Die Zahl der Unruhen und Konflikte vor allem aus sozialen Gründen nimmt weltweit zu, auch innerhalb der Europäischen Union (EU). Davon künden nicht nur die gewaltsamen Streiks in Frankreich unter anderem gegen die sogenannte Rentenreform.
Das stellte selbst das Versicherungsunternehmen Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) in einem Bericht fest, der im Februar dieses Jahres veröffentlicht wurde. Darin heisst es unter anderem: «Wut über die wachsende soziale Ungleichheit und steigende Lebenshaltungskosten, schwindendes Vertrauen in Regierungen und Institutionen und eine zunehmende Polarisierung in der Politik» seien «die wichtigsten Faktoren, die zu einer Zunahme von Streiks, Protesten und zivilen Unruhen auf der ganzen Welt führen könnten».
«Die Zahl der Streiks, Proteste und zivilen Unruhen hat in den letzten Jahren nicht nur zugenommen, sie werden auch immer schwerwiegender. Wir leben in einer Zeit der Unsicherheit», so AGCS-Manager Srdjan Todorovic laut der Pressemitteilung zum Bericht.
Danach sind die Risiken für zivile Unruhen allein zwischen dem zweiten und dritten Quartal 2022 in mehr als 50 Prozent der untersuchten Länder gestiegen. Von 198 Ländern hätten 101 einen Anstieg des Risikos verzeichnet. Seit 2017 seien weltweit mehr als 400 bedeutende regierungsfeindliche Proteste ausgebrochen.
Das macht den Unternehmen Sorgen, wie der Bericht des Versicherers zeigt, aber nicht nur ihnen. Die Regierungen und internationale Institutionen wie die EU suchen nach Wegen mit den Konflikten umzugehen.
Dabei wird aber nicht danach gesucht, wie die Ursachen vor allem im sozialen Bereich verringert werden können. Die herrschende Politik greift stattdessen nach alten Machtmitteln wie Kontrolle und Zensur.
Dabei sind die Social-Media-Plattformen ins Visier geraten, die seit ihrem Aufkommen als Kommunikation- und Mobilisierungsmittel von Protestbewegungen gelten. Was in Ländern wir dem Iran, Russland, China und anderswo von westlichen Politikern begrüsst wird, wollen diese aber in den eigenen Ländern möglichst verhindern.
Ein Beitrag auf Welt online vom Donnerstag macht deutlich, «wie die EU Proteste ausschalten will». Dabei wird auf den Digital Service Act (DSA) der EU verwiesen, der im November 2022 in Kraft trat und seit dem 25. August 2023 rechtsverbindlich ist.
Angeblich soll mit diesem EU-Gesetz die Macht der grossen Online-Plattformen und der hinter ihnen stehenden Digital-Konzerne eingeschränkt werden. Doch das scheint nur die Beruhigungspropaganda für Kritiker und die allgemeine Bevölkerung zu sein.
Der EU-Parlamentarier Martin Sonneborn hatte Ende August erklärt, mit dem DSA gehe es der EU-Kommission um die Zerstörung von Grundfreiheiten, wie die Berliner Zeitung berichtete. Was laut EU angeblich gegen Desinformation und Manipulation helfen solle, zertrümmere stattdessen die Grundrechte der EU-Bürger.
Dazu gehören laut Sonneborn das Recht auf freie Meinungsäusserung einschliesslich der Informationsfreiheit, die Medienfreiheit, das Recht auf Gedanken- und Gewissensfreiheit, das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf Achtung des Privatlebens und das Recht auf Schutz der persönlichen Daten. All diese Rechte würden aus seiner Sicht durch das neue Gesetz nicht nur nicht geschützt, sondern gezielt zerschlagen werden.
Dazu dürfte auch das Recht auf Versammlungsfreiheit gehören, wenn die EU nun auch ganze Social-Media-Plattformen sperren will. Das soll möglich sein, wenn dort «Inhalte, die beispielsweise zum Aufstand oder zum Töten aufrufen» veröffentlicht werden.
Das hatte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton bereits im Juli in einem Interview mit dem französischen Nachrichtensender France Info angekündigt. «Wir haben Teams, die sofort eingreifen können», betonte der französische EU-Kommissar Berichten zufolge. Die Massnahmen gegen die Plattformen könnten bis zum Verbot reichen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte Ähnliches im Juli angekündigt, um die Proteste eindämmen zu können. Das zeigt, wie weit die Regierenden bereit sind zu gehen, um unliebsame Reaktionen gegen ihre Politik zu unterdrücken.
EU-Kommissar Breton hält an den Plänen fest, wie das Portal netzpolitik.org kürzlich berichtete. Danach hatte der EU-Abgeordnete Moritz Körner von der FDP in einer schriftlichen Anfrage an die EU-Kommission wissen wollen: «Plant die Kommission die Abschaltung ganzer Plattformen in der EU nach dem Vorbild autoritärer Staaten? Und ferner: Unter welchen Umständen und innerhalb welcher Frist würde die Kommission eine Abschaltung ganzer Plattformen anordnen?»
