Eine bunte Mischung von Menschen verschiedenen Alters und regionaler Herkunft, eine Vielfalt allgemeiner und konkreter Forderungen gegenüber der Politik sowie viel gute Laune und Friedlichkeit – das prägte die große Demonstration und die Kundgebung am Samstag in Berlin. Zu der hatten mehrere Gruppen aus Berlin, unter anderem die Partei Die Basis, sowie das Team von Querdenken 711 aus Stuttgart um Michael Ballweg aufgerufen.
Gekommen waren etwa 20.000 Menschen, wie ein erfahrener Demonstrationsbeobachter schätzte, während die Polizei offiziell 12.000 zählte. Es war ein langer Zug von Menschen, der sich durch Berlins westliche Mitte zog, vom Ernst-Reuter-Platz vorbei am Bahnhof Zoo und bis zum Großen Stern in der Straße des 17. Juni. Und sie waren aus allen Regionen Deutschlands gekommen, aus Nord und Süd, Ost und West, auch aus Dänemark und Schweden, aus der Schweiz und Österreich, aus Italien und Polen.
(Foto: Tilo Gräser)
«Für Frieden und Freiheit» war das Motto, unter dem Ballweg und seine Mitstreiter in die deutsche Hauptstadt gerufen hatten, um den Regierenden zu zeigen, dass nicht alle mit ihnen einverstanden sind. Manche kamen schon allein wegen der Tradition der großen Demos in Berlin, die am 1. August 2020 begannen.
Damals waren es an dem Tag und vier Wochen später noch einmal wohl mehrere Hunderttausend, die friedlich und fröhlich Nein zur Corona-Politik sagten – was auch zu massiven Polizeieinsätzen gegen die Demonstranten führte. Diesmal waren es nicht so viele und auch die Polizei verhielt sich friedlicher.
Sie konnte es dennoch nicht lassen, entsprechend der politischen Vorgaben mit Einschränkungen im Vorfeld und provozierenden Auflagen wie dem Verbot, kostenlos Trinkwasser zu verteilen, die Kundgebung zu behindern. Es wurde auch von einigen Festnahmen berichtet, weil Demonstrationsteilnehmer Plakate des verbotenen Magazins Compact zeigten. Ein Teilnehmer wurde abgeführt, weil er eine Fahne trug, auf der neben dem Magazin-Schriftzug zu lesen war «Ami go home».
(Foto: Tilo Gräser)
Aber die nach Berlin gekommen waren, ließen sich davon nicht beeindrucken oder einschüchtern, und hatten die Sonne auf ihrer Seite, die an diesem Tag schien. Und sie blieben friedlich und fröhlich und ließen sich auch nicht von den wenigen Gegendemonstranten provozieren, die sich als «Antifaschisten» sehen.
Frieden war das Hauptthema für die meisten von ihnen, nicht nur für das eigene Land, auch für die anderen Menschen, ob in Russland, in der Ukraine oder in Palästina. Das war immer wieder auch von der Bühne zu hören, so unter anderem als gefordert wurde, den Dritten Weltkrieg zu verhindern und stattdessen den Ersten Weltfrieden auszurufen.
Und immer wieder war auf Transparenten und in Sprechchören der Ruf danach zu lesen und zu hören, dass die Verantwortlichen für die Corona-Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Das forderte später auf der Kundgebung am Großen Stern auch der Anwalt Ralf Ludwig, der klarstellte, dass die Täter nichts zur Aufarbeitung beitragen.
(Foto: Tilo Gräser)
Viele Friedensfahnen wehten an dem Tag durch Berlin, in verschiedenen Ausführungen. Zu sehen war immer wieder auch die schwarz-rot-goldene Fahne Deutschlands, und manchmal in der denkbar besten Variante: mit der Friedenstaube in der Mitte. Doch die deutsche Politik ist weit entfernt davon und fördert den Krieg, wofür sie viel Kritik auf der Demonstration erntete.
Die Menschen forderten in Berlin unter anderem ein Ende der Kriegspolitik und der Waffenlieferungen an die Ukraine und Israel. «Diplomaten statt Granaten» war auf einem der Transparente zu lesen. Ein anderes forderte eine neue Politik und Friedenswillen.
Eine Frau trug in der einen Hand ein Schild, mit dem sie «Friedensgespräche sofort» forderte. In der anderen hielt sie eines, mit dem sie aufrief «Soldaten aller Länder, geht nach Hause!». Darunter war zu lesen:
«Bleibt bei Euren Familien, genießt die Zeit mit ihnen, erfreut auch am Lachen der Kinder! Gebt dem Krieg, dem Leid und dem Blutvergießen keine Chance!»
