Die Rechte, Kritik an der Regierung zu üben und seine Meinung frei zu äußern, gehören zu den Grundlagen einer Demokratie. Der deutsche Verfassungsschutz sieht das offenbar anders. So wird im letzte Woche von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) vorgestellten neuen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2024 in einem Kapitel die «verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates» behandelt. Darunter fallen insbesondere Forderungen nach einer Corona-Aufarbeitung. Darüber berichtete zum Beispiel NIUS.
Dem Bericht zufolge besteht die Szene der «Delegitimierer» aus rund 1500 Personen, wovon etwa 250 gewaltorientiert seien.
Doch nicht nur die Kritik an den Corona-Maßnahmen ist im Visier des Verfassungsschutzes. Nach dem Ende dieser Maßnahmen seien nämlich «neue, mobilisierungsfähige Themen gesucht» worden. Im Bericht heißt es:
«Neben der Forderung nach einer ‹Aufarbeitung› der Coronapandemie (auch in Form einer strafrechtlichen Verfolgung der für die Schutzmaßnahmen verantwortlichen Politikerinnen und Politiker) wurde versucht, staatliche Klimaschutzmaßnahmen, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine oder die angebliche Gefahr einer staatlichen Totalüberwachung der Bevölkerung durch Digitalisierung als mögliche Schwerpunktthemen zu implementieren.»
Im Bericht wird sogar eingeräumt, dass «diese Form der Delegitimierung» «oft nicht über eine offene Ablehnung der Demokratie als solche» stattfindet, sondern:
«(...) über eine ständige Verächtlichmachung von und Agitation gegen demokratisch legitimierte Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates. Dieses Vorgehen geht weit über die rechtlich zulässige Kritik an Politik und Staat hinaus. Es untergräbt vielmehr die demokratische Ordnung, indem es das Vertrauen in das staatliche System insgesamt erschüttert und so dessen Funktionsfähigkeit gefährdet. Erst eine solch systematische, einer restriktiven Erheblichkeitsschwelle unterliegende Delegitimierung begründet eine Verfassungsschutzrelevanz. Eine derartige Agitation steht im Widerspruch zu elementaren Verfassungsgrundsätzen, insbesondere dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip.»
Das Spektrum der «Delegitimierer» ist gemäß dem Verfassungsschutz «äußerst heterogen» und durch regionale Besonderheiten geprägt. «Organisierte, auf Dauer angelegte Strukturen» seien selten. Überwiegend würden in diesem Bereich «Einzelpersonen oder lose Personenzusammenschlüsse» agieren. Einen «systempolitischen Gegenentwurf» gebe es nicht: «Der Konsens erschöpft sich bereits in der fundamentalen Ablehnung des bestehenden Staates.»
Der Chef von RTL West, Jörg Zajonc, brachte das Problem auf den Punkt. Nachdem er in einem Video die fehlende Corona-Aufarbeitung beanstandete – wobei es laut RTL aber lediglich um die zu teuren Masken-Deals geht –, machte er klar:
«Inzwischen steht die Aufarbeitung selbst unter Verdacht, sagt der neue Verfassungsschutzbericht. Wer sie fordert, könnte ein Verfassungsfeind sein, einer, der den Staat delegitimiert, der Kritik übt, weit über das Zulässige hinaus, steht da in feinstem Beamtendeutsch, und macht mich fassungslos. Kritik an Staat und Regierung ist die Grundlage jeder Demokratie und Aufgabe eines jeden Journalisten. Ohne sie gibt es keine freie Gesellschaft. Nennt sich Aufklärung und war mal Voraussetzung für mündige Bürger. Heute angeblich eine Gefahr für die Demokratie. Unfassbar! Fakt ist: Nicht die, die Aufarbeitung fordern, sind gefährlich, sondern die, die sie verhindern. Schluss damit. Lasst euren großen Worten endlich Taten folgen. Aufarbeitung jetzt! Offen, ehrlich, transparent. Es ist höchste Zeit!»
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