Das Prinzip der Bildungsgutschriften basiert auf einer einfachen Idee: Kinder sollen an Schulen lernen, die ihren Bedürfnissen und Talenten entsprechen. Heute sehen sich viele Eltern und Kinder einem starren, bürokratischen Schulsystem gegenüber, das oft nicht in der Lage ist, die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und Potenziale zu berücksichtigen. Bildungsgutschriften könnten dies ändern. Die durchschnittlichen Kosten eines Kindes an einer öffentlichen Schule könnten auf einen Gutschein übertragen werden. Diesen könnten Familien dann wahlweise bei einer öffentlichen oder privaten Bildungseinrichtung einlösen.
So würden Familien, die eine Privatschule wählen, finanziell nicht benachteiligt. Diese Freiheit bei der Schulwahl soll es ermöglichen, dass jedes Kind die passende Förderung erhält. Sollte sich dieser Schritt als erfolgreich herausstellen, könnte er als Modell für die gesamte Schweiz dienen.
Neben der Förderung individueller Talente verspricht das Modell auch langfristige Einsparungen. Wenn Kinder von Anfang an in einer für sie geeigneten Schule lernen, sinkt der Bedarf an teuren heilpädagogischen Maßnahmen im späteren Verlauf. Das würde nicht nur den Eltern zugutekommen, sondern auch den Staat entlasten. Der Schweizer Kanton Glarus könnte als erster Schritt in eine zukunftsfähige Bildungssystemgestaltung wirken, die auf Nachhaltigkeit und eine gerechte Chancengleichheit setzt.
Der Bürger Nils Landolt aus Näfels, Präsident der Schulwandel Stiftung und Mitunterzeichnende hatten vor einem Jahr den Memorialsantrag (siehe unten) «Schaffung von Bildungsgutschriften» gestellt. Der Regierungsrat, also die Kantonsregierung, beurteilt diesen als rechtlich zulässig. Kürzlich hat sich nun der Landrat damit befasst. Im Mai 2025 wird die Landsgemeinde entscheiden. Obsiegen die Jastimmen, dann erhält der Antrag Gesetzeskraft – auch gegen den Willen von Regierung und Parlament.
Derzeit ist das Schweizer Bildungssystem mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert: Bürokratisierung, zunehmende Spannungen in den Klassenzimmern und der Mangel an Lehrkräften. Eine Lösung wird dringend benötigt. Die Schaffung von Wahlmöglichkeiten in der Schulbildung könnte nicht nur den Kindern zugutekommen, sondern auch den Lehrpersonen und der Gesellschaft insgesamt. Wenn Schulen mehr auf die Bedürfnisse der Familien und Kinder eingehen können, könnten Konflikte in den Klassenzimmern verringert und die Arbeitszufriedenheit der Lehrkräfte steigen.
Die Abstimmung in Glarus hat Symbolkraft: Sollte sich der Kanton für Bildungsgutschriften entscheiden, würde dies als Pionierprojekt für die gesamte Schweiz dienen. Doch die Einführung solcher Maßnahmen ist ein langfristiges Projekt. Die Schulwandel Stiftung, die sich für diese Initiative stark macht, verfolgt auch eine Strategie, um das Modell bereits vor der politischen Umsetzung zu simulieren. Mit Unterstützung von Mäzenen und langfristigen Partnern soll das Konzept der Bildungsgutschriften auf nationaler Ebene getestet werden, um ein tatsächliches Bedürfnis in der Gesellschaft nach mehr Flexibilität und Individualität im Bildungssystem zu belegen.
Die Nachfrage nach innovativen, kreativen und kollaborativen Lernformen wächst. Bildungsgutschriften bieten die Möglichkeit, die Vielfalt von Schulen zu fördern und ein flexibles, anpassungsfähiges Schulsystem zu schaffen, das den Anforderungen der Zukunft gerecht wird. Wenn jedes Kind die beste Unterstützung für seine Entwicklung erhält, kann das nicht nur die Zukunft jedes einzelnen Kindes verbessern, sondern auch eine starke, resiliente Gesellschaft fördern.
