Seit dem Hamas-Angriff am 7. Oktober wird Kritik an Israel mehr denn je als Antisemitismus verunglimpft. Die Schweizer Bewegung HelvEthica Ticino, die an den kantonalen Wahlen Anfang April im Kanton Tessin zwei Sitze im Grossen Rat gewinnen konnte, hat dieses Vorgehen «satt». Das machte sie am Donnerstag in einem offenen Brief an den Aussenminister Ignazio Cassis klar.
HelvEthica zeigt sich entsetzt über «das tägliche Massaker, das der Staat Israel an der im Gazastreifen ‹gefangenen› Zivilbevölkerung mit wahllosen Bombardierungen von Häusern, Spitälern und Schulen verübt». Die Bewegung weist auf «vorläufig 11’000 Tote» hin, «davon fast die Hälfte Kinder», und auf «über 150’000 zerstörte Häuser». Und das alles «gegen eine Bevölkerung, die seit Jahren auf wenige Quadratkilometer zusammengepfercht ist und kein Wasser, keinen Strom und keine Lebensmittel mehr hat».
«Und das Ministerium, dem Sie vorstehen, hat nichts Besseres zu tun, als die Hilfe für elf Menschenrechtsorganisationen auszusetzen, die in Israel und den palästinensischen Gebieten tätig sind!», kritisiert HelvEthica.
Die Organisation zitiert den italienischen Historiker und politischen Analysten Paolo Borgognone, der gesagt hatte:
«Die Kinder von Gaza schreiben ihre Namen auf ihre Körper, damit ihre Leiche identifiziert werden kann. Hitler ist wieder unter uns. König Herodes ist wieder unter uns. Und diejenigen, die diesen massenhaften Kindermord, der in gewisser Weise einmalig in der Geschichte ist, unterstützen, gutheissen oder im Rahmen des Narrativs von Israels ‹Recht auf Selbstverteidigung› kontextualisieren, sind auf moralischer Ebene nicht besser als die materiellen Täter solcher Verbrechen gegen die Menschlichkeit.»
HelvEthica betont, über den Angriff der Hamas auf die israelische Bevölkerung gleichermassen empört und entsetzt zu sein. Allerdings erachtet das Komitee die Reaktion Israels darauf als «völlig unverhältnismässig». Die Aktionen des Staates Israel zu kritisieren, bedeute nicht, «antisemitisch» zu sein. Dabei bezieht man sich auf entsprechende Äusserungen des Aussenministers in einen Gastbeitrag in der NZZ. Im Gegenteil, HelvEthica trete «für die Achtung aller Menschen ein, unabhängig von ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder Meinung», und:
«Wir haben es satt, diejenigen, die sich kritisch mit der Darstellung des israelisch-palästinensischen Konflikts auseinandersetzen, als ‹antisemitisch›, diejenigen, die sich kritisch mit Pandemie-Massnahmen auseinandersetzen, als ‹Leugner› oder ‹Anti-Vax›, diejenigen, die sich mit der Gender-Ideologie auseinandersetzen, als ‹homophob›, diejenigen, die sich kritisch mit der offiziellen Version des 11. Septembers auseinandersetzen, als ‹Verschwörungstheoretiker› (…) bezeichnet zu sehen.»
Die Bewegung macht auch deutlich: Nicht alle Juden würden gleich denken, wie die von der Gruppe Jewish Voice for Peace am 27. Oktober in New York organisierte Grossdemonstration für den Frieden gezeigt habe.
HelvEthica ist zudem besorgt über das Eskalationspotenzial dieses Konfliktes, «bis hin zu einem nukearen Weltkrieg». Die Geschichte lehre uns, dass Kriege nicht von der Bevölkerung ausgehen würden, sondern von der «üblichnen Kaste mit finanziellen und/oder geostrategischen Interessen, die oft beide Lager finanziert». Die Vereinigung schliesst:
«Als Bürger erwarten wir von Ihnen, dass Sie Ihre Pflicht als Aussenminister der Schweiz erfüllen, ein neutrales Land, das seit jeher eine humanitäre Tradition hat und das sich seit 2022, dem Jahr, in dem Sie unsere traditionelle Neutralität (die inzwischen variabel ist) durch die Sanktionierung Russlands untergraben haben, jenen atlantischen Wünschen zu beugen scheint, die dazu berufen sind, ‹Demokratie› in andere Länder zu exportieren, indem sie ihnen den Krieg erklären. Wir erwarten daher von Ihnen, dass Sie sich dafür einsetzen, die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen, wie es sich für ein Land gehört, das sich durch solide Grundsätze der Neutralität und der guten Dienste auszeichnet: Wenn Sie das nicht können oder wollen, fordern wir Sie auf, zurückzutreten.»
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