Die Kriegstreiberei erfasste in ebenso bizarrer Weise
Skandinavien, das für lange Zeit
ein friedliebendes Temperament gezeigt hatte
und eher zur Neutralität als zum Konflikt geneigt hatte.
Emmanuel Todd in «Der Westen im Niedergang»
Liebe Leserinnen und Leser
Keine Neutralität ohne Souveränität – diese einfache Formel betrifft aus meiner Sicht angesichts dessen, was derzeit nicht nur in der Schweiz geschieht. Das gilt nicht minder für Österreich, Finnland und Schweden, auch für die Ukraine oder Moldawien.
Der in den Verfassungen dieser Länder verankerte Status der Neutralität wurde und wird ins Visier jener genommen, für die die Welt nur nach dem Freund-Feind-Schema funktioniert. Das ist schon länger so und zeigt sich aber in Folge des Krieges in der Ukraine umso deutlicher.
Ein Teil des Krieges des US-geführten Westen gegen Russland ist der Wirtschaftskrieg mit den Sanktionen. Damit das Sanktionssystem funktioniert und sich möglichst viele beteiligen, muss die Neutralität der nicht Krieg führenden Länder aufgehoben werden, wie der französische Anthropologe Emmanuel Todd in seinem neuen Buch über den Niedergang des Westens erklärt.
«Damit dieses wirksam ist, muss der Rest der Welt es auf Antrag – falls es einen Antrag gibt – der Macht anwenden, die dies beschlossen hat. Wenn das Land, an das der Antrag gerichtet ist, ein Verbündeter ist, gibt es natürlich keine Probleme. Wenn es neutral ist, wird es unter Druck gesetzt werden.»
Das ist das, was derzeit geschieht und unter anderem zum Nato-Beitritt einst neutraler Länder wie Finnland und Schweden geführt hat – abgesehen davon, dass das schon lange vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine vorbereitet wurde. Das gilt auch für die Tatsache, dass die Neutralität der Schweiz aktuell so unter Beschuss geraten ist, wie es Daniel Funk in seinem Beitrag beschreibt, auf den dieser Newsletter aufmerksam macht.
Zu den Ergebnissen gehört, dass die Schweiz schon im März 2022 die meisten Sanktionen gegen Russland beschlossen hatte und bereits zu dem Zeitpunkt laut Handelszeitung «Sanktionskönigin» war. Und was die Annäherung an die NATO angeht, so ist die meiner Ansicht schon ziemlich weit gediehen, wenn zum Beispiel Schweizer Soldaten als Teil der NATO-Mission Kfor im Kosovo im Einsatz sind, samt NATO-Windrose an der Uniform.
Es bleibt die Frage, warum das so ist und warum diese Länder ihre zum Teil als «immerwährend» bezeichnete Neutralität aufgeben. Aus meiner Sicht hat das etwas mit der Frage zu tun, wie souverän ein Staat ist und sein kann. Denn nur ein wirklich souveräner Staat entscheidet frei, in welches Lager er sich gesellt oder ob er neutral ist beziehungsweise bleibt.
Und es ist die Frage, wie wirkliche Souveränität in einer Welt, die immer noch von den USA mit ihrer Währung Dollar und ihrer Militärmacht beherrscht wird, möglich ist und gesichert werden kann. Es gibt Gegenbewegungen wie der lose Zusammenschluss von Staaten unter dem Label BRICS zeigt, die sich in wenigen Tagen zum Gipfel im russischen Kasan treffen.
Das ist eine interessante Entwicklung, dass mehr und mehr Länder versuchen, sich der US-Vorherrschaft zu entziehen, während gleichzeitig neutrale Länder sich dieser unterordnen. Das hat auch mit der Frage zu tun, wie unabhängig und souverän die politische Klasse in diesen Ländern ist, was ebenfalls für Länder wie die Bundesrepublik Deutschland gilt, in deren Geschichte die Möglichkeit der Neutralität kurz diskutiert und dann aber schnell beiseite gewischt wurde aufgrund der US-Interessen.
Auf jeden Fall entsteht mehr als ein Loch in der politischen Weltkarte, wenn Länder wie die skandinavischen oder die Schweiz ihre Neutralität aufgeben. Damit wird unter anderem ihre wichtige Rolle für den Dialog und Ausgleich sowie als Ort für Verhandlungen zunichte gemacht, die unter anderem half, im Kalten Krieg des 20. Jahrhunderts den Frieden weitgehend zu bewahren. Das gilt auch für die Suche nach einer Lösung im Nahost-Konflikt.
Zu befürchten bleibt, dass die USA in ihrem von Wissenschaftlern wie Emmanuel Todd ausgemachten Untergang noch weitere Länder mit in den Abgrund reißen, über ihre bisherigen offiziellen «Verbündeten» hinaus. Der Abschied von der Neutralität ist ein Schritt hin zum Abgrund – aufhalten könnte das nur eine neue Bewegung für Souveränität.
Diese gibt es nicht gratis und nicht ohne Konflikt, wie sich gerade am Beispiel Ungarn zeigt. Aber wer die multipolare Weltordnung mitgestalten und deren Chancen nutzen will, kann das nur als souveränes Land – wie die BRICS-Staaten es derzeit vormachen und versuchen.
Ich gestehe, dass ich auf eine Reihe der erwähnten Fragen (noch) keine Antwort habe und denke, dass wir diese gemeinsam suchen und finden müssen, denn es gibt keine Souveränität ohne mündige Bürger, die sich einbringen. Jetzt wünsche ich Ihnen erst einmal wieder viel Wissensgewinn und Lesefreude mit den Beiträgen bei Transition News und ein entspanntes Wochenende.
Herzliche Grüße
Tilo Gräser
***********************
Hinweise:
Herzlichen Dank an alle, die Transition News treu unterstützen und damit unsere Arbeit und Unabhängigkeit erst ermöglichen!
***********************

