Die Beziehungen zwischen Serbien und seinen europäischen Nachbarn sind wechselvoll und von Licht und Schatten geprägt. Schon zur Zeit des Ersten Weltkrieges galt das Balkanland als russlandfreundlich und wurde von den Westmächten misstrauisch gesehen. «Serbien muss sterbien», heißt es in einer berühmten Karikatur aus Österreich aus dem Jahr 1914, als der Thronfolger von einem bosnisch-serbischen Terroristen ermordet wurde.
Ähnliche Muster wiederholten sich unter anderen Vorzeichen bis heute (wir haben zum Beispiel hier und hier berichtet – weitere Links im zweiten Artikel). Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die beiden Abkommen, die die Europäische Union (EU) kürzlich mit Serbien geschlossen hat.
So haben Belgrad und die Europäische Union ein strategisches Abkommen unterzeichnet, das der EU den Zugang zu serbischen Rohstoffen sichert und die Zusammenarbeit bei der Produktion von nachhaltigen Materialien, Batterien und Elektrofahrzeugen intensiviert. Das schreibt zum Beispiel die Heinrich-Böll-Stiftung.
Ein zentrales Element dieser Vereinbarung ist die Wiedereröffnung der Lithiumlagerstätte in Jadar, die das Potenzial hat, die größte ihrer Art in Europa zu werden. In den Leitmedien wurde das Thema zwar nicht totgeschwiegen, aber stiefmütterlich behandelt.
Diese Vereinbarung wird durch einen «Letter of Intent», also durch eine Absichtserklärung, von Unternehmen wie Mercedes-Benz ergänzt, was die Bedeutung dieses Projekts für die europäische Wirtschaft unterstreicht.
Bundeskanzler Olaf Scholz, der letzte Woche eigens nach Belgrad reiste, hob die Bedeutung dieses Abkommens für die europäische Unabhängigkeit und die Stabilität der Lieferketten hervor. «Es ist entscheidend, unsere Abhängigkeit von externen Quellen zu reduzieren und innovative Lösungen für die Rohstoffversorgung zu entwickeln», betonte Scholz.
Auch der serbische Präsident Aleksandar Vučić äußerte sich optimistisch und prognostizierte einen Anstieg des serbischen Bruttoinlandsprodukts um bis zu vier Prozent durch das Projekt. Allerdings stößt das Vorhaben auf Widerstand von Umweltschützern und Anwohnern. Die Aktivistengruppe Kreni-Promeni hat bereits angekündigt, im August Bahnstrecken zu blockieren, sollte das Projekt nicht gestoppt werden.
Die Proteste spiegeln die Sorge über mögliche Umweltauswirkungen und die Bedrohung der lokalen Wasserversorgung wider. Dies schreibt ebenfalls die Heinrich-Böll-Stiftung, die den deutschen Grünen nahesteht.
Große Unternehmen wie Mercedes-Benz haben Interesse an diesem Projekt bekundet, da es durch die lokale Herkunft eines Rohstoffs die Batterielieferkette stärken könnte. Trotz dieser wirtschaftlichen Chancen bleibt die Debatte über die ökologische Verträglichkeit und die rechtlichen Rahmenbedingungen in Serbien kontrovers.
Umweltexperten wie Mirko Popović und Jovan Rajić kritisieren die mangelnde Transparenz und die unzureichende Einhaltung internationaler Umweltstandards in Serbien.
Es bleibt abzuwarten, ob die angekündigten Umweltverträglichkeitsstudien die Bedenken der Bevölkerung ausräumen können und wie sich die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen auf das Vorhaben auswirken werden.
Der Rat der Europäischen Union hat in einem separaten Verfahren kürzlich grünes Licht für eine neue Vereinbarung mit Serbien über die Zusammenarbeit mit der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) gegeben. Diese Vereinbarung ermöglicht es Frontex, gemeinsam mit serbischen Grenzschutzbeamten operative Aktionen durchzuführen, einschließlich der Entsendung von Frontex-Teams nach Serbien.
Ziel ist es, die Migrationsströme zu steuern, illegale Einwanderung zu bekämpfen und grenzüberschreitende Kriminalität zu verhindern. Die neue Vereinbarung ersetzt eine ältere Regelung und erweitert die Befugnisse von Frontex auf das gesamte serbische Hoheitsgebiet. Nach der Unterzeichnung muß die Vereinbarung durch das Europäische Parlament und den Rat endgültig genehmigt werden.
Kommentar Transition News:
Das Nicht-EU-Land Serbien wird von westeuropäischen Politikern und den Leitmedien in den letzten Jahren und Jahrzehnten fast als Paria behandelt. Nicht nur im Streit um den Kosovo haben die EU und andere westeuropäische Staaten Partei gegen Serbien ergriffen.
Es ist praktisch nur Ungarn, das sehr gute Beziehungen zum südlichen Nachbarland unterhält, die bei seiner wirtschaftlichen Entwicklung verstärkt auf Hilfe aus und Zusammenarbeit mit China setzt. Dies wiederum wird von der EU mit Misstrauen betrachtet.
Und nun schließt die gleiche EU mit eben diesem Serbien zwei Abkommen, die realpolitischer nicht sein könnten – Rohstoffe und Grenzschutz.
Dies zeigt einmal mehr, dass Geopolitik und Realpolitik wichtiger sind als die vagen «Werte», die der «Wertewesten» immer so gerne geltend macht. Es zeigt auch, dass man sich über die konkrete Lösung von Problemen einigen kann, wenn man einmal Ideologien und versteckte Interessen zur Seite legt.
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