Matthias Katze war aus dem thüringischen Erfurt nach Berlin gekommen und lief mit einer russischen Fahne durch die deutsche Hauptstadt. Nach dem Motiv dafür gefragt, sagte er, dass er Frieden und Freiheit für das russische wie das deutsche Volk, aber auch das der Ukraine wünscht. Und der Maler und Grafiker hat ein ganz persönliches Motiv: Er lebt inzwischen auch in Russland, woher die Frau stammt, die er in Kürze heiraten werde, wie er berichtete.
Matthias Katze aus Erfurt (Foto: Éva Péli)
Er war zum zweiten Mal in Berlin dabei, «wegen Frieden und Freiheit – ganz einfach». Der Künstler ist sonst in Thüringens Hauptstadt Erfurt aktiv bei den «Montagsspaziergängen» für Frieden, für Freiheit, für Souveränität und für Demokratie. Und jeden Donnerstag steht er nach seinen Worten auf dem Erfurter Anger mit einem Schild, auf dem zu lesen ist: «Nein zu Krieg, Nein zu Waffenlieferungen, Nein zu Sanktionen».
Das Gemeinschaftsgefühl in Berlin zu erleben, «dieses Gefühl, nicht nur eine kleine Gruppe zu sein, sondern viele Menschen», gebe ihm Kraft, sagte er. Es sei wichtig, dass mehr Menschen auf die Straße gehen und ein Zeichen setzen gegenüber der Politik: «So geht das nicht mit eurer Kriegstüchtigkeit». Sein Motiv, sich für Frieden mit Russland einzusetzen, beschrieb er so:
«Es geht eigentlich nur, wenn wir versuchen, gegenseitig unsere Geschichte, unsere Kultur, unsere Traditionen, unsere Mentalitäten zu verstehen, nicht zu übernehmen, zu verstehen. Und das ist der Schlüssel.»
Kultur sei dabei wichtig als «Brücke für die Verständigung zwischen den Völkern». Der Künstler sprach sich auch gegen die Vorurteile gegenüber ukrainischen Flüchtlingen aus, die von den Behörden inzwischen in den Krieg zurückgeschickt würden. Er sei auch für den Frieden für die Menschen in der Ukraine auf der Straße, sagte Katze, «damit nicht noch weitere Hunderttausende sterben».
Immer wieder wurde in dem Demonstrationszug und bei der folgenden Kundgebung auch Frieden für die Ukraine gefordert. Ein Teilnehmer trug ein großes Schild, auf dem auf dem Hintergrund der russischen, der ukrainischen und der deutschen Fahnen zu lesen war: «Дружба = Freundschaft». Eine Gruppe von Menschen trug große Buchstaben, die zusammengesetzt die Worte «МИР – FRIEDEN» ergaben.
(Foto: Tilo Gräser)
Benjamin aus Schleswig-Holstein gehörte zu den Demonstranten, die den Zustand der Medien beklagten, und kritisierte auf einem Schild deutlich den Journalismus und seine Macher. In den letzten Jahren habe sich gezeigt, dass die Berichterstattung der Medien einseitig sei, erklärte er auf Nachfrage.
«Das hat man bei Corona gesehen. Das war aus meiner Sicht eine einzige Propagandaveranstaltung für die Regierungsmaßnahmen. Und das sieht man jetzt wieder bei der Kriegsberichterstattung. Es ist ja sehr traurig, das mit anzusehen.»
Der 47-Jährige lebt inzwischen mit seiner Familie in Dänemark, wie er berichtete, auch weil die Corona-Maßnahmen vor allem gegen die Kinder in Deutschland nicht mehr auszuhalten gewesen seien. Nach Berlin sei er extra gekommen, «weil ich mich für den Frieden stark machen möchte und ich mich gegen einseitige Berichterstattung in den Medien ausspreche». Ihm mache die Beharrlichkeit der Protestbewegung seit 2020 Mut, sagte er.
(Foto: Tilo Gräser)
Forderungen nach Pressefreiheit waren bei der Demonstration ebenso immer wieder zu sehen wie eben auch Kritik an den etablierten Medien. «Ehrliche Medien» wurden auf einem Transparent verlangt, wie auch ausgewogene und unabhängige Berichterstattung. Ein Mann trug ein Schild mit einem Zitat des Schriftstellers Charles Dickens: «Ich brauche Informationen. Eine Meinung bilde ich mir selbst.»
