Innerhalb weniger Jahre sind in Europa und im Nahen Osten zwei Brandherde entstanden. Die Eskalationsspirale dreht sich schneller und schneller, so dass das Kriegsfeuer sich auszubreiten droht. Die Welt brodelt und kocht. Es fehlt nicht viel, bis die Verhältnisse denen in Tolstois Hauptwerk «Krieg und Frieden» ähneln. Den gleichen Titel hat das Magazin «Hintergrund» seiner aktuellen Ausgabe gegeben. Hinter «Frieden» steht jedoch ein Fragezeichen. Damit ist die gegenwärtige Stimmung gut eingefangen. Konjunktur hat derzeit der Krieg. Überall ist von «Wehrhaftigkeit» die Rede, von Aufrüstung und anstehenden Bodenoffensiven.
Welche Interessen dahinterstecken, veranschaulicht unter anderem der Publizist Hermann Ploppa in einem Beitrag, der die europaweiten Bauernproteste in einen Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg bringt. Erklärt wird dieser nach Clausewitz: Der Krieg ist wirtschaftlicher Konkurrenzkampf mit anderen Mitteln. Ploppa erklärt, wie grosse Agrarkonzerne nicht nur die kleinen Bauern verdrängen wollen, sondern dass sie es auch auf die überaus fruchtbaren Ackerböden in der Ukraine abgesehen haben.
Dass es bei der Kriegseuphorie wieder einmal um die Interessen der Reichen und Mächtigen geht, keineswegs aber um die Belange einfacher Leute, unterstreicht Susan Bonath in ihrem Beitrag. Sie akzentuiert den Aspekt des Sozialabbaus, mit dem in Deutschland die sogenannte Zeitenwende erkauft wird. Während die Politik Rüstungsausgaben in die Höhe schnellen lässt, kürzt sie seit Jahren bei «Rentenzuschüssen des Bundes», den «Fördermitteln für soziale Träger» oder bei den «Hilfen für Erwerbslose».
Gefahr eines Dritten Weltkriegs
Ergänzt wird dieser Beitrag durch die Ausführungen des Friedensaktivisten Lühr Henken, der Deutschlands Aufrüstung seit 2014 nachzeichnet und anhand konkreter Zahlen zeigt, welch astronomische Dimensionen sie angenommen hat. Dass das nicht gut gehen kann, gibt Wolfgang Effenberger zu bedenken. Der ehemalige Bundeswehr-Soldat und heutige Publizist warnt in seinem Artikel eindringlich vor einem Dritten Weltkrieg und vergleicht die gegenwärtige Situation mit Ereignissen, die 1914 in die Katastrophe führten. Wie damals brodle es heute an den gleichen «Verwerfungslinien», so Effenberger. Die Ukraine gehöre genauso dazu wie Afrika, Armenien und der Balkan.
Bereits diese ersten Beiträge lassen das Konzept der Ausgabe erkennbar werden. Sie nähert sich ihrem Hauptthema aus verschiedenen Perspektiven und beleuchtet unter anderem Facetten, die in der öffentlichen Diskussion untergehen. Während beispielsweise Rüdiger Göbel das NATO-Grossmanöver «Steadfast Defender» und den Führungsanspruch der Bundeswehr unter die Lupe nimmt, erinnert Jutta Kausch-Henken an die Friedensbewegung in den 1980er Jahren, indem sie deren Forderungen nennt und anmerkt, wie wenig von der damaligen Mentalität übriggeblieben ist.
Strategie der USA
In diesem breiten Themenspektrum finden sich hier und da neue Informationen, selbst wenn man glaubt, schon alles gehört und gelesen zu haben. Die Beiträge sind gut recherchiert, enthalten geschichtliche Rekurse und wagen teilweise einen Ausblick. Neben solchen Artikeln ist ein Auszug eines Vortrags von Wolfgang Bittner abgedruckt, den der Publizist im November letzten Jahres in Berlin hielt. Darin gibt er einen tiefen Einblick in die Strategie der USA und erläutert, wie die Weltmacht jenseits des Atlantiks Deutschland als Speerspitze gegen Russland ins Feld führt, während sie in Asien auf Japan setzt, um den geopolitischen Konkurrenten China in die Knie zu zwingen.
Besonders lesenswert sind die Interviews mit der Schauspielerin Gabriele Gysi, dem ungarischen Journalisten Gabor Stier und seinem deutschen Kollegen Ulrich Heyden, der seit 1992 in Moskau lebt. Dieser beschreibt unter anderem, wie sich für ihn die Arbeitsbedingungen in den letzten zwei Jahren verändert haben. Dabei wird auch ein kritisches Schlaglicht auf Russland geworfen. Das Interview ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Magazin nichts schönfärben will. Obwohl der Fokus auf den Missständen im sogenannten Wertewesten liegt, bleiben fragwürdige Entwicklungen in Russland nicht unerwähnt.
Der Gaza-Krieg
In der zweiten Hälfte des Hefts tritt der Gazakrieg in den Vordergrund. Wie der bewaffnete Konflikt in Europa wird er entlang verschiedener Problemfelder behandelt, allerdings mit einer Tendenz zur Israelkritik. Die Autoren unterstreichen mit klarer Haltung die Verfehlungen eines Staates, der im Nahen Osten eine Regionalmacht darstellt und als solche offenbar weiterwachsen will. Die australische Investigativjournalistin Caitlin Johnstone etwa wirft Israel vor, an einer friedlichen Lösung nie interessiert gewesen zu sein, genauso wenig wie an einem Zwei-Staaten-Modell.
Noch schonungsloser geht Valerie Winter mit Israel ins Gericht. Die Journalistin nennt nicht nur die Verbrechen der Armee, sondern legt dar, welchen Einfluss nationalreligiöse Gruppen haben. «Die politische Kultur und Berichterstattung der Mainstreampresse Israels ist längst von einer Rhetorik der Entmenschlichung kontaminiert», schreibt sie.
Eine Brücke zum vorherigen Heft
Zum Schluss des Heftes wird noch einmal die Brücke zur vorherigen Ausgabe geschlagen, die sich ausführlich mit der DDR beschäftigte. An der Nahtstelle beider Themenschwerpunkte bewegt sich vor allem der Beitrag des Wissenschaftlers Max Rodermund. Er analysiert das heute vorherrschende DDR-Bild und geht dabei auf die Frage ein, warum der Krieg in der Ukraine die Unterschiedlichkeit zwischen Ost und West nach mehr als dreissig Jahren des Anschlusses stärker hervortreten lässt.
Der Publizist Frank Schumann hingegen widmet sich dem kürzlich erschienenen zweiten Memoiren-Band aus der Feder des letzten SED-Generalsekretärs Egon Krenz. In der Besprechung geht der Autor ebenfalls auf das Thema Krieg und Frieden ein. Dieses nehme in Krenz’ Buch eine zentrale Rolle ein, schreibt Schumann. Interessanterweise veranschaulicht er das unter anderem mit Passagen, in denen Helmut Kohl als friedensorientierter Politiker dargestellt wird.
Das Heft liefert einen guