Seit dem 28. Juni steht das politische Zentrum von Sofia still. Und das ist wörtlich zu nehmen: Die bulgarische Hauptstadt ist zum Schauplatz einer der größten Demonstrationen der letzten Jahre geworden. Unter dem Slogan «Nein zum Euro – Ja zum Lewa» haben sich zehntausende Bürgerinnen und Bürger auf den Straßen versammelt. Ihr Ziel: Die Einführung der europäischen Einheitswährung zum 1. Januar 2026 zu stoppen. Der Protest soll – so die Ankündigung der Organisatoren – mindestens bis zum 8. Juli andauern. Das melden die bulgarischen Medien, aber auch der westeuropäische Mainstream (hier und hier).
Organisiert wird die Kundgebung vom «Bürgerkomitee zur Bewahrung des Lewa», mit Unterstützung der nationalistischen und prorussischen Partei «Wosroždénie» (Wiedergeburt). Deren Parteivorsitzender Kostadin Kostadinow spricht vom «Kampf um die finanzielle Unabhängigkeit Bulgariens» und beschwört das Bild eines «kolonialen Zwangs» durch Brüssel. Unterstützt werden die Proteste auch durch rechte und eurokritische Politiker aus Deutschland (unter anderem von der AfD), Tschechien, der Slowakei, Rumänien und Ungarn.
Tatsächlich greifen die Protestierenden Sorgen auf, die weit über ideologische Rhetorik hinausgehen. Viele Bulgaren verbinden mit der bevorstehenden Euro-Einführung existenzielle Ängste: steigende Lebenshaltungskosten, Verlust der Preisstabilität und eine Entfremdung von der eigenen Währung, dem Lewa, der seit 1881 in Umlauf ist und tief in der nationalen Identität verwurzelt ist.
Dabei ist der Lewa längst fest an den Euro gekoppelt – ein faktischer Verlust der geldpolitischen Souveränität besteht bereits seit Jahren. Dennoch sehen viele in der offiziellen Umstellung eine rote Linie überschritten. Laut aktuellen Umfragen lehnt eine Mehrheit der Bevölkerung den Euro-Beitritt ab oder ist zumindest skeptisch. Ein zentrales Argument: die ohnehin hohe Armutsquote (über 30 %) und die Inflation (zuletzt 3,5 %) könnten sich durch die Einführung des Euro weiter verschärfen.
Die Proteste treffen auf ein Land in chronischer politischer Instabilität. In den letzten fünf Jahren hat Bulgarien sieben Parlamentswahlen erlebt – eine Folge der tiefen Spaltung zwischen pro-europäischen Kräften und nationalistischen Strömungen. In diesem Kontext nutzen politische Akteure wie der eher der zweiten Strömung angehörige Präsident Rumen Radew die polarisierte Stimmung, um Forderungen nach einem Referendum zur Euro-Einführung vorzubringen. Das bulgarische Verfassungsgericht hat jedoch bereits im letzten Jahr ein solches Referendum als verfassungswidrig eingestuft – Bulgarien habe sich mit dem EU-Beitritt 2007 verbindlich zum Euro bekannt, sobald die Voraussetzungen erfüllt seien.
Die EU-Institutionen haben Bulgarien im Juni grünes Licht gegeben: Der Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments sowie der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister befürworten den Beitritt. Bulgarien erfüllt nach offiziellen Angaben alle Maastricht-Kriterien: stabile Staatsfinanzen, geringe Verschuldung, kontrollierte Inflation.
Die Zustimmung der Bevölkerung fehlt jedoch – und das hat Symbolcharakter. Die EVP-Abgeordnete Eva Maydell appellierte zuletzt an die pro-europäischen Kräfte des Landes, endlich Einigkeit zu zeigen. Die Proteste aber zeigen: Die Einführung des Euro kann nicht nur technisch, sondern muss auch politisch und gesellschaftlich legitimiert sein. Und genau daran mangelt es derzeit massiv.
Auffällig ist die zunehmend internationale Dimension der Proteste. Bulgarische Aktivisten touren mit einem Autokonvoi durch Europa – zuletzt demonstrierten sie vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Auch in Wien, Brüssel und Rotterdam fanden kleinere Aktionen statt (wie Alexander Ehrlich hier und hier auf seinem Telegram-Kanal berichtet). Die Vernetzung mit rechtspopulistischen und euroskeptischen Kräften im EU-Ausland verleiht dem Protest eine übernationale Dynamik, die Brüssel nicht ignorieren kann. Ein Redner aus Tschechien brachte es auf den Punkt:
«Wer das Geld kontrolliert, kontrolliert alles. Wenn ihr den Euro zulasst, werdet ihr Sklaven im eigenen Land.»