Neben Fahnen aus Deutschland, Russland, Palästina und aus anderen Ländern waren wiederholt ungarische Fahnen zu sehen. Es war ein Zeichen der Dankbarkeit und des Respekts für die Friedenspolitik des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, wie eine Frau mit der rot-weiß-grünen Fahne auf dem Rücken erklärte.
Ein Mann stand am Rand des Demonstrationszuges und trug ein Shirt, auf dem stand nur: «Orbán macht was». «Der ist super, der Mann», sagte er zur Friedensmission des ungarischen Premiers. Corinna aus Halle sieht das ähnlich und trug neben der deutschen auch die ungarische Fahne.
Corinna aus Halle (Foto: Éva Péli)
Sie sei dankbar dafür, dass Ungarn 1989 die Grenze auch für DDR-Bürger öffnete und damit Freiheit ermöglichte. Das würden viele inzwischen vergessen. «Ich hätte nie gedacht, dass wir für die Freiheit wieder auf die Straße gehen müssen», sagte sie und kritisierte wie viele andere auf der Demonstration auch die Corona-Politik, die aufgearbeitet werden müsse. Zu Orbán sagte sie:
«Ich finde es wichtig, dass Viktor Orbán gefahren ist und die Aktion gemacht hat, dass er mit vielen gesprochen hat. Das ist wichtig. Wir müssen im Gespräch bleiben, das ist ein Anfang. Das ist natürlich noch kein Ergebnis, aber wir müssen einfach anfangen, weil wenn wir nicht im Gespräch bleiben, dann gibt es eben Krieg oder Auseinandersetzung.»
Demonstranten warnten unter anderem vor der Gefahr eines Dritten Weltkrieges und kritisierten den gemeinsamen Beschluss der US- und der Bundesregierung, in Deutschland neue Mittelstreckenraketen aufzustellen. Doch es gebe noch keine neue Friedensbewegung dagegen, wie einst in den 1980er Jahren, als Pershing-II-Raketen in der Bundesrepublik stationiert wurden, beklagte Ide.
(Foto: Tilo Gräser)
Der 73-jährige Niederländer lebt seit langem in Deutschland und geht immer wieder mit auf die Straße. Es gehe ihm «zu Herzen, dass es keine neue große Friedensbewegung gibt», dafür eine große Kriegsbewegung, sagte er. Derzeit beginne eine zaghafte Bewegung, auch angestoßen durch Orbáns Politik, aber das sei «viel zu wenig».
«Ich sage immer: Wenn Frieden nicht die höchste Priorität hat, dann hat man Krieg. Das ist in der Ehe so, das ist mit Freunden so, denn der Frieden fängt in uns drinnen an.»
Die Gefahr eines Dritten Weltkrieges sei heute viel größer als in den 1980er Jahren, um so notwendiger sei eine neue Friedensbewegung. Damals seien auch die Kirchen dabei aktiv gewesen, was heute nicht mehr der Fall sei.
Ide war am Samstag in Berlin das allererste Mal in seinem Leben auf einer großen Demonstration, wie er eingestand. Aber er nimmt im Kreis Diepholz in Niedersachsen, wo er lebt, an einem einstündigen «Montagsspaziergang» für Frieden teil, wie er hinzufügte.
(Foto: Tilo Gräser)
Einer seiner Mitstreiter hatte ein T-Shirt an, auf dem stand: «Die Querdenker hatten recht. Von Anfang an.» Ein anderer Teilnehmer der Demonstration trug ein hellblaues T-Shirt mit einer Friedenstaube und der Aufschrift «Friedenshetzer».
Beides zeugte wie viele Transparente, Schilder und andere T-Shirts von der Kreativität und Vielfalt, mit der die Menschen sich für Frieden, Freiheit und auch Wahrheit aussprachen. Das reichte von «Politiker an die Front, dann gibt’s keinen Krieg mehr» über «Corona-Täter stellen und bestrafen» bis zu «Wir fordern den Ausbruch des 1. Weltfriedens».
Auch für Daniel aus Torgau, Vater von sieben Kindern, war das Engagement für Frieden der Grund, nach Berlin zu kommen. Die Kraft, sich gegen den Strom zu stellen, gibt ihm dabei sein Glauben, wie der 50-Jährige erklärte. Auch Hannah, Jahrgang 1952 und aus der Tschechoslowakei stammend, war dabei, um gegen die Kriegshetze zu demonstrieren. Weil sie für Frieden sei, sei sie auch bereits mehrmals nach Russland und nach Serbien gefahren, berichtete sie.
