Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung von l’AntiDiplomatico übernommen.
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Die Europäische Union hat den Krieg in der Ukraine verloren. Dies erklärte der ungarische Premierminister Viktor Orbán am Sonntagabend im Fernsehsender M1. «Trotz aller Versuche, dies zu leugnen», sei die Situation klar: Russland rücke an der Front vor, und die EU müsse sich an die neue Realität anpassen.
Orbán gibt sich als «Erwachsener im Raum». Sollte Europa direkt in den Krieg eingreifen, wäre die Niederlage noch gravierender. «Es ist notwendig, dass der Konflikt begrenzt bleibt.» Die EU müsse «realistische Ziele» definieren.
Die Niederlage Europas
Nur wenige Stunden nach ihrer Amtseinführung als Hohe EU-Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik erklärte Kaja Kallas gegenüber Journalisten der italienische Presseagentur ANSA, dass die EU einen Sieg der Ukraine unterstütze und daran arbeite, diesen zu erreichen. Die Frage sei jedoch, was unter «Sieg» zu verstehen sei.
Kiew scheint sich damit abgefunden zu haben, die unter russischer Kontrolle stehenden Gebiete aufzugeben. Nach einer anfänglichen Bereitschaft zu vorübergehenden territorialen Zugeständnissen räumt Präsident Selenskyj (den Moskau als illegitim ansieht) inzwischen ein, dass die Ukraine nicht in der Lage sei, den Donbass und die Krim zurückzuerobern. Zugleich fordert er von seinen Partnern mehr Waffen, mehr Geld und eine NATO-Einladung, um bei künftigen Verhandlungen «aus einer Position der Stärke» zu agieren und diese Gebiete diplomatisch zurückzugewinnen.
Obwohl einige italienische Journalisten, die «selenskyjanischer» sind als Selenskyj selbst, behaupten, dies sei keine Kapitulation, muss man sich der Tatsache stellen, dass die Ukraine und ihre europäischen Partner ihre strategischen Ziele verfehlt haben.
Kiew wird die Grenzen von 1991 nicht wiederherstellen können. Kiew und die EU werden weder die Zerschlagung Russlands noch die Isolierung Putins oder einen Regimewechsel in Moskau erreichen. Sie haben den Krieg verloren.
Brüssel versucht nun, neu zu definieren, was unter einem strategischen Sieg für Kiew zu verstehen ist. Um zumindest formal nicht das Gesicht zu verlieren, wird die Zielsetzung bereits heruntergeschraubt und auf realistischere Vorhaben nach einem Waffenstillstand ausgerichtet: Alternative Garantien zur NATO-Mitgliedschaft, die Entsendung europäischer Friedenskräfte, militärische Lieferungen und Kredite, die durch russische Vermögenswerte abgesichert werden.
Seit den Erklärungen von Kallas am 1. Dezember hat sich das Narrativ grundlegend verändert. Politico hat den radikalen Wandel in den offiziellen Aussagen der EU-Institutionen zusammengefasst: von «Die Ukraine muss gewinnen» über «Russland darf nicht siegen» hin zu «Das Völkerrecht muss durchgesetzt und die Invasion gestoppt werden». Die EU passt sich nur mühsam an das neue Szenario an und bleibt dabei außen vor, während der gewählte US-Präsident Donald Trump erste Kontakte mit dem Kreml aufnimmt, um Verhandlungen über einen Waffenstillstand einzuleiten.
Das Hauptziel sollte darin bestehen, bei künftigen Verhandlungen mit am Tisch zu sitzen. Ein Ausschluss würde das Ende der geopolitischen Rolle der EU besiegeln und sie auf eine bloße Anhängselrolle der USA reduzieren. Zwei Faktoren deuten darauf hin, dass dies der Fall sein könnte:
- Die von Trump gestartete Initiative erfolgte unilateral und richtete sich direkt an Putin. Laut Aussagen vom Sonntag soll ein Treffen zwischen den beiden Führungspersönlichkeiten unmittelbar bevorstehen. Dies deutet darauf hin, dass die EU und die Ukraine bei möglichen Verhandlungen passive Akteure und keine Gesprächspartner sein könnten.
- Ungarn und die Slowakei könnten eine Vermittlerrolle übernehmen. Dies zeigt, dass innerhalb der EU kein Konsens erzielt wurde, was ihrer Einheit und Glaubwürdigkeit als geopolitischer Akteur schadet.
