Javier Milei hat es mit seiner Rede auf dem Weltwirtschaftsforum 2025 in Davos geschafft, die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zu ziehen – jedoch nicht aufgrund von wirtschaftspolitischen Konzepten. Statt über Marktwirtschaft zu sprechen, attackierte er in einer leidenschaftlichen Ansprache die westliche Weltordnung, die Werte der Inklusion und den «Wokeismus». In einer Welt, in der politische Reden immer stärker auf Konsens und Diplomatie abzielen, ging Milei einen anderen Weg: radikal, polarisiert und spalterisch. Die Reaktionen auf seinen Auftritt waren sowohl in Argentinien als auch international heftig – während seine Anhänger seine Aussagen als Befreiungsschlag feierten, hagelte es von anderen Seiten scharfe Kritik.
Mileis Kritik richtete sich nicht nur gegen die westliche Elite, sondern auch gegen feministische Bewegungen, Klimaschutzinitiativen und die LGBTQ-Gemeinschaft. In seiner Darstellung des «Wokeismus» als einer Form von Tyrannei, die die westlichen Gesellschaften zu kontrollieren versuche, zeigte sich der Präsident von Argentinien als vehementer Gegner eines Diskurses, den er als marxistisch und destruktiv bezeichnete. Für viele war es ein Angriff auf die Werte, die für das Weltwirtschaftsforum selbst zentral sind.
Doch was viele als beispiellosen Frontalangriff auf gesellschaftliche Normen wahrnahmen, hatte in Mileis politischer Karriere schon lange Platz.
Bereits in seiner Heimat Argentinien hatte er sich wiederholt als radikaler Kritiker des politischen Establishments positioniert. Nach seiner Wahl zum Präsidenten setzte er in seiner Heimat ein neoliberales, um nicht zu sagen libertäres Programm um, das zwar die Inflation senkte, jedoch auch zu tiefgreifenden sozialen Problemen führte. Die sozialen Spannungen, die durch Sparmaßnahmen und die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich verstärkt wurden, führen zu massiven Protesten im Land. Die LGBTQ-Gemeinschaft und feministische Gruppen kämpfen zusätzlich gegen Mileis queerfeindliche Rhetorik und seine Ablehnung von Genderquoten und Inklusion.
Für Milei selbst scheinen diese Proteste jedoch Belege dafür zu sein, dass er sich auf dem richtigen Weg befindet. Er versteht sich als Kämpfer im «Kulturkampf» und sieht den «Wokeismus» als Verfallserscheinung, die es zu überwinden gilt. Seine Auseinandersetzungen mit der internationalen Gemeinschaft und seine angespannte Beziehung zu den westlichen Regierungen lassen sich auch als strategischer Versuch verstehen, sich als Führer einer neuen, globalen Bewegung zu etablieren. Dies könnte ihm sowohl innerhalb seiner eigenen Landespolitik als auch auf der Weltbühne noch viele Feinde und Anhänger einbringen.
Trotz dieser polemischen Politik hat Milei in nur einem Jahr als Präsident beachtliche wirtschaftliche Erfolge erzielt. Die Inflation wurde gesenkt, die Wirtschaft stabilisiert und eine beginnende Erholung des Arbeitsmarktes konnte verzeichnet werden. Argentiniens Staatsrechnung schloss außerdem das erste Mal seit über 100 Jahren 2024 positiv ab. Zusätzlich wissen Milei und der Minister für Deregulierung und Transformation, Federico Sturzenegger – ein Ökonom mit Appenzeller Wurzeln –, dass die Vollmachten, mit denen die Reformen durchgesetzt werden, im Juli auslaufen. Sie müssen also bis zu diesem Termin Nägel mit Köpfen machen. Bei Themen, die nicht durch die Vollmachten des Parlaments abgedeckt sind, agiert er schon heute überraschend pragmatisch.
Dennoch ist die politische Lage in Argentinien weiterhin angespannt. Proteste gegen seine radikalen Reformen im Sozialbereich sind weiterhin an der Tagesordnung. Besonders die Ankündigung, den Begriff des Femizids aus dem Strafgesetzbuch zu streichen und die Rechte der Frauen weiter einzuschränken, löste massive Empörung aus. Allerdings sind die Streiks bisher nicht von einer Art, dass sie Milei direkt gefährlich werden könnten.
Einerseits führt also Milei Wirtschaftsreformen durch, die globalisierungsbefürwortenden Kreisen gefallen dürften, andererseits nimmt er gesellschaftspolitisch eine komplett konträre Position ein. Aufgrund dessen ist es nicht einfach, diese schillernde Persönlichkeit einzuordnen.
Ein weiterer Dämpfer für Mileis Präsidentschaft könnte der Skandal rund um die Kryptowährung «$Libra» sein. Ein «Rug Pull»-Skandal, bei dem der Marktwert der Währung in nur wenigen Stunden stark anstieg und zusammenbrach, brachte Milei in die Schlagzeilen. Seine öffentliche Unterstützung für das Projekt, die er kurz darauf relativierte, sorgte für noch mehr Kritik. Der Verdacht, dass Milei von dem fragwürdigen Geschäft profitiert hat, könnte dem Präsidenten schaden und zu einem Impeachment-Verfahren führen.
«Wie naiv darf ein Staatsoberhaupt sein», titelte gestern die Neue Züricher Zeitung (NZZ). Und forderte: «Jemand sollte ihn vor sich selbst schützen.»
Die Frage, ob Javier Milei in der Lage ist, weiterhin zu regieren, oder ob er gezwungen sein wird, zurückzutreten, bleibt vorerst offen. In einer stark polarisierten politischen Landschaft, sowohl in Argentinien als auch auf internationaler Ebene, hängt sein Schicksal nicht nur von wirtschaftlichen Erfolgen ab, sondern auch von seiner Fähigkeit, die Proteste gegen seine Regierung zu kontrollieren und zu deeskalieren. Mileis unnachgiebige Haltung könnte dem Präsidenten ebenso viele Gegner wie Unterstützer einbringen.
Die Präsidentschaft von Javier Milei steht somit am kritischen Wendepunkt: Wird er als reformatorischer Freiheitskämpfer verehrt oder als gefährlicher Demagoge abgestempelt? Sicher ist, dass die Welt noch lange über seine Äußerungen und politischen Entscheidungen sprechen wird – und das nicht nur in Bezug auf Argentinien, sondern als Teil eines breiteren Kulturkampfes über den «Wokeismus», der die internationalen politischen Landschaften erschüttert.