Im politischen und medialen Establishment der Bundesrepublik Deutschland und des Westens herrscht derzeit helle Aufregung. Da hat sich der Präsident der USA in Gestalt des ungeliebten und ungewollten Donald Trump mit dem noch ungeliebteren und ungewollteren Präsidenten Russlands Wladimir Putin getroffen. Dann schienen sich beide bei ihrer Begegnung auf US-Territorium in Alaska auch noch gut zu verstehen – und Putin fährt zudem in Trumps Präsidentenlimousine mit, als wäre es das Normalste der Welt.
Ja, das sollte es sein – immerhin handelt es sich um die Staatschefs der beiden größten Atommächte, die immer noch das Potenzial haben, nicht nur einander gegenseitig, sondern die Erde mehrfach zu vernichten. Das gilt es zu verhindern, wofür der beste und erste Weg ist, dass beide endlich wieder miteinander reden, was zu lange zu wenig bis gar nicht geschah.
Wenn Trump und Putin damit beginnen, wieder normale Beziehungen zwischen beiden Ländern herzustellen, dann nutzt das auch der Ukraine – auf deren Territorium seit Jahren ein Stellvertreterkrieg gegen Russland geführt wird, begonnen von den USA, die diesen nun beenden könnten. Ob das auch geschieht, werden wir sehen, und es wird sich zeigen, ob diese Entwicklung dauerhaft ist.
Doch im Unterschied zu Trump können die deutschen Medien und «Experten» sich nicht einmal die Frage stellen, ob die russische Sicht nicht vielleicht berechtigt ist, und wenn es nur aus Moskauer Perspektive ist. Ein Grundsatz der Diplomatie ist die Fähigkeit, «sich in die Schuhe des anderen zu stellen». Oder wie es die nordamerikanischen Indianer sagen:
«Gehe hundert Schritte in den Schuhen eines anderen, wenn du ihn verstehen willst.»
Fast könnte sinnbildlich dafür stehen, dass Putin mehrere Meter oder Kilometer in Trumps Präsidentenlimousine mitgefahren ist. Russlands Präsident und andere Spitzenpolitiker haben zuvor mehrfach darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, die andere Seite zu verstehen, wenn ein Konflikt gelöst werden soll.
Westliche Unfähigkeit
Aber das können die Politik- und Mediendarsteller im Westen und vor allem in Deutschland anscheinend nicht, beziehungsweise, sie wollen es eben nicht. Wenn sie es könnten und wollten, gebe es den Krieg nicht. Wobei hierbei auch die Frage zu beantworten bleibt, ob der Krieg aus Sicht des Kapitalismus nicht folgerichtig war und ist.
Krieg ist zum einen immer auch ein Mittel, um Krisen zu lösen. Zum anderen ist er die Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln und sichert zumindest kurzfristig Maximalprofite, für die es in Friedenszeiten mehr Zeit braucht. Dennoch ist auch die friedliche Konfliktlösung überlebensnotwendig für alle, da es sich eben bei den USA und Russland um die größten Atommächte handelt. Das scheint zumindest in Moskau und Washington begriffen worden zu sein.
Jedenfalls zeigen die deutsche Politik und die mit ihr verbundenen Medien nicht nur Unzufriedenheit mit dem Alaska-Gipfel, sondern auch Konfusion, weil sie nicht mehr zu wissen scheinen, wie sie damit umgehen sollen. Ihre Berichte und Reaktionen zu dem Treffen in Anchorage zeugen davon ebenso wie die gemeinsame Reise des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) mit anderen EU-Politikern am Montag, um den Kiewer Präsidentendarsteller Wolodymyr Selenskyj bei seinem Treffen mit Trump nicht allein zu lassen.