In der Mitte Hannah aus Berlin (Foto: Tilo Gräser)
Es gab auch einige wenige, die die Antwort auf die Gegenwartsfragen in der Vergangenheit suchen und zum Beispiel schwarz-weiß-rote Fahnen des Deutschen Reiches durch Berlin zogen. Aber das waren Einzelne, die das Bild und den Tenor der Demonstration und der Kundgebung nicht bestimmten.
Das war von Vielfalt der Sichten ebenso geprägt wie von dem Wunsch nach Frieden, was sich auch bei den Reden, Vorträgen und Musikerauftritten auf der offenen Bühne in der Hofjägerallee am Großen Stern zeigte. Dort sprachen unter dem Motto «Frieden. Freiheit. Wahrheit» neben Initiator Michael Ballweg die Schauspielerin Gabriele Gysi ebenso wie die Rechtsanwälte Ralf Ludwig und Dirk Sattelmaier, der Arzt Andreas Sönnichsen, der Journalist Walter van Rosssum, die Philosophin Alexandra Eduardovna und die Tierärztin Imke Querengässer sowie der Grundrechtsaktivist Ralph Boes.
Die Schauspielerin und Regisseurin Gabriele Gysi (Foto: Tilo Gräser)
Die Themen reichten von der Kritik an der kapital- und machtorientierten Politik (Gysi) und an der neuen Aufrüstungspolitik (Sönnichsen) über die Aufarbeitung der Corona-Politik und des von dieser angerichteten Unrechts (Ludwig und Sattelmeier) und die Suche nach Alternativen zu den Kontrollmechanismen im digitalen Bereich (Ballweg) bis zur Frage einer Verfassung für Deutschland (Boes), der Pressefreiheit und den Medien (van Rossum) sowie der Suche nach dem Frieden in jedem Menschen selbst (Eduardovna und Querengässer).
Ich will und kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht weiter aus den interessanten Beiträgen zitieren, da sie auf zahlreichen Videoaufnahmen festgehalten wurden und im Internet nachseh- und hörbar sind. Die Vielfalt auf der Demonstration und der Kundgebung lässt sich nicht mit diesem einen Text annähernd vollständig wiedergeben. Die einseitigen Berichte der Mainstreammedien, die es gibt, geben die Vielfalt erst recht nicht wieder.
Michael Ballweg (Foto: Tilo Gräser)
Auf der Bühne sorgten auch eine ganze Reihe von Musikern für gute Stimmung und Atmosphäre, so Hannes Kreutziger, der Sänger «Photon», das Duo Morgaine & Äon, der österreichische Rapper Kilez More mit seinem T-Shirt «01 Weltfrieden» und die Sängerin Caro Kunde. Kilez More äußerte sich dabei am deutlichsten gegen die Kriegspolitik und sagte in einem vorbereiteten Text unter anderem:
«Sie nennen mich Lumpen-Pazifist. Doch ich bleibe Friedensaktivist. Egal, womit man mich beschimpft. Ich empfinde das als Pflicht. Und Ihr empfindet das wie ich. Deshalb marschieren wir nicht mit. Und ich sage es wie Reinhard Mey: Meine Kinder gebe ich nicht.»
Im Laufe der mehrstündigen Kundgebung, die bis zum späten Abend dieses Samstages in Berlin dauerte, leerten sich die Reihen vor der Bühne, auch weil viele wieder den langen Weg nach Hause antraten. Am Ausgang des Geländes hin zur «Siegessäule» gab es nicht nur einen Stand der AfD, wofür es auch Kritik von der Bühne gab. Dort hatte eine Gruppe auch einen Stand aufgebaut, an dem die Menschen Zettel mit Blumen unterschreiben konnten, auf denen stand: «Hallo russisches Volk. Mit dieser Blume reiche ich dir die Hand.» Das taten sehr viele und fügten persönliche Botschaften hinzu.
(Foto: Tilo Gräser)
Von der Bühne aus wurde auf die nächste große Friedensdemonstration am 1. September in München hingewiesen. Und auf Telegram schlug eine Teilnehmerin angesichts der «Siegessäule» nahe des Veranstaltungsortes in Berlin, die an den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 erinnert, vor, eine «Friedenssäule» zu schaffen.
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