Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung von l’AntiDiplomatico übernommen.
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Am 2. April 2025 hielt Donald Trump im Rosengarten des Weißen Hauses ein Blatt Papier hoch. Es war die Liste der «Handelsfeinde», eine Liste von Staaten, die den US-amerikanischen Traum ausgenutzt hatten – von Ländern, die, oft bürokratisch verschleiert, Zölle auf Produkte aus den USA erhoben hatten. Mit diesem Schritt läutete der Präsident offiziell die neue Welthandelsordnung ein: weitreichende Zölle, bilaterale Drohungen und eine Weltsicht, in der Handel als Krieg verstanden wird. Das Ziel: die Umstrukturierung des globalen Handelssystems, einer Struktur, die von allen Seiten undicht war und modernisiert werden musste.
Und die Europäische Union? Sie reagierte wie üblich: mit einer Mischung aus Unsicherheit, Langsamkeit und letztlich Unterwerfung.
Politikern und Ökonomen zufolge hätte Trumps Schritt die US-Wirtschaft in eine Rezession stürzen müssen. Stattdessen stiegen die Aktienindizes – angeführt vom S&P 500 und dem Nasdaq – auf Allzeithochs. Weil die US-Wirtschaft unerwartete Widerstandsfähigkeit gezeigt hatte. Inflation bei 2,7 Prozent, Arbeitslosigkeit stabil bei 4,1 Prozent, starke Konsumausgaben und Unternehmen wie Google, Netflix und Delta Airlines übertreffen die Erwartungen. Selbst General Motors erhöhte die Autopreise nicht, obwohl es durch Zölle auf Autos und Ersatzteile 1,1 Milliarden Dollar einbüßte.
US-Unternehmen schluckten die Zölle trotz der Belastung. Manche sagen, um Vergeltungsmaßnahmen des Präsidenten zu vermeiden, vielleicht aber auch einfach, weil sie es sich leisten konnten. Und die Märkte? Sie sind dankbar.
Konfrontiert mit der Verhandlungsstrategie des US-Präsidenten agierte die EU wie ein Bürokrat in Zeitlupe. Am 10. April setzte sie die Vergeltungszölle aus und stimmte Gesprächen mit Washington zu. Und aus diesen Gesprächen entstand ein Meisterwerk diplomatischer Kapitulation: die Akzeptanz des 15-prozentigen Basiszolls, der auch Schlüsselsektoren der Automobilindustrie einschloss, während Stahlwerke in ein demütigendes Quotensystem verbannt wurden.
Während China und Kanada eine sofortige Reaktion koordinierten, setzte Brüssel auf «strategische Geduld» und einen Plan, der auf drei Illusionen basierte: mehr Gas und Waffen von den USA kaufen, mit entsprechenden Gegenzöllen antworten und eine «mögliche» Vergeltung vorbereiten. Doch Trump agierte schneller und geschickter. Und die EU reagierte gespalten und verwirrt: Berlin suchte nach einem «Ausgleich», um seine Autoexporte zu schützen, Dublin war besessen von Whiskey-Exporten und Paris sorgte sich um seine Spirituosen. Die Kommission wurde zu einem Ring aus nationalem Druck und strategischen Verzögerungen. Ein Desaster.
Ein Vorgeschmack der drohenden Kapitulation kam aus Asien. Die europäische Mission in Peking wurde vorzeitig abgebrochen: keine Einigung, nur Frustration. Hoffte Europa, eine Alternative zu Washingtons Würgegriff auszuhandeln? Möglich, aber unter für Peking inakzeptablen Bedingungen. China zeigte trotz der Zölle Einigkeit und nutzte Europas strategisches Vakuum.
Inzwischen unterzeichnete Trump ein Handelsabkommen mit Großbritannien – dieselbe Formel: 10 Prozent Zölle im Austausch für privilegierte Beziehungen. Für die EU wieder einmal nur eine Randerscheinung.
Heute steht die Welt Kopf: 10 Prozent sind zur neuen Null geworden. Und wenn Trump mit 25 Prozent droht, aber 15 Prozent gewährt, werten die Märkte das als Sieg. Die Verhandlungskunst in Europa hat sich in ein Spiel der Wahrnehmungen verwandelt, in dem die EU, immer noch an ihre eigenen Verfahren gebunden, einen Straßenkampf nach englischen Boxregeln austrägt.
Selbst Vermittlungsversuche von Maroš Šefčovič, EU-Kommissar für Handel und wirtschaftliche Sicherheit sowie für institutionelle Beziehungen und Transparenz, – mehr als 100 Stunden Verhandlungen – wurden ignoriert. Trump ließ nicht locker: «Keine 10 Prozent, jetzt sind es 30 Prozent.» Und die EU hat erneut nachgegeben.
Was sich abzeichnet, ist beunruhigend: Europa ist nicht nur militärisch schwach, sondern auch wirtschaftlich impotent. Es ist in Sicherheitsfragen (Ukraine, NATO), Technologie und Energie von den USA abhängig. Trump weiß das und nutzt es aus. Er weiß auch, dass die Kommission zwischen von der Leyens Tauben und den entschärften Falken gelähmt ist. Das Ergebnis? Eine EU, die eine Nettozollerhöhung von 1,6 % (vor Trump) auf 15 Prozent akzeptiert und versucht, sie als «Status-quo-Abkommen» zu verkaufen.
Die Wahrheit ist: Die Europäische Union ist überfordert, weil sie nicht mit einer Stimme, sondern mit vielen, zu vielen abweichenden Stimmen dasteht. Brüssel hat weit mehr als nur eine Handelsrunde verloren: Es hat die Chance verpasst, als geopolitischer Akteur aufzutreten. Den Preis für diese Kapitulation werden wir in den kommenden Jahrzehnten zahlen, wenn es für eine Kursänderung zu spät sein wird.
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Loretta Napoleoni ist eine international anerkannte Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie hat an den Cambridge Judge Business Schools gelehrt und wurde 2009 als Rednerin auf die TED-Konferenz zu Terrorismusfragen eingeladen. Im Jahr 2005 leitete sie die Expertengruppe für Terrorismusfinanzierung auf der vom Club de Madrid organisierten internationalen Konferenz über Terrorismus und Demokratie. Napoleoni ist Autorin mehrerer erfolgreicher Bücher, darunter «Terrorismo SPA» und «Maonomics», das in 18 Sprachen, darunter Arabisch und Chinesisch, übersetzt wurde, sowie «ISIS, lo stato del terrore» (ISIS, der Terrorstaat), das in 20 Ländern veröffentlicht wurde. Ihr neuestes Buch trägt den Titel «Technocapitalism».