In politischen Kreisen sind Privatschulen im allgemeinen und Wahlfreiheit im Bildungssystem unbeliebt. Es handelt sich um ein im 19. Jahrhundert aufgebautes, auf einem allgemeinen Obligatorium und staatlichen Schulen basierendes System, das der Politik viel Macht und Einfluss verschafft. Ob es zukunftstauglich ist und ob es nicht auch durch die Politik missbraucht werden kann, ist aber eine ganz andere Frage.
Die Möglichkeit, zwischen unterschiedlichen Bildungsmodellen zu wählen, sei ein Schlüssel zur erfolgreichen Schulentwicklung, schreibt die Schulwandel Stiftung. Um echte Veränderung zu ermöglichen, müssen Eltern die Freiheit haben, die beste Schule für ihre Kinder zu finden – und nicht, wie derzeit vielfach, in einem starren System gefangen sein. Nur so kann eine Bildungspolitik entstehen, die auf die realen Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet ist, sind die Initianten überzeugt.
Die Abstimmung im Kanton Glarus könnte ein wichtiger erster Schritt sein, um das Bildungssystem in der Schweiz grundlegend zu verändern. Im Mai 2025 wird sich entscheiden, ob Glarus als Vorreiter für ein Bildungsmodell stehen wird, das mehr Wahlfreiheit und Chancengleichheit bietet – für alle Kinder, unabhängig von ihrem familiären Hintergrund.
«Raten, mindern und mehren» – Landsgemeinden in der Schweiz
In Form von Landsgemeinden und Gemeindeversammlungen hat sich in der Schweiz die Urform der Demokratie erhalten. Die stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger versammeln sich an einem Ort und entscheiden durch Handerheben. In kleineren Gemeinden haben sich diese Gemeindeversammlungen bis heute erhalten und ersetzen die Parlamente.
Zwei Kantone (Appenzell Innerrhoden und Glarus) kennen dieses Verfahren auch auf Kantonsebene. Die Glarner Landsgemeinde nimmt einige Wahlen vor, vor allem aber ist sie für Verfassungs- und Gesetzgebung, für die Festsetzung des Steuerfußes und wichtige Sachentscheide zuständig.
Alle Stimmberechtigten haben das Recht, zu «raten, zu mindern und zu mehren», das heißt: Anträge auf Unterstützung, Abänderung, Ablehnung, Verschiebung oder Rückweisung zu stellen. Jede stimmberechtigte Person kann, ohne Unterschriften zu sammeln, jederzeit zuhanden der Landsgemeinde Anträge einreichen («Memorialanträge»).
Die Landsgemeinde versammelt sich unter freiem Himmel am ersten Sonntag im Mai in Glarus. Für interessierte Zuschauer stehen Tribünen zur Verfügung. Die Landsgemeinde wird vom Landammann geleitet. Grundlage für die Verhandlungen bildet das Memorial, eine allen Haushaltungen, in denen mindestens eine stimmberechtigte Person wohnt, zugestellte Druckschrift. Aufgrund der Beratungen im Landrat werden darin die Geschäfte dargestellt. Zudem enthält es Budget und Staatsrechnung.
Die Stimmabgabe erfolgt durch das Hochhalten des Stimmrechtsausweises. Die Mehrheit ermittelt der Landammann durch Abschätzen. In zweifelhaften Fällen zieht er vier Mitglieder des Regierungsrates beratend bei und entscheidet danach endgültig und unanfechtbar.
Diese Form der Demokratie hat den Nachteil, dass sie keine geheime Stimmabgabe kennt. Deshalb ist sie bei internationalen Organisationen wie dem Europarat unbeliebt. Bestehende derartige Institutionen werden aber bislang toleriert.
Auch in Politikerkreisen sind Landsgemeinden und Gemeindeversammlungen unbeliebt, weil sie viel weniger Raum für Verhandlungen hinter den Kulissen lassen und weil auch kleine Interessengruppen Anträge stellen können und die Entscheide dann nicht entlang der Parteigrenzen fallen. Mit guten Reden und überzeugenden Argumenten hat an Gemeindeversammlungen und Landsgemeinden schon häufiger ein Antrag obsiegt, der in einem Parlament keine Chance gehabt hätte. Gerade in Glarus ist das in den letzten Jahren des Öfteren passiert. Die Initianten des Projektes Schulwandel haben sich also Glarus sicher nicht zufällig als Pionierkanton ausgewählt.
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