Transition News: Das Wanderjahr startet diesen September und findet zum ersten Mal statt. Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Praxisjahr für junge Menschen zu organisieren?
Sabine Langer: Als Genossenschaft Menschlich Wirtschaften wollten wir auch etwas für junge Menschen anbieten, die aus der Schule kommen und dann oft nicht wissen, wer sie sind und was sie wollen. Gemeinsam mit Clara Steinkellner haben wir vor zwei Jahren mit den Planungen begonnen. Sie ist Waldorflehrerin und hat auch schon viel mit Jugendprojekten zu tun gehabt.
Welche Vision steckt dahinter?
Wir hoffen und wünschen uns, dass die jungen Leute durch die Vielzahl der Praxisorte ihre Berufung finden. Und dass sie sehr viel gerader und selbstbewusster aus diesem Jahr gehen und wissen, in welche Richtung sie ihren Weg im Leben nehmen können.
Dabei ist uns die Freiheit der jungen Leute wichtig. Es ist uns auch wichtig, dass sie vielen möglichen Berufen begegnen und sich in dieser Zeit selber erkennen. Durch Reflexion wünschen wir uns, dass sich Selbstbewusstsein und ein Sich-Selbst-Wahrnehmen entwickeln.
Wie viele Jugendliche sind im ersten Jahr dabei?
Es handelt sich um eine wunderschöne Gruppe von jungen Menschen zwischen 17 und 22, die auch schon viel erlebt haben. Zurzeit sind neun «Wanderlinge» angemeldet, und sie haben auch schon die ersten zwei Praxisorte gewählt. Drei Jugendliche sind abgesprungen, daher haben wir noch drei von insgesamt zwölf Plätzen frei.
Was haben die Jugendlichen davon? Wurde das Programm mit ihnen entwickelt?
Nein, aber es gab viel Austausch mit jungen Menschen. Das ist unser Pilotjahr und da wird sich auch zeigen, was man noch verändern kann. Was die Jugendlichen davon haben: Viele junge Leute suchen, was sie in ihrem Leben machen wollen. So ein Wanderjahr öffnet Türen: Nicht nur zu sich selber, sondern auch zu dem, was das Leben ausmachen kann.
Warum sollte es Unternehmen wichtig sein, da mitzumachen?
Weil die Begegnung mit jungen Menschen spannend ist und weil sie unsere Zukunft sind. Diese jungen Leute haben wirklich Interesse an den Unternehmen, unseren Praxisorten, die sie sich aussuchen, und sie wollen sich wirklich einbringen. Zu mir kommt zum Beispiel eine junge Frau, die einfach mehr über Steuern erfahren möchte. Sie will wissen, was das für die Gesellschaft überhaupt bedeutet.
Alle Wanderlinge wollen die Grundlagen für Selbstständigkeit kennenlernen. Und ich glaube, es ist wichtig, dass wir junge Leute haben, die in weiterer Folge Unternehmen gründen können oder auch in dem Beruf verbleiben. Die nicht nur Lohnarbeiter sind, sondern die vorausschauen und wirklich verstehen wollen.
Zu den Praxisorten gehört beispielsweise auch ein Silberschmied, der mit Herz und Seele dabei ist und das weitergeben möchte. Denn dieses alte Handwerk droht verloren zu gehen.
Ich glaube, es ist für alle Seiten eine Win-Win-Situation. Auszubilden ist für viele Arbeitgeber wirklich ein Wagnis geworden. Ich kann gar nicht greifen, was da passiert ist. Ich bilde seit Jahren nicht mehr aus und mache jetzt doch als Praxisort mit. Sollte einer der Wanderlinge bei mir arbeiten wollen – und wir haben ihn gut kennengelernt –, kann es sein, dass wir das nochmal wagen.
Wo können die Jugendlichen überall mitmachen, was können sie erleben?
Bei dem Silberschmied können sie selber Glocken herstellen. Bei der Pension können Sie unglaublich viel Wissen über Ernährung und Pflanzen mitnehmen. In Griechenland können sie bei der Olivenernte mitmachen. Das ist auf der einen Seite körperlich anstrengend, andererseits nimmt man so unglaublich viel Schönes mit: Wie verhält sich die Olive? Was passiert in dieser Gemeinschaft, wenn man erntet, sich anstrengt und sich hinterher bei den Bäumen bedankt? Wie entsteht das Öl? Was hat das für Auswirkungen auf den Körper, so einen ganzen Tag mit Oliven zu arbeiten? All das wird da vermittelt.
Wir haben den Anspruch an die Praxisorte, den jungen Erwachsenen viel Wissen und Erfahrungen mitzugeben. Mit dabei ist auch ein Schäfer. Er ist schon älter und hat nicht nur viel Wissen um die Natur, sondern ganz viel Lebenserfahrung. Er arbeitet so unglaublich gerne mit jungen Menschen, um ihnen die Weisheit der Natur näherzubringen.
