Die Verhandlungsführer des Parlaments und des Rates einigten sich auf fünf EU-Verordnungen, in denen festgelegt wird, wie Asyl und Einwanderung von den Mitgliedstaaten gemeinsam gesteuert werden sollen und wie mit Migrationskrisen umgegangen werden soll. Die Vorschriften regeln auch den Umgang mit Menschen, die an den Aussengrenzen der EU ankommen, die Bearbeitung von Asylanträgen und die Identifizierung der Ankommenden.
In einem Beitrag auf X bezeichnete die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, die Einigung als wegweisend für das Migrations- und Asylmanagement.
«Heute ist ein wahrhaft historischer Tag, denn wir haben den Einwanderungs- und Asylpakt umgesetzt, das wahrscheinlich wichtigste Gesetzespaket dieser Legislaturperiode. Europa wird nun über einen starken Rechtsrahmen verfügen, der in allen Mitgliedstaaten gleich sein wird. Er ist funktional und schützend, ein Ansatz, der human und fair für diejenigen ist, die Schutz suchen, hart gegenüber denjenigen, die keinen Anspruch auf Schutz haben, und hart gegenüber denjenigen, die die Schwächsten ausnutzen», sagte Metsola.
Laut der Mitteilung des Europäischen Parlaments sieht die neue Verordnung über die Steuerung von Asyl- und Migrationsströmen eine verpflichtende Solidarität, eigentlich eine contraditctio in adjectum, ein Widerspruch in sich selbst vor. Gegenüber EU-Ländern, die als unter Migrationsdruck stehend anerkannt sind, haben die anderen Mitgliedstaaten die Wahl zwischen der Unterbringung von Asylbewerbern in ihrem Hoheitsgebiet und einem finanziellen Beitrag.
Frühere Versuche, die Verantwortung für die Aufnahme von Migranten zu teilen, sind gescheitert, weil vor allem die östlichen EU-Mitglieder sich geweigert haben, Menschen aufzunehmen, die in Griechenland, Italien und anderen Ländern angekommen sind. Der Text legt auch neue Kriterien fest, nach denen ein Mitgliedstaat für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständig ist (früher die Dublin-Regeln).
Zur Bewältigung des plötzlichen Anstiegs der Ankünfte sieht die Verordnung über Krisen und höhere Gewalt einen Mechanismus zur Gewährleistung von Solidarität und Massnahmen zur Unterstützung von Mitgliedstaaten vor, die mit einem grossen Zustrom von Drittstaatsangehörigen konfrontiert sind, der zum Zusammenbruch des nationalen Asylsystems führt.
Die Vorschriften gelten auch für die Instrumentalisierung von Migranten, das heisst wenn Migranten von Drittländern oder nichtstaatlichen Akteuren zur «Destabilisierung der EU» eingesetzt werden. In solchen Fällen ist eine mögliche vorübergehende Ausnahme von den formalen Asylverfahren vorgesehen.
Nach der neuen Verordnung werden Personen, die nicht die Voraussetzungen für die Einreise in die EU erfüllen, bis zu sieben Tage lang einem vorläufigen Screening-Verfahren unterzogen, das die Identifizierung, die Erfassung biometrischer Daten sowie Gesundheits- und Sicherheitsüberprüfungen umfasst. Die besonderen Bedürfnisse von Kindern werden berücksichtigt, und jeder Mitgliedstaat wird über einen unabhängigen Überwachungsmechanismus verfügen, um die Einhaltung der Grundrechte zu gewährleisten.
Mit der Verordnung über Asylverfahren wird ein gemeinsames EU-weites Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes eingeführt, das mehrere nationale Verfahren ersetzt. Die Bearbeitung von Asylanträgen soll schneller erfolgen - bis zu sechs Monate für eine erste Entscheidung - mit kürzeren Schwellenwerten für offensichtlich unbegründete oder unzulässige Anträge und an den EU-Grenzen.
Schliesslich zielt die sogenannte Eurodac-Reform darauf ab, die in der EU ankommenden Personen besser zu identifizieren, indem die Fingerabdrücke durch Gesichtsbilder ergänzt werden, auch bei Kindern im Alter von sechs Jahren. Die Behörden werden in der Lage sein zu erfassen, ob eine Person ein «Sicherheitsrisiko» darstellt, ob sie gewalttätig oder illegal bewaffnet ist.
Die vorläufige Einigung muss vom Parlament und vom Rat förmlich gebilligt werden, bevor sie Gesetz wird. Rat und Parlament haben sich aber verpflichtet, die Reform der EU-Regeln zu Einwanderung und Asyl vor den Europawahlen 2024 zu verabschieden.
Seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in den Jahren 2015/2016 wurden intensive Anstrengungen unternommen, um den Pakt zu Migration und Asyl zu reformieren.
Damals wurden Länder wie Griechenland von einer riesigen Zahl von Flüchtlingen und Migranten aus Ländern wie Syrien überrannt, und Hunderttausende konnten in andere EU-Länder weiterreisen, was an sich durch die sogenannte Dublin-Verordnung untersagt war. Gemäss den Dublin-Erstasylabkommen müssen Asylbewerber in dem Land registriert werden, in dem sie zuerst in die Europäische Union eingereist waren.
Auch die Schweiz ist dem Dublin-Erstasylabkommen beigetreten. Welches genau die Folgen der Einigung für die Schweiz sind, muss sich noch weisen, zum Beispiel ob unser Land nebst den Änderungen am Dublin-Abkommen auch von den anderen Verordnungsänderungen betroffen ist.
Die Kommission schlug erstmals 2016 neue Regeln vor. Die Verhandlungen waren jedoch bis zur letzten Minute sehr zäh. Für Länder wie Ungarn waren die neuen Regeln nicht streng genug, während Hilfsorganisationen und Teile der linken und grünen Parteien Bedenken äusserten, dass die Menschenrechte bei den Asylverfahren nicht ausreichend beachtet würden.
Kommentar von Transition News:
Es wird sich zeigen, ob die Reform funktioniert. Durchgesetzt haben sich jedenfalls die Mitgliedstaaten und nicht die Kommission und es steht eine deutliche Verschärfung des europäischen Asylrechtes an. Die Reform enthält aber auch Punkte, bei denen sich erst weisen wird, wie sie sich auswirken:
- Die Resultat könnte sein, dass gewisse Zielländer gezielt auswählen, welche Migranten sie aus den Erstasylländern aufnehmen und dass diese auf den unwillkommenen Migranten sitzenbleiben. Zufällig hat Griechenland gerade am Freitag, unbeachtet von den europäischen Medien, den Aufenthaltsstatus von hunderttausenden von Asylsuchenden, die nicht in andere Länder weiterziehen konnten, mit einer Gesetzesnovelle legalisiert.
- Gelackmeiert sind die Erstasylländer natürlich auch, weil sie nicht die Wahl haben zwischen Flüchtlingen und Geld. Ungarn mag sich vom Ausgleichsmechanismus freikaufen, Griechenland kann nur darauf hoffen, dass er funktioniert und das Land etwas entlastet wird. Sonst wird, wie die Gesetzesnovelle vom Freitag zeigt, die unkontrollierte Zuwanderung Tatsache. Solche Befürchtungen zirkulieren diese Woche in den Kommentarspalten griechischer Medien.
- Zusätzlich könnte die systematische Speicherung und Teilung von biometrischen Daten den Appetit der EU-Staaten anregen, den Personenkreis für die systematische biometrische Registrierung auszuweiten. Sie könnte auch dazu verleiten, diese mit anderen Daten, zum Beispiel Gesundheitsdaten, zu verknüpfen.
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