«Aus deutscher Sicht wäre eine kurzfristige Taurus-Lieferung und die damit verbundene Bereitstellung von Soldaten, die das Waffensystem bedienen können, eine klare Kriegsbeteiligung.» Das erklärte Erich Vad, ehemaliger Bundeswehr-General und Berater der Kanzlerin Angela Merkel, am Montag gegenüber der Berliner Zeitung.
Er bezeichnete danach die Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz gegen eine Lieferung von «Taurus»-Marschflugkörpern an die Ukraine als «absolut richtig». «Mit dem Taurus kann man den Kreml und damit den russischen Regierungssitz zerstören», so der Ex-General, der als Unternehmensberater tätig ist.
Eine solche Lieferung wäre aus seiner Sicht «zudem eine Steilvorlage für die Falken in Russland», die sich dadurch bestätigt sehen würden. Scholz müsse seine Entscheidung gegenüber der Bevölkerung «klarer kommunizieren».
Er verwies auch auf die Reaktionen auf den Vorstoss des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Bodentruppen aus Nato-Ländern in die Ukraine zu entsenden. Die meisten Länder hätten das abgelehnt, weil sie keine Kriegspartei sein wollten. Das gelte auch für die USA, so Vad.
Er äusserte sich gegenüber der Zeitung im Zusammenhang mit dem von der russischen Aufklärung abgehörten Gespräches von Bundeswehr-Offizieren über eine mögliche «Taurus»-Lieferung. Dabei ging es neben der Frage, wie eine direkte Verbindung zwischen der Bundeswehr und der Ukraine vermieden werden kann, darum, welche Ziele mit diesen Marschflugkörpern erreicht werden können.
Neben Munitionsdepots wurde die Krim-Brücke bei Kertsch als ein mögliches Ziel genannt, das mit zehn bis zwanzig «Taurus» zerstört werden könnte, wie es die Ukraine erreichen will. Neben der Tatsache, dass das Gespräch abgehört werden konnte, sorgt der Inhalt für Diskussionen. Zumindest scheint den Bundeswehr-Offizieren klar zu sein, dass da eine «rote Linie» überschritten wird – und dass auch mit «Taurus» der Krieg nicht entscheidend beeinflusst wird, wie der Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz erklärt. Er sagt auch, dass die Krim-Brücke als Ziel nicht entscheidend sei, da es inzwischen eine Landverbindung zur Halbinsel gebe.
Der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur und frühere hochrangige Nato-Offizier Harald Kujat kritisiert die westliche Politik im Ukraine-Konflikt seit längerem und fordert einen Verhandlungsfrieden. Zur Frage der Marschflugkörper erklärte er kürzlich in einem Interview mit dem Radiosender Deutschlandfunk (DLF), es gehe dabei nicht darum, mit einem Angriff auf die Krim-Brücke die russischen Truppen von ihrem Nachschub abzuschneiden.
Das könne auch mit den britischen und französischen Varianten des Marschflugkörpers, «Storm Shadow» und «Scalp», erreicht werden, die schon an die Ukraine geliefert wurden. Kujat erklärte im DLF, «es geht ausschliesslich darum, strategische Ziele in Russland anzugreifen». Dazu gehören neben Militärbasen und Versorgungskontenpunkte auch Führungszentren Russlands.
Mit Hinweis auf ukrainische Drohnenangriffe auf den russischen Militärflugplatz Engels im Dezember 2022 warnt der Ex-General vor den Folgen eines solchen Angriffs, da dort auch atomwaffentragende Langstreckenbomber stationiert sind:
«Das ist so ein strategisches Ziel. Stellen Sie sich vor, man hätte mit diesen Drohnen das nukleare Waffenlager getroffen. Dann würden wir beide heute nicht mehr miteinander telefonieren.»
Entscheidend sei: Durch solch einen Angriff werde nicht die strategische Lage verändert, aber die Situation eskaliert. Und wenn «Taurus» aus Deutschland geliefert und eingesetzt werden, sei das eine «direkte Kriegsbeteiligung», bestätigt Kujat Kanzler Scholz. Der Ex-General verweist darauf, dass das aufwendige System der Zielfassung und -bekämpfung nur durch «wirkliche Spezialisten» programmiert werden könne – «und das könnten die Ukrainer nicht, das könnten nur deutsche Spezialisten».
«Wären wir an der Planung und Vorbereitung eines konkreten Angriffes auf ein strategisches Ziel in Russland beteiligt, das wäre der Weg, sozusagen der Schritt von der indirekten Kriegsbeteiligung zur direkten Kriegsbeteiligung.»
Ungeachtet all dessen fordert die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, weiterhin, «Taurus» an Kiew zu liefern. Gegenüber der Zeitung Rheinische Post sagte sie zur Gefahr der deutschen Kriegsbeteiligung, Deutschland werde von Russland ohnehin längst als Feind betrachtet – Belege einer daraus erwachsenden Kriegsgefahr nannte sie keine.
Von Strack-Zimmermann war Mitte Februar ein Foto bekannt geworden, dass sie auf einer Beratung mit ukrainischen Vertretern während der Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar in einem T-Shirt zeigte, darauf ein Stierkopf und die Losungen «Taurus für die Ukraine» sowie «zusammen bis zum Sieg». Ex-General Kujat bezeichnete vor wenigen Tagen in einem Interview mit der Zeitschrift Die Weltwoche solche Stimmen als «völlig irrelevant».
Er sprach von «Infantilisierung» und «Muskelspielerei, man sollte Russland angreifen und wir müssen es Russland zeigen». «Das ist einfach lächerlich, das muss man ganz deutlich sagen», so Kujat dazu.
**********************
Unterstützen Sie uns mit einem individuellen Betrag oder einem Spenden-Abo. Damit leisten Sie einen wichtigen Beitrag für unsere journalistische Unabhängigkeit. Wir existieren als Medium nur dank Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Vielen Dank!
Oder kaufen Sie unser Jahrbuch 2023 (mehr Infos hier) mit unseren besten Texten im Webshop:
Kommentare