Und welche Werte sollen weitergegeben werden?
Wir hoffen und wünschen uns, dass bei den Seminarwochen zwischen den Wanderlingen eine gute Gemeinschaft entsteht, die auf Vertrauen basiert und ihnen vermittelt, dass sie Begleiter gefunden haben, die sie so schnell nicht wieder verlassen.
Aber was uns wirklich wichtig ist – das hatte ich ja vorhin schon erwähnt – ist einfach dieses Bewusstwerden für sich selber – dieses Selbstbewusstsein, dass man selber einen großen Wert, einen großen Stellenwert im Leben hat. Und dass man nicht nur seine Berufung findet, sondern auch spürt, dass es sich dabei um eine Aufgabe handelt.
Kurz gesagt: Es geht beim Wanderjahr um Selbstreflexion, das Spüren von Gemeinschaft, das Wahrnehmen von altem Wissen und was es eigentlich bedeutet, einen Beruf fürs Leben zu erlernen.
Wie finden wir die alten Werte des Miteinanders, des Füreinanders und der Menschlichkeit wieder? Das ist auch ein großer Punkt in diesem Wanderjahr. Ich glaube, unsere Gesellschaft hat viel davon verloren.
Wird das denn nicht in den Schulen vermittelt?
Es hat einen großen Wert, sich selber zu behaupten und sich anzuschauen, wo man hin will. Und ich glaube nicht, dass das in Schulen vermittelt wird. Ich kenne genügend junge Leute, die nach der Schule nicht wissen, was sie wollen. Viele gehen einfach ins Ausland. Das ist ja auch schön, da erfährt man auch viele Dinge.
Was wir aber in den Seminarwochen während diesem Jahr versuchen, ist, einfach noch anderes Wissen zu vermitteln: Theaterspielen – das auch zu sich selber führt – wird begleitet von Fachwissen: Wirtschafts-, Medien-, Steuerrecht und so weiter. Dazu kommen Kommunikations- und Innovationstraining: Wie kann ich Ideen umsetzen und entwickeln.
Es geht in diesen elf Monaten aber auch darum, Krisen meistern zu lernen. Mehrere Mentoren begleiten die Jugendlichen, um sie dabei zu unterstützen und diese Situationen gemeinsam zu durchleben. Und das stärkt fürs Leben.
Welche Kosten kommen auf die Wanderlinge zu?
Das gesamte Wanderjahr kostet 3300 Euro pro Teilnehmer. Die Hälfte davon zahlen die Jugendlichen. Bei einigen kommen die Eltern für diese Kosten auf, andere machen Jobs, um das Geld zusammenzubekommen. Und wie gesagt, drei Plätze sind noch frei, man kann noch dazukommen.
Was gehört alles dazu, so ein Wanderjahr überhaupt auf den Weg zu bringen? Was fehlt noch?
Wir haben das durch sehr viel ehrenamtliche Arbeit auf den Weg gebracht. Und was uns jetzt tatsächlich noch fehlt, ist Geld. Wir haben ein Crowdfunding, weil wir für bestimmte Seminargeber sowie die Reisekosten einfach Geld benötigen.
Wie kann die Übermacht der schulischen Bildung zurückgedrängt werden? Kann das Wanderjahr gegen Gehorsam immun machen?
Wir fördern ja ganz stark das selbstständige Denken – es geht nicht ums Auswendiglernen. Und in den Schulen ist es doch mittlerweile Usus, dass Schüler, die eine andere Meinung vertreten, eine Fünf bekommen.
Aber beim Wanderjahr geht es um offene und gleichberechtigte Austauschsituationen. Wir wollen den jungen Menschen eine offene Diskussionskultur vermitteln, die leider abhanden gekommen ist: Es gibt keinen Meinungsaustausch auf derselben Ebene mehr, der die Persönlichkeit nicht angreift. Wenn ich eine Meinung vertrete, bin ich entweder rechts oder links – die anderen brauchen gar nicht mehr mit mir zu reden. Selbst als Erwachsener traut man sich gar nicht mehr, seine Meinung zu sagen – dafür sind wir nicht Mensch geworden.
Wir wollen das aufbrechen: Der eine kann sagen, der Baum ist grün, der andere, dass er blau ist, und trotzdem wird keiner von beiden als blöd, rechts oder links abgetan. Das wollen wir den jungen Menschen vermitteln. Damit sie eine Diskutierfähigkeit, die nicht verurteilt, wieder in die Welt tragen.
Das Interview führte Sophia-Maria Antonulas.