In diesen kriegerischen Zeiten ist es wichtiger denn je, die wahren Gründe vergangener Kriege zu verstehen, damit man weiteren Eskalationen entgegenwirken kann. Um die Erinnerung an den NATO-Angriffskrieg auf Serbien vor genau einem Vierteljahrhundert wachzuhalten, werden wir in dieser Serie elf Wochen lang einmal wöchentlich dessen Hintergründe beleuchten. Genauso lange wurden die Serben bombardiert. Nachfolgend wird die Serie mit Teil 11 abgeschlossen (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7, Teil 8, Teil 9, Teil 10).
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Der Rote Faden zur Ukraine
Die Bombardierung Serbiens reichte nicht, um den Präsidenten Slobodan Milošević zu stürzen. Um das schließlich zu erreichen, unterstützte der Westen oppositionelle Gruppierungen wie Otpor, was im Jahr 2000 zur ersten sogenannte Farbenrevolution führte. Diese Regime Change-Strategie sollte später in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken und in arabischen Ländern wiederholt werden.
Der kanadische Ökonom Michel Cossudovsky erachtet die Ereignisse in Jugoslawien in vielerlei Hinsicht als eine «Generalprobe». Die verschiedenen Phasen, die den Krieg gegen Jugoslawien kennzeichneten, seien Teil eines umfassenderen Prozesses, der sich jetzt weltweit abspiele:
- Wirtschaftskrieg, starke «Wirtschaftsmedizin», Sanktionen
- Zersplitterung und Zerschlagung ganzer Länder
- Erzwingung eines Regimewechsels, Einsetzung von Stellvertretern
- Umfangreiche Bombardierungen von Zivilisten
- Bombardierung von Kinderkrankenhäusern und die Tötung von Journalisten
- Verwendung von Munition mit abgereichertem Uran, das Krebs verursacht
- Militärische Besetzung, Einrichtung von Militärstützpunkten, Präsenz ausländischer Truppen unter einem gefälschten «humanitären Mandat»
- Desinformation der Medien und Kriegspropaganda.
Was auf dem Spiel stehe, sei die «Globalisierung des Krieges», nämlich den «Langen Krieg» der USA «gegen die Menschheit im Namen mächtiger Finanzinteressen»:
«Die hegemoniale Agenda Amerikas besteht darin, einen Krieg - einschließlich eines Wirtschaftskriegs - gegen alle wichtigen Regionen der Welt zu führen, einschließlich der Europäischen Union. Dieser Prozess wird durch die Destabilisierung der Nationalstaaten durchgeführt. Die Neocons wollen nicht ‹den Krieg gewinnen›, sondern den Zerfall souveräner Nationalstaaten herbeiführen, ihre Kultur und nationale Identität zerstören, Grundwerte und Menschenrechte aushöhlen und sich ihre Ressourcen aneignen. Das strategische Ziel besteht darin, ein politisches und soziales Chaos auszulösen, den Zusammenbruch der Volkswirtschaften herbeizuführen, sich den Reichtum und die Ressourcen der Länder anzueignen und den gesamten Planeten einschließlich der EU-Mitgliedstaaten und des amerikanischen Mutterlandes zu verarmen.
Was wir erleben, ist eine regelrechte ‹Kriminalisierung des Staatsapparats›, bei der Politiker, Abgeordnete und hochrangige Regierungsbeamte routinemäßig bestochen, kooptiert oder bedroht werden, damit sie sich an ein teuflisches Projekt halten, das buchstäblich das Leben der Menschen weltweit zerstört.»
Was nach dem Putsch in Serbien folgte, nennt Hannes Hofbauer in seinem Buch «Balkankrieg – Zehn Jahre Zerstörung Jugoslawiens» eine «Kolonisierung des Balkans»:
«Nach dem Sturz von Slobodan Milošević sind sämtliche Republiken des ehemaligen Jugoslawien zum Tummelplatz ausländischer Militärs, Politiker und NGO-Vertreter geworden. Den geopolitischen Interessen der USA stehen die wirtschaftlichen Begierden der deutsch geführten EU gegenüber.»
