Für die Umfrage des European Council on Foreign Relations wurden Mitte Mai Einwohner von zehn europäischen Ländern befragt, darunter aus Grossbritannien, Finnland, Frankreich, Polen, Deutschland, Italien, Portugal, Rumänien, Spanien und Schweden.
Mit Ausnahme von Polen sind in allen Ländern jene Befragten in der Mehrheit, die Frieden wollen, auch wenn dies territoriale Zugeständnisse der Ukraine bedeutet. Am stärksten an Frieden interessiert sind die Italiener, wo eine absolute Bevölkerungsmehrheit von 52 Prozent ein Ende des Konflikts wünscht. In Deutschland wollen 49 Prozent der Befragten Frieden, während nur 16 Prozent für eine Fortsetzung des Krieges sind.
Rumänien folgt mit einem Verhältnis von 42:23, Frankreich mit 41:20 und Schweden mit 38:22. Im Gegensatz dazu wollen 41 Prozent der Polen, dass Russland besiegt und bestraft wird, während nur 16 Prozent ein ausgehandeltes Friedensabkommen unterstützen.
In Deutschland steht die AfD mit 78 Prozent am deutlichsten für Friedensverhandlungen. Bei den Sozialdemokraten beträgt der Anteil der Friedensbefürworter 55, bei der CDU/CSU 43 Prozent. Selbst bei den Grünen, die sich am stärksten für eine Aufrüstung der Ukraine stark gemacht haben, liegt der Anteil der Friedensbefürworter mit 35 Prozent deutlich über denjenigen, die den Krieg weiterführen wollen (22 Prozent).
In den Augen der meisten Europäer gibt es einen eindeutigen Verursacher des Krieges: 73 Prozent aller Befragten geben Russland die Schuld, während 15 Prozent der Meinung sind, dass die Ukraine, die Europäische Union und die Vereinigten Staaten dafür verantwortlich sind.
Als Haupthindernis für den Frieden sehen fast zwei Drittel (64 Prozent) der Europäer Russland, während 35 Prozent die Ukraine und den Westen dafür verantwortlich machen, obwohl sich diese besonders für eine Fortsetzung des Krieges einsetzen.
Frieden ist nicht gleich Frieden: Auf die Frage, ob der Krieg zu einem Abbruch der Beziehungen zu Russland führen sollte, würden 50 Prozent derjenigen, die sich als Friedensbefürworter bezeichnen, alle wirtschaftlichen, 42 Prozent alle kulturellen und 40 Prozent alle diplomatischen Beziehungen zu Russland beenden.
Unter den Kriegsbefürwortern sind 82 Prozent für ein Verbot russischer Öleinfuhren, 81 Prozent würden der Ukraine zusätzliche Waffen liefern, und immerhin eine knappe Mehrheit von 52 Prozent würden sogar EU-Truppen zur Verteidigung der Ukraine entsenden (und damit einen Weltkrieg riskieren).
Auch unter den Friedensbefürwortern sind 52 Prozent für ein Ölembargo, 47 Prozent für Waffenlieferungen an die Ukraine und nur 24 Prozent für die Entsendung von Truppen.
Quer durch alle Lager ist eine Mehrheit der Europäer der Ansicht, dass der Krieg Europa mehr schadet als nützt. (Hier wäre eine präzisere Frage nach der Wirkung der Sanktionen angebracht gewesen. Aber das war wohl nicht im Sinn des European Council on Foreign Relations.) Die Verringerung der Energieabhängigkeit von Russland wird von den Befragten als wichtiger angesehen (58 Prozent) als die Einhaltung der Klimaziele (26 Prozent).
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Hier die Zusammenfassung des European Council on Foreign Relations:
- In den ersten 100 Tagen des russischen Krieges gegen die Ukraine trug die öffentliche Meinung in Europa dazu bei, die politische Reaktion Europas zu festigen. Eine neue Umfrage zeigt jedoch, dass unterschiedliche öffentliche Präferenzen diese Einigkeit schwächen könnten.
- Die Untersuchungen des ECFR zeigen, dass die Europäer zwar große Solidarität mit der Ukraine empfinden und Sanktionen gegen Russland unterstützen, aber hinsichtlich der langfristigen Ziele gespalten sind. Sie teilen sich in ein «Friedens»-Lager (35 Prozent der Menschen), das den Krieg so schnell wie möglich beenden möchte, und ein «Gerechtigkeits»-Lager, das glaubt, dass das dringendere Ziel darin besteht, Russland zu bestrafen (25 Prozent der Menschen).
- In allen Ländern – mit Ausnahme Polens – ist das «Friedens»-Lager größer als das «Gerechtigkeits»-Lager. Die europäischen Bürger sorgen sich um die Kosten der Wirtschaftssanktionen und die Gefahr einer nuklearen Eskalation. Wenn sich nicht dramatisch etwas ändert, werden sie sich einem langen und langwierigen Krieg widersetzen. Nur in Polen, Deutschland, Schweden und Finnland findet die Erhöhung der Militärausgaben breite öffentliche Unterstützung.
- Die Regierungen werden eine neue Sprache finden müssen, um die Kluft zwischen diesen sich herausbildenden Lagern zu überbrücken, um die europäische Einheit zu stärken und eine Polarisierung zwischen und innerhalb der Länder zu vermeiden. Der Schlüssel wird darin liegen, Waffenlieferungen und Sanktionen als Teil eines Verteidigungskrieges darzustellen.
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Dieser Beitrag ist zuerst auf Christoph Pflugers Zeitpunkt erschienen.
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