Breton habe unter anderem geantwortet, das die EU-Kommission an zeitweiligen Sperren für komplette soziale Netze festhalte: «Als letztes Mittel für den Fall, dass die Plattformen nicht die erforderlichen wirksamen Massnahmen ergreifen.»
Körner erklärte laut netzpolitik.org dazu, das EU-Gesetz verkomme «zu einem Instrument des Mundtotmachens». Allein die Drohung habe spürbare Auswirkungen: «Die Gefahr dieser Drohung liegt darin, dass bereits aufgrund der angedrohten Abschaltungsgefahr Anbieter ein Overblocking durchführen und sicherheitshalber lieber zu viel als zu wenig löschen werden», wird der Abgeordnete zitiert.
Dass es sich nicht um leere Drohungen handelt, hat die Zusammenarbeit von Regierungen und Digital-Konzernen in der Corona-Krise gezeigt. Bis heute werden angebliche Falsch-Informationen von Plattformen verbannt, nur weil sie die offiziellen Aussagen zur Panikdemie kritisieren oder sachkundig widerlegen.
In dem Beitrag von Welt online wird auf die enge Zusammenarbeit der grossen Digital-Konzerne mit der EU hingewiesen. Die meisten von ihnen haben unter anderem den vorgelegten «Verhaltenskodex» zu «Desinformation» unterzeichnet.
Das angebliche DSA-Ziel, deren Dominanz einzuschränken, sei eine Farce, weil stattdessen die Vormachtstellung der Konzerne verstärkt werde. Kleine und mittlere Unternehmen könnten schon aus Kostengründen die umfangreichen Vorschriften nicht umsetzen.
Der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring berichtete im Juni, dass die UNO das Modell der EU-Online-Zensur global ausweiten will. UN-Generalsekretär António Guterres habe ein Programm vorgestellt, mit dem die Weltorganisation dafür sorgen will, dass Inhalte aus den Online-Plattformen und -Medien verschwinden, die den «empirisch gestützten Konsens über Fakten, Wissenschaft und Wissen» stören.
Guterres habe in seinem Policy-Brief «Intormation Inegrity on Digital Plattforms» behauptet, die Fähigkeit der Socia-Media-Plattformen, «mit Desinformation wissenschaftlich etablierte Fakten zu untergraben», sei «ein existenzielles Risiko für die Menschheit». Das werde unter anderem von solchen Aussagen begleitet: «75% der UN-Friedenssoldaten sagten, dass Falsch- und Desinformation ihre Sicherheit beeinflussen».
Nach dem Vorbild der EU habe der UN-Generalsekretär angekündigt, dass die UNO breite Konsultationen mit Interessenträgern (Stakeholders) führen werde, um einen globalen Verhaltenskodex zu entwickeln, einschliesslich Mechanismen zur Durchsetzung. Dafür solle ein eigenes Büro eingerichtet werden, «um die Reaktion auf Online-Desinformation oder -Falschinformation und Hassrede hochzufahren».
Das Büro werde «massgeschneiderte Kommunikationsstrategien entwickeln, um Bedrohungen vorwegzunehmen oder schnell darauf zu reagieren, bevor sie online oder offline Schaden verursachen», zitiert Häring aus dem Guterres-Papier. Sein Kommentar dazu:
«Das klingt nach einem gross angelegten Projekt zur Überwachung und Manipulation der öffentlichen Meinung.»
Auf Welt online stellt Autor Jakob Schirrmacher fest, dass das EU-Gesetz, das angeblich die Interessen der Bürger schützen soll, das Gegenteil bewirken könnte. Er erinnert daran, dass Krisen meist Proteste hervorrufen:
«Die Beschränkungen der Vernetzungen von Menschen zu Zeiten sozialer Unruhen ist nicht demokratisch und würde einen groben Verstoss gegen die Charta der Menschenrechte darstellen.»
Schirrmacher verweist zu Recht darauf, dass diese Entscheidungen mit der EU-Kommission von einem Gremium getroffen werden, deren Mitglieder nicht demokratisch gewählt wurden. Er warnt davor, dass der Staat und Institutionen wie die EU sich Mittel schaffen, um die demokratischen Freiheits- und Grundrechte zu untergraben.
Unterdessen hat EU-Kommissarin Věra Jourová, zuständig für «Werte und Transparenz», insbesondere der Plattform X (Nachfolger von Twitter) gedroht, berichtet das Portal Reclaim the Net. Die Plattform von Elon Musk sei der «schlimmste Übeltäter» unter den grossen sozialen Websites, wenn es um das «Verhältnis von Desinformation» geht.
Konkret geht es um angebliche «Desinformation» zum Krieg in der Ukraine. Jourová sieht vor allem die aus Russland stammenden Informationen als «Bedrohung der Demokratie» und als «Waffen der Massen-Manipulation».
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