Ein wissenschaftliches Projekt mit hohem Potenzial und ebenso hohem Konfliktpotenzial nimmt derzeit in Großbritannien seinen Anfang: Unter Federführung britischer Spitzenuniversitäten soll ein vollständiges menschliches Chromosom synthetisch erzeugt werden – ein Unterfangen, das sowohl als bahnbrechender Schritt für die Medizin als auch als gefährlicher Tabubruch betrachtet wird, wie zum Beispiel die britische Plattform Independant schreibt.
Der renommierte medizinische Forschungsförderer Wellcome Trust hat für das sogenannte Synthetic Human Genome Project eine Anschubfinanzierung von 10 Millionen Pfund bereitgestellt. Laut den beteiligten Wissenschaftlern soll das Projekt neue Antworten auf bislang ungelöste Fragen zu Krankheiten, Genetik und Zellfunktion liefern. Langfristig könnten sich daraus neue Therapien gegen unheilbare Krankheiten entwickeln – oder gar gentechnisch optimierte Nutzpflanzen, die dem Klimawandel trotzen.
«Unsere DNA bestimmt, wer wir sind und wie unser Körper funktioniert», sagt Dr. Michael Dunn, Forschungsdirektor beim Wellcome Trust. «Mit den richtigen Werkzeugen zur synthetischen Herstellung eines menschlichen Genoms werden wir Dinge über Gesundheit und Krankheit herausfinden, die wir uns heute noch nicht vorstellen können.»
Angeführt wird das Projekt von Prof. Jason Chin vom Ellison Institute of Technology und der Universität Oxford, in Zusammenarbeit mit Teams aus Cambridge, Kent, Manchester und dem Imperial College London. Ziel ist es zunächst, Verfahren zu entwickeln, mit denen größere DNA-Segmente synthetisch hergestellt werden können. Diese sollen dann zu einem vollständigen menschlichen Chromosom zusammengefügt werden, das u. a. Gene für Wachstum, Reparatur und Erhalt des Körpers enthält.
Doch trotz der Beschränkung auf Laborumgebungen – das Projekt findet ausschließlich in vitro, also in Petrischalen und Testsystemen statt – regt sich auch Widerstand.
Der Genetiker Prof. Bill Earnshaw von der Universität Edinburgh warnt vor einem gefährlichen Dammbruch. Die technischen Möglichkeiten könnten dazu führen, dass künstlich geschaffene DNA missbraucht wird – etwa zur Herstellung genetisch «verbesserter» Menschen oder gar biologischer Waffen.
«Der Geist ist aus der Flasche», sagte Earnshaw der BBC. «Es wird schwer, einen Akteur mit entsprechender Ausstattung aufzuhalten, wenn er beschließt, DNA frei zu synthetisieren.»
Begleitet wird das naturwissenschaftliche Projekt von einem sozialwissenschaftlichen Forschungsprogramm unter der Leitung von Prof. Joy Zhang, Soziologin an der Universität Kent. Sie betont die Bedeutung eines öffentlichen Diskurses:
«Wir wollen verstehen, wie Experten, Sozialwissenschaftler – vor allem aber die breite Bevölkerung – über diese Technologie denken, welche Chancen sie sehen und welche Bedenken sie haben.»
Das Vorhaben wirft grundlegende ethische, gesellschaftliche und sicherheitspolitische Fragen auf. Während die Forschung große Versprechen birgt, mahnen Kritiker, dass jede neue Technologie auch Verantwortung verlangt – insbesondere dann, wenn sie tief in das Verständnis und die Manipulation menschlichen Lebens eingreift.
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