Zur Untermauerung dessen erklärte der zukünftige nationale US-Sicherheitsberater Mike Waltz kürzlich, dass es Trumps Aufgabe sein werde, zu entscheiden, wer an den Verhandlungstisch gehört, und die Bedingungen für eine Einigung festzulegen. Die europäischen Führer und die Ukraine werden sich anpassen müssen.
Die Konsequenzen für die EU
In einem globalen Szenario, in dem die wichtigsten Akteure Großmächte sind, erscheint die EU wie ein Tongefäß zwischen eisernen Gefäßen. Der gewählte US-Präsident scheint dies sehr wohl zu verstehen und handelt entsprechend. Innerhalb weniger Tage hat er Ansprüche gegenüber Kanada, Panama und Grönland geltend gemacht. Seine Strategie zeigt ein vorrangiges Interesse an der unmittelbaren Nachbarschaft, um den US-amerikanischen Exzeptionalismus auf dem Kontinent zu bekräftigen und die Rolle der USA als hegemoniale Macht und Garantin der internationalen Ordnung zu stärken.
Daher ist es notwendig, den Konflikt in der Ukraine zu beenden – einen Krieg, den Washington gegen Europa bereits gewonnen hat: Die USA haben Europa geschwächt und es von Moskau entkoppelt.
Die Analyse der Konsequenzen der Niederlage der EU in der Ukraine bedeutet auch, die Folgen des Sieges der USA zu betrachten. Erstens strebt Washington eine Reduzierung der NATO an, um sich aus Europa zurückziehen und auf strategisch wichtigere Regionen wie den asiatisch-pazifischen Raum und Lateinamerika konzentrieren zu können. Nachdem die europäischen Verbündeten zugesagt haben, das 2%-Ziel der NATO-Ausgaben zu erreichen, wird Trump laut Financial Times-Quellen eine weitere Erhöhung um 5% fordern.
Diese Gelder werden größtenteils in die US-amerikanische Verteidigungsindustrie fließen. Als Nebenwirkung wird die EU nahezu vollständig ihre strategische Autonomie verlieren und fast ausschließlich von den USA abhängig sein. Dies wird es Washington zudem ermöglichen, sein militärisches System zu stärken, mit positiven Auswirkungen auf die Industrie, die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt.
Europa hingegen wird seine Sozialausgaben – insbesondere für Renten und das Gesundheitswesen – kürzen müssen, um das Militärbudget zu erhöhen, wie Mark Rutte bei Carnegie Europe erklärte. Zusätzlich wird die EU die enormen Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine tragen müssen.
Schließlich werden die europäischen Länder gezwungen sein, ihre Energieabhängigkeit von den USA zu erhöhen. Trump drohte mit umfassenden Zöllen, sollte die EU nicht das teure Gas und Öl aus den USA kaufen, um das Handelsdefizit (also den Exportüberschuss der EU) auszugleichen. Das Ende der Beziehungen zu Russland und die europäische Zurückhaltung gegenüber den BRICS werden alternative Strategien erschweren.
Folglich haben einige europäische Führer begonnen, Tabus zu brechen und Gespräche mit dem Kreml aufzunehmen. Viktor Orbán, der nach einem Besuch in Mar-a-Lago an einer Weihnachts-Waffenruhe mit einem umfangreichen Gefangenenaustausch zwischen Kiew und Moskau arbeitet, stößt dabei nur auf den Widerstand Selenskyjs. Robert Fico traf sich am Sonntag mit Putin, um über Gaslieferungen zu sprechen. Der scheidende deutsche Kanzler Olaf Scholz plant ein Treffen mit dem russischen Präsidenten, um vor den deutschen Wahlen Ende Februar über Frieden zu sprechen.
Der europäische Block wirkt zunehmend gespalten und zerrüttet, während Moskau immer weniger isoliert ist. Die EU riskiert, zur Anhängselmacht der USA zu werden und international an Relevanz zu verlieren.
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Clara Statello, diplomierte Politologin, hat als Korrespondentin und Autorin für Sputnik Italia gearbeitet. Sie schreibt unter anderem für L’Antidiplomatico und Pressenza. Ihre Leidenschaft gilt der internationalen Politik.
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