Die illegale Aggression gegen Jugoslawien führte auch zu einer weiteren NATO-Erweiterung und zu zahlreichen ausländischen Militärinterventionen, die gegen das Völkerrecht verstießen. Joe Biden war damals Senator und befürwortete den Militäreinsatz. Und nun führt er als Präsident der USA ein NATO-Stellvertreterkrieg in der Ukraine gegen Russland an.
Laut Alex Krainer, Autor von «Grand Deception», war der NATO-Angriff gegen Jugoslawien ein strategischer Schachzug der von den USA geführten Westmächte, um hegemoniale Ambitionen zu verfolgen und Russland und jeden anderen geopolitischen Rivalen zu dominieren. Der Angriff habe das Völkerrecht auf fatale Weise untergraben und einen Präzedenzfall für das nächste Vierteljahrhundert endloser US- und NATO-Kriege auf der ganzen Welt geschaffen, darunter in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, im Nahen Osten, Nordafrika und anderswo:
«Das Eröffnungsgambit war vielleicht die Bombardierung des ehemaligen Jugoslawiens, aber alles, was danach folgte, war Teil desselben Spiels, einschließlich des derzeitigen Krieges in der Ukraine.»
Schon 1999, neun Jahre bevor der Kosovo 2008 seine Unabhängigkeit erklärt hat, bauten die USA dort die grösste und teuerste ausländische Militärbasis, die die USA in Europa seit dem Vietnamkrieg errichtet haben: Camp Bondsteel. Es ist das Einsatzhauptquartier der Kosovo Force (KFOR) und wird von Truppen aus Griechenland, Italien, Finnland, Ungarn, Polen, Slowenien, der Schweiz und der Türkei unterstützt.
Krainer geht mit Hofbauer einig, wenn er erklärt, dass der Kosovo auch ein Tummelplatz für US-amerikanische und andere Söldner wurde, «um die amerikanische Politik der Intervention oder Regimechange zu propagieren».
Sogar Jihadis seien vom Kosovo aus zum Beispiel nach Syrien verlegt worden, um sich am dortigen US-Stellvertreterkrieg gegen die Regierung von Bashar al-Assad zu beteiligen. Auch hier zeigt sich eine Kontinuität, denn schon in Bosnien kämpften auch einige der von den USA in den 1980er Jahren in Afghanistan unterstützten und ausgerüsteten Mujaheddin.
Krainer hebt auch die Bedeutung des Jahres 1999 hervor, in dem die NATO nicht nur das ehemalige Jugoslawien bombardierte, sondern auch ihr Bündnis mit Polen, der Tschechischen Republik und Ungarn ausweitete, was im Widerspruch zu den Versprechungen stand, die sie der russischen Führung am Ende des Kalten Krieges gemacht hatte. Diese Entwicklung schuf laut Krainer einen Präzedenzfall dafür, dass die NATO sich über das Recht hinwegsetzen und militärisch in souveräne Staaten eingreifen konnte, was zu der aktuellen geopolitischen Lage führte:
«Dies war ein Prozess der Verdrängung der Ordnung, die während des Kalten Krieges bestand, Sie wissen schon, vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion, und es gab ein Umdenken unter den Westmächten.»
Der Autor weist auf den berühmten Artikel «Towards the New World Order» von George Soros hin, in dem er all dies darlegt. Dem Milliardär zufolge muss die NATO als Durchsetzungsarm der neuen Weltordnung genutzt und die Souveränität unabhängiger Nationen beschnitten werden. Wir müssten uns wahrscheinlich darauf vorbereiten, die NATO-Technologie in Verbindung mit, so Krainer, «osteuropäischem Kanonenfutter» einzusetzen. Genau das erleben wir derzeit in der Ukraine.
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