Was dieses Schauspiel soll, nach all den bisherigen Telefon- und Videokonferenzen, nach deren letzter Trump auf dem Flug nach Alaska erklärte, er lasse sich von den Europäern nicht vorschreiben, was er mit Putin zu besprechen hat, ist nicht klar. Bis heute fehlt auch nur der Ansatz einer echten Friedensinitiative aus der EU, um den Krieg in der Ukraine so schnell wie möglich zu beenden. Stattdessen kommt von Merz und Co. nur die alte tödliche Leier: mehr Geld und mehr Waffen für Kiew.
Vernünftige Stimmen
Es gibt zum Glück noch andere Stimmen als die russophobe und kriegsbegeisterte Kakophonie aus dem politischen und medialen Establishment in Berlin und Brüssel. Dazu gehört die Außenpolitikexpertin und frühere EU-Mitarbeiterin Petra Erler, die feststellte, dass Putin und Trump sich zu einem «Dringlichkeitsgipfel» trafen, um zu «versuchen zu retten, was noch zu retten ist. So wie es ist, darf es nicht weitergehen.»
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner (SPD) sagte gar, der Gipfel habe «die bis dato größte Hoffnungsperspektive» für ein rasches Ende des Ukraine-Krieges eröffnet. Und fügte hinzu, leider mit den anscheinend üblichen unsachlichen Bewertungen von Putin und Trump:
«Alles andere – Waffenlieferungen und erst recht starke Rhetorik – haben bislang null Bewegung in diese Richtung gebracht.»
Das ist doch das Wichtigste: All die Kriegstreiberei hat nichts gebracht außer immer noch viel zu viele Tote, Verwundete, Verstümmelte, Zerstörung und Not in der Ukraine. Und das Ziel westlichen Größenwahns und Imperialismus, Russland zu «ruinieren» oder wenigstens einen Regimewechsel in Moskau zu erreichen, hat sich erwartungsgemäß als unrealistisch gezeigt.
«Die Europäer müssen, auch die Medien, sich mal darüber im Klaren werden, was sie eigentlich wirklich wollen», erklärte Harald Kujat, ehemaliger Bundeswehr-Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, am Sonntag im Gespräch mit der Schweizer Zeitung Die Weltwoche. Es sei klar gewesen, dass Trump und Putin beim Gipfel keine Vereinbarung zum Kriegsende in der Ukraine ohne diese treffen.
«Es war offensichtlich so, dass die Europäer grundsätzlich den Fuß in der Tür haben wollen, dass sie irgendwie dabei sein wollen, aber man muss eben ihnen auch sagen: Ihr habt dreieinhalb Jahre nichts dafür getan, dass dort Frieden entsteht.»
Die Ausnahme sei der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán, der versucht habe, die EU aus ihrer Sackgasse herauszuholen und dafür heftig kritisiert worden sei. Kujat bewertet den Gipfel positiv und macht gegenüber der Weltwoche darauf aufmerksam, dass es gerade bei schwierigen Komplexen wichtig sei, der anderen Seite ein Mindestmaß an Vertrauen entgegenzubringen.
Wichtiges Vertrauen
Der Ex-Bundeswehr-General verweist auf das offensichtlich gute Verhältnis, dass sich zwischen Putin und Trump gezeigt habe. Zu beobachten bleibe, ob sich die EU-Politiker nun tatsächlich in die Bemühungen des US-Präsidenten integrieren werden und nicht Bedingungen stellen, die nicht erfüllbar seien. Sie dürften sich «auch von Selenskyj nicht instrumentalisieren lassen».
Es hänge jetzt alles von Selenskyj ab und die EU-Politiker müssten Trump unterstützen, auch auf Selenskyj Einfluss zu nehmen, um den Krieg zu beenden. Es gehe «nicht um die ukrainische Regierung, es geht nicht um den ukrainischen Präsident, es geht um das ukrainisch Volk, das in dieser ganz schwierigen Lage ist, nun seit dreieinhalb Jahren», so Kujat.
«Es gibt nur einen Weg, um eine katastrophale militärische Niederlage der Ukraine zu verhindern. Und dieser Weg heißt Friedensverhandlungen. Das ist entscheidend.»
