztlich einen halbwegs gesunden Zustand und bringt die permanente Krankheit hervor. Willkommen bei der Weltkrankheitsorganisation. Damit kann auch die sogenannte Klimakrise zur permanenten Gesundheitskrise gemacht werden und die WHO dafür verantwortlich sein.»
Zuvor hatte die österreichische Historikerin Andrea Komlosy die wirtschaftlichen Hintergründe der Entwicklungen beschrieben. Die «Corona-Krise» gehöre zum «grossen Übergang», erklärte sie. Es handele sich um den «Übergang vom industriellen Prinzip zur kybernetischen Selbstregulierung des Kapitalismus».
Prof. Dr. Andrea Komlosy (Foto: Tilo Gräser)
Die Digitalisierung sei ein weitere Entwicklungsschub in der zyklischen Erneuerung der kapitalistischen Sektoren, so Komlosy. Sie bezeichnete den Kapitalismus als «sehr kompetent im Überwinden von Krisen», was auch derzeit wieder zu beobachten sei.
Neue Leitsektoren würden sich gegenwärtig innerhalb des kapitalistischen Systems herausbilden, ausgehend vom Medizinbereich, dem Biotech-Bereich der kognitiven Sektoren, in Verbindung mit Informatik und Robotik: «Wichtig ist aber auch die Nanoindustrie, also die Verkleinerung und Miniaturisierung.»
Gesundheitswesen als «zentrale Transformationsbranche»
Die Corona-Massnahmen seien «ein Anschub für diesen Übergang», mit der gezielt erzeugten Angst als «Beschleuniger». Das Ziel: «die Regeneration des globalen Kapitalismus dadurch voranzubringen». Die Massnahmen beschleunigen nach Meinung der Historikerin den «Anbruch dieses neuen menschheitsgeschichtlichen Zeitalters des kybernetischen Kapitalismus».
«Ich gehe nicht davon aus, dass der Kapitalismus dadurch ausser Kraft gesetzt wird, sondern quasi neue Nahrung, neues Blut erhält, wenn man so will, neue Nachfrage, neue Akkumulationsmöglichkeiten.»
Die Planspiele vor der «Corona-Krise», wie «Event 201», folgten aus ihrer Sicht «keinem grossen Plan», sondern seien «Instrumente der Koordination und Einstimmung der Akteure auf diese konzertierte Aktion des Schocks der Disruption, die eben in den Massnahmen enthalten waren». Das Gesundheitswesen sei die «zentrale Transformationsbranche des kybernetischen Kapitalismus». Sie diene zudem dazu, die Überwachung der Gesellschaft auszubauen.
Die Digitalisierung mit ihren aktuell zu erlebenden Elementen weist laut Komlosy in Richtung des Transhumanismus, der Verschmelzung von Mensch und Maschine. Der Treibstoff des kybernetischen Kapitalismus seien die Daten, die von Unternehmen wie Google Economics als «herrenloser Rohstoff» bezeichnet werden. Die IT-Konzerne würden seit Jahren in den Gesundheitsbereich vordringen, um Daten abzuschöpfen und für individualisierte Produkte zu verarbeiten.
Mit alldem geht laut der Historikerin eine «Normalisierung der Überwachung» einher. Sie werde von der Mehrheit der Menschen als selbstverständlich akzeptiert, weil «dadurch das Leben eben einfacher und bequemer wird». Der digitale Kapitalismus ist ein «Überwachungskapitalismus», stellte Komlosy klar.
Hoffnung auf Widerstand
Als Folgen nannte sie den Verlust der Kontrolle über den Körper, von persönlichen Beziehungen, die Abhängigkeit von Geräten, Programmen, Produkten. Dazu gehört ebenso «der Verlust von Wissen, wie wir gut leben können, wie wir uns selbst heilen können, wie wir uns gegenseitig unterstützen können und Vorsorge treffen können». Komlosy fügte am Schluss hinzu:
«Wenn diese Erwartungen ins Digitale enttäuscht werden, besteht natürlich Hoffnung auf Widerstand und auf selbstbestimmte Alternativen.»
Zum Programm des dritten Tages des Kongresses der kritischen Psychologen gehörte ausserdem ein Vortrag des österreichischen Publizisten Hannes Hofbauer. Er sprach über die Folgen der westlichen Sanktionspolitik gegen Russland.
Hannes Hofbauer (Foto: Tilo Gräser)
Die Frage der Ursachen und Wirkungen der Sanktionen passe sehr gut zum Kongressthema, erklärte Hofbauer. Er begründete das damit, dass «wir ja nicht nur eine neue Normalität des Einzelnen und des sozialen Gefüges haben, in den einzelnen Gesellschaften, sondern eben auch geopolitisch und weltwirtschaftspolitisch.»
Die westlichen Sanktionen haben keinerlei völkerrechtliche Grundlage, stellte er auf eine Publikumsfrage hin klar. Sie seien Ausdruck des Prinzips des Rechts des wirtschaftlich und auch militärischen Stärkeren, nach dem die immer noch global dominierenden USA vorgehen.
Gefragt nach den Möglichkeiten des Widerstandes verwies er auf Länder wie Ungarn und die Slowakei, die sich dem Sanktionskurs widersetzten. Aber auch Russland selbst sei nicht geschwächt, sondern gestärkt hervorgegangen, auch durch die Annäherung an China.
Mit der Militarisierung der Gesellschaft werde die Demokratie zerstört, erklärte der Journalist Uli Gellermann in seinem Kongress-Beitrag am Samstag. Der Psychologe Christian Dewanger setzte sich mit der Rolle der Identität bei der Steuerung der Bevölkerung auseinander. Der Historiker Malte Griese analysierte am Kongressende die Geschichte des «unprovozierten Angriffskriegs» Russlands gegen die Ukraine, bevor er mit Annette Ruprecht den Abschluss des NGfP-Kongresses musikalisch gestaltete.
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