Es bereitet sich etwas vor: im Finanzsystem, in Israel und der Ukraine. Stand der Dinge am 26. September 2024
Inhalt:
- Situation auf den globalen Finanzmärkten 3:09
- Israel plant offenbar eine ethnische Säuberung des Südlibanon 14:47
- Vizekanzler Habecks letzte Tage 18:45
- Keine Entspannung in der Ukraine in Sicht 20:19
- Erfolg für die Landschaftsschützer: Windkraftpark im Berner Jura abgelehnt 22:11
- Urban agriculture Netzwerk in Basel: Über 100 Projekte machen mit 23:20
- Grenzen setzen oder überschreiten – das ist die Frage 41:19
Redaktion und Moderation Christoph Pfluger
https://transition-tv.ch/
***********************
Transition News-Jahrbuch 2023
Unser Jahrbuch 2023 ist erhältlich. Das übergeordnete Thema ist die Spaltung der Gesellschaft und wie sich diese überwinden lässt.
Das Buch aus einer Sammlung der besten Beiträge von Transition News aus dem vergangenen Jahr. Hinzu kommen Gastbeiträge von bekannten Autoren, darunter Milosz Matuschek, Christian Kreiß, Ernst Wolff und Christoph Pfluger. Zu den untergeordneten Themen gehören Krieg, Corona, Wirtschaft, Klima, künstliche Intelligenz und die Gender-Ideologie.
Unser Jahrbuch bieten wir hier zum Verkauf an. Als Geschenk werden es Großspender und diejenigen erhalten, die ein Spenden-Abo lösen.

***********************

Weitere Themen im neusten Zeitpunkt:
• Nuklear-Terrorismus – der versteckte Einsatz von kleinen Atomwaffen hat begonnen
• Der Fliegenpilz – ein Revolutionär
• Die positive Seite von Widrigkeiten – sie bereiten uns auf die grossen Herausforderungen des Lebens vor
• und vieles mehr.
Für Fr./€ 15.– bestellen.
***********************

Hier finden Sie unsere neuen Podcasts.
***********************