Der Ex-General wundert sich auch, warum noch kein EU-Politiker Selenskyj aufgefordert hat, sein eigenes Dekret vom Dezember 2022 aufzuheben, das Verhandlungen mit Russland und mit Putin verbietet. Er setzt darauf, dass zumindest Russland und die USA anscheinend «ein so vertrauensvolles Verhältnis hergestellt haben». Kujat zeigt sich überrascht von Trumps Kurswechsel, indem er vom Streben nach einem schnellen Waffenstillstand, der wahrscheinlich nicht halten würde, umschwenkte auf einen «klaren Verhandlungskurs».
Das sieht er als den entscheidenden Punkt des Alaska-Gipfels und zugleich als den «einzig erfolgversprechenden Weg» für ein Ende des Ukraine-Krieges. Auch der britische Politikwissenschaftler Anatol Lieven, der in den USA arbeitet, findet, dass Trump mit seinem Kurs «richtig liegt».
Gefährliche Unfähigkeit
In einer am Sonntag im Onlinemagazin Responsible Statecraft veröffentlichten Analyse zum Alaska-Gipfel bezeichnet Lieven es als «Unsinn», wenn die meisten westlichen Kommentatoren behaupten, Trump habe sich «auf die Seite Putins» gestellt:
«Trump hat sich lediglich der Realität angepasst, und der eigentliche Vorwurf gegen ihn lautet, dass er dies wahrscheinlich von Anfang an hätte tun und damit sechs Monate fruchtloser Verhandlungen und tausende ukrainische und russische Menschenleben hätte sparen sollen. Darüber hinaus hat sich Trump durch die ständige Betonung eines vorherigen Waffenstillstands als sein wichtigstes Ziel genau der Kritik ausgesetzt, die ihm nun entgegengebracht wird.»
Der US-Präsident habe Recht, wenn er «direkt zu einem Friedensabkommen kommen will, das den Krieg beendet, und nicht zu einem bloßen Waffenstillstand, der oft nicht hält». Die russische Seite habe von Beginn der Verhandlungen an klar gemacht, dass sie einem bedingungslosen Waffenstillstand nicht zustimmen würde.
Die Weigerung westlicher Analysten und europäischer Regierungen, dies anzuerkennen, zeuge «entweder von einer Unfähigkeit, offensichtliche Realitäten zu verstehen, oder von dem Wunsch, dass der Krieg unbegrenzt fortgesetzt wird, in der Hoffnung, dass Russland schließlich den aktuellen ukrainischen Friedensbedingungen zustimmen wird», so Lieven.
Doch Letzteres sei unrealistisch, während die Forderung nach einem Waffenstillstand ohne Friedensabkommen auch den tatsächlichen Interessen der Ukraine und Europas widerspreche. Ein solcher Waffenstillstand wäre äußerst fragil, selbst wenn er nur zu einem halb eingefrorenen Konflikt führen würde, der jederzeit wieder aufflammen könnte, schätzt der Politologe und Russlandexperte ein.
Für ihn ist es verständlich, dass beide Seiten einander misstrauen. Aber ein «halb eingefrorener Konflikt wäre auch für den gesamten europäischen Kontinent schlecht». Er würde ein langfristiges Risiko für eine Rückkehr zum Krieg in der Ukraine und eine Verstrickung Europas in diesen Krieg mit sich bringen, so Lieven. Dann wäre aber eine langfristige militärische Unterstützung Europas durch die USA «ganz offensichtlich nicht mehr gewährleistet».
Klare Aussagen
Er geht auch auf die Frage der Sicherheitsgarantien für die Ukraine ein, ohne darauf hinweisen, dass selbst Putin diese anerkannt hat. Zugleich übersehen Lieven wie auch andere Beobachter die Aussage des russischen Präsidenten, der zum Gipfelabschluss den Krieg in der Ukraine als «Tragödie – eine furchtbare Wunde» bezeichnet hat und hinzufügte: «Deshalb ist Russland aufrichtig daran interessiert, dem ein Ende zu setzen.»