Solche Aussagen entlarven die Ideologie hinter der Bewegung, aber sie verweisen auch auf einen wachsenden Vertrauensverlust in europäische Institutionen. In Bulgarien, einem der ärmsten EU-Staaten, ist dieses Misstrauen besonders stark ausgeprägt.
Fazit: Symbol für Europas Spaltung?
Die Euro-Proteste in Bulgarien sind mehr als ein lokales Aufbegehren. Sie sind Ausdruck einer tiefer liegenden Krise – einer Spaltung zwischen Brüsseler Integrationsplänen und der sozialen Realität vieler EU-Bürger. Wenn der Euro in Bulgarien tatsächlich eingeführt wird, wird das kein wirtschaftlich-technischer Akt sein, sondern ein politischer Kraftakt. Und vielleicht ein Lackmustest für die Zukunft der europäischen Währungsunion.
In Bezug auf die nackten Zahlen hat Brüssel Recht: Bulgarien erfüllt die Maastricht-Kriterien, und zwar besser als viele «alteingesessene» Euroländer. Bei Griechenland, Italien, oder auch Belgien (Liste unvollständig) wurden die Kriterien beim Euro-Beitritt insofern verletzt, als die Gesamtschulden des öffentlichen Sektors viel höher waren als die berühmten 60%. Bulgarien ist nun hier mit den kaum 40% in einer sehr komfortablen Lage.
Allerdings ist das nicht die ganze Wahrheit. Das Land ist politisch sehr instabil – es befindet sich praktisch im Dauerwahlkampf. Außerdem ist es eines der ärmsten Länder der EU. Wird nun der Euro dort eingeführt, dann dürfte das zuerst zu sinkenden Zinsen führen (Risikoprämien auf Staatsanleihen sinken aufgrund des weggefallenen Währungsrisikos). Jede Regierung wird in Versuchung geführt, diesen neu gewonnenen fiskalischen Spielraum für Wahlgeschenke zu nutzen. Steigen dann die Zinsen wieder, dann kann das sehr schnell zu einem finanziellen Engpass führen. Das hat man in Griechenland sehr gut gesehen.
Außerdem ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Land aufgrund des weggefallenen Umtausches größerer wirtschaftlicher Konkurrenz ausgesetzt werden dürfte. Ist die bulgarische Wirtschaft bereit dazu?
Was aber die Demonstranten besonders fürchten, ist ein Teuerungsschub. Auch dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Bei praktisch jedem Euro-Beitritt kam es dazu, da bei der Umstellung von Lokalwährung auf Euro praktisch immer aufgerundet wird und den Menschen das Gefühl für den Wert der neuen Währung meist noch eine Weile abgeht.
Auch das Argument des Redners aus Tschechien ist nicht von der Hand zu weisen. Jedes Euroland hat sich zu gewissen Regeln verpflichtet. Es gibt Dinge, die ein Land, das eine eigene Währung hat, machen darf, ein Euroland aber nicht. Dazu gehören nicht nur Abwertungen der Landeswährung. Wäre die Schweiz Mitglied der Eurozone, hätte die Rettung der Großbank UBS im Jahr 2008 nicht über die Schweizerische Nationalbank (SNB) abgewickelt werden dürfen, sondern sie hätte voll das Bundesbudget belastet, so wie das damals in Irland gemacht wurde. Das hätte in der Schweiz zu großen wirtschaftlichen Verwerfungen und zu einer hohen Staatsverschuldung geführt. So, wie die Schweiz das damals machen konnte, hat die UBS-Rettung den Steuerzahler nicht nur nichts gekostet, er hat auch daran verdient.
Auch wenn Bulgarien die Maastricht-Kritierien problemlos erfüllt: Die Protestbewegung kann nicht einfach als Populismus von russophilen Kreisen abgetan werden. Es gibt gute Gründe für die Skepsis bei der Einführung des Euro in Bulgarien.
Warum aber ist Bulgarien dazu verpflichtet? Es gibt doch eine Reihe von EU-Ländern, die den Euro nicht haben und auch nicht einführen.
Während Ungarn die Kriterien nicht erfüllt, haben sich Länder wie Dänemark, Schweden, Polen oder die Tschechische Republik beim Beitritt respektive bei der Schaffung der Eurozone ausbedungen, zu einem Beitritt in die Eurozone nicht verpflichtet zu werden.