Mit der Idee eines gerechten Friedens in der Ukraine beschäftigt sich der britische Wirtschaftshistoriker Robert Skidelsky in einem Gastbeitrag auf dem Blog des italienischen Journalisten Thomas Fazi. Er fragt dabei nach den Möglichkeiten für eine Friedenslösung für das Land, auf dessen Territorium der Westen einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führt.
Skidelsky schreibt, ein «überwältigender Grund» dafür, die Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident zu begrüßen, sei, «dass er ein Friedensstifter und kein Kriegstreiber ist und Amerikas Macht aktiv nutzen wird, um eine zunehmend gefährliche Welt zu befrieden». Zugleich meint er, dass die westlichen Staats- und Regierungschefs «nicht aktiv einen Krieg mit Russland, China oder dem Iran» anstreben würden.
«Aber sie streben auch nicht aktiv nach Frieden. Die Ukraine ist ein typisches Beispiel dafür.»
Der US-geführte Westen erkläre wiederholt, dass die Ukraine die Bedingungen für Frieden festlegen müsse. Bis dahin werde aber Kiew mit allen Mitteln für einen vermeintlichen Sieg versorgt.
«Da das große demografische und militärische Ungleichgewicht zwischen der Ukraine und Russland einen ukrainischen Sieg beim derzeitigen Unterstützungsniveau ausschließt, lässt diese Haltung nur zwei Optionen zu: die Niederlage der Ukraine oder eine gefährliche Eskalation mit unvorhersehbaren Folgen.»
Die jüngste Eskalation durch die westliche Waffenfreigabe an Kiew für Ziele in Russland sei zwar «ausreichend begrenzt, um einen direkten Konflikt zwischen der NATO und Russland abzuwenden, aber zu begrenzt, um eine Niederlage der Ukraine zu verhindern». Sie gelte nur noch für zwei Monate, während Trumps Team angedeutet habe, gleichzeitig Druck auf Putin und Selenskyj ausüben zu wollen, um den Krieg schnell zu beenden.
Der britische Historiker macht klar, dass es im Ukraine-Konflikt «nicht nur einen Bösewicht gibt». Im Westen werde die russische Sicht auf die NATO als aggressive «Bestie» nicht akzeptiert, wobei es aber Gründe für diese Sicht gebe.
Skidelsky verweist in dem Zusammenhang auf den Bombenangriff der NATO auf Jugoslawien im Jahr 1999. Den habe der damalige britische Premierminister Tony Blair mit folgender Aussage gerechtfertigt: «Die Verbreitung unserer Werte macht uns sicherer».
Das sei die Grundlage für einen gewaltsamen Regimewechsel – der nun auch in Russland angestrebt werde, weshalb für die westlichen Führungen und Analytiker nur ein Sieg der Ukraine in Frage käme. Dabei werde der Krieg als «Krieg für den Frieden» dargestellt, im Kampf der Demokratie gegen die Diktatur.
Die christliche Lehre biete «sicherere Grundlagen für die Aushandlung eines Endes des Ukraine-Konflikts», schreibt der Historiker und erinnert an Augustinus von Hippo. Dieser habe die Forderungen des Friedens für vorrangig gehalten.
Ein gerechter Frieden sei in der Welt nicht erreichbar, so Skidelsky, schon weil Gerechtigkeit immer relativ sei. Deshalb müsse ein Krieg mit dem Ziel, Frieden zu erreichen, «mit Zurückhaltung und Beschränkung geführt werden». Deshalb würden Analytiker auch den Begriff «gerechtfertigter Krieg» verwenden, da kein Krieg vollkommen gerecht sein könne.
Ein gerechtfertigter Krieg könne sich auf das «angeborene Recht auf Selbstverteidigung» stützen, das in Kapitel 7, Artikel 51 der UN-Charta für den Fall eines bewaffneten Angriffs auf einen Mitgliedsstaat anerkannt werde. Der russische Einmarsch in die Ukraine sei nach UN-Begriffen «sowohl ungerecht als auch illegal», während die Ukraine einen «gerechten Krieg zur Selbstverteidigung» führe.
Deshalb erscheine die Pflicht zur Unterstützung der Ukraine als eindeutig, stellt der Historiker fest, der zugleich auf «zwei Schwachstellen in der Theorie des gerechten Krieges» hinweist: «erstens die Ausweitung des Verteidigungsgedankens auf die Verteidigung von Werten statt auf die Verteidigung von Territorium; zweitens der Rückgriff auf einen ‹Präventivkrieg›, selbst wenn kein Angriff stattfindet oder die unmittelbare Gefahr eines solchen besteht.»
«In solchen Formulierungen verlieren Verteidigung und Angriff ihren Bezug zum gesunden Menschenverstand.»
Als Beispiel nennt er den US-Krieg gegen den Irak 2003, der mit nicht vorhandenen irakischen Massenvernichtungswaffen begründet wurde. Diese «elastische Argumentation» führe zu «einer unbegrenzten Inflation der Bedeutung von Verteidigung»; und so habe Russland den Einmarsch in die Ukraine als Präventivmaßnahme gegen die NATO-Erweiterung gerechtfertigt.
Skidelsky bezeichnet den Versuch, einen gerechten Frieden zu definieren, als nicht weniger schwierig. Ein solcher sei für Augustinus ein Frieden gewesen, «der so lange wie möglich in einer bösen Welt andauern würde». Er habe das imperiale (römische) Modell des Friedens abgelehnt, «der durch die Auslöschung des Feindes gesichert wird, da dies in Bezug auf Gemetzel und Blutvergießen zu kostspielig sei».
Dagegen habe er Frieden als «geordnete Proportion» gesehen, als «die Anpassung des Gleichen und des Ungleichen an seinen eigenen Platz». Dies sei teilweise durch das westfälische System des «Gleichgewichts der Kräfte» verwirklicht, so Skidelsky. Er stellt zudem klar:
«Jedes Friedensprojekt, das auf der Idee basiert, dass Freiheit unteilbar ist, und dass ein Angriff auf die Freiheit eines Einzelnen ein Angriff auf die Freiheit aller ist, wird angesichts der Vielfalt der Kulturen und Mächte scheitern.»
Das bleibe dennoch weiterhin die offizielle westliche Sichtweise, die durch die zweite Amtszeit von Trump «mit seinen isolationistischen Instinkten» durchbrochen werden könne.
«Denn es ist nicht die Universalisierung unserer Werte, die die Außenpolitik anstreben sollte, sondern die Harmonisierung des Gleichen mit dem Ungleichen.»
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