Laut dem US-Sondergesandten Steve Witkoff hat sich der russische Präsident gegenüber Trump dazu bereit erklärt, gesetzlich zu verankern, dass Russland nach einem Friedensabkommen keine weiteren Gebiete der Ukraine annektieren wird. Putin habe zudem zugesagt, keine europäischen Grenzen zu verletzen, sagte Witkoff am Sonntag gegenüber dem US-Sender Fox News.
Letzteres würde der wahnwitzigen Aufrüstung im Westen und vor allem in der EU den Boden entziehen, wird diese doch mit dem angeblich drohenden Angriff Russlands auf NATO und EU begründet. Politologe Lieven warnt, «am schlimmsten» wäre, dass die sogenannte europäische «Koalition der Willigen», zumindest laut ihrer jüngsten Erklärung vom 13. August, versuchen könnte, einen Waffenstillstand zu nutzen, um eine europäische Militärmacht in die Ukraine zu entsenden.
«Das ist entweder Wahnsinn oder Doppelzüngigkeit, denn jede europäische Regierung (und die Biden-Regierung) hat bereits erklärt, dass sie nicht bereit ist, einen Krieg zur Verteidigung der Ukraine zu führen. Selbst die polnische Regierung hat die Entsendung von Truppen in die Ukraine ausgeschlossen.»
Lieven meint, dass viel mehr über die aktuellen Bedingungen Russlands zu erfahren sei, wenn Trump am Montag mit Selenskyj zusammentrifft. Trump betreibe eine Art Pendeldiplomatie zwischen den beiden Konfliktparteien, wobei ihm der moralische Mut dazu zuzugestehen sei.
Anhaltende Zweifel
Russlands Präsident Putin sei kaum der «globale Paria», als den ihn westliche Politik und Medien gerne darstellen. Er sei eindeutig bestrebt, die Beziehungen zu den USA wiederherzustellen und sie mit Trump aufrechtzuerhalten. Lieven fügt hinzu, «und wenn ein persönliches Treffen mit dem US-amerikanischen Präsidenten und eine Fahrt in der Präsidentenlimousine der Preis für die Reduzierung der russischen Forderungen an die Ukraine sind, dann ist das ein Preis, der es wert ist, gezahlt zu werden».
Leider geht der britische Politologe, wie die meisten Beobachter, nicht auf die russischen Forderungen weiter ein, einen NATO-Beitritt der Ukraine auszuschließen. Das gehört zu den grundlegenden Sicherheitsinteressen Russlands, über die im Zusammenhang mit dem Alaska-Gipfel kaum gesprochen wird. Immerhin erwähnt er unter anderem Ex-General Kujat, der im Gegensatz zu vielen westlichen Politikern, Medien und «Experten» von einem «äußerst positiven» Gipfel in Alaska spricht.
Der zeigte übrigens schon geographisch, dass Russland und die USA nicht die Westeuropäer brauchen, um zusammenzukommen und miteinander zu sprechen, denn sie sind ganz einfach Nachbarn. Andererseits sind Nachbarschaftsstreitigkeiten im Alltag wie in der internationalen Politik häufigster Anlass für Konflikte. Sie sind jeweils nur durch Gespräche und Verhandlungen zu lösen.
Wir werden sehen, ob Trump und Putin einen Anfang dafür gemacht haben, um den Stellvertreterkrieg in der Ukraine zu beenden. Danach gibt es noch genügend Anlass für Gespräche und Verhandlungen, um Konflikte in anderen Weltregionen zu lösen, anstatt sie zu verschärfen. Das hängt auch davon ab, ob mit Trump tatsächlich eine Abkehr von der zugrundeliegenden US-Dominanzpolitik erfolgt – Zweifel daran sind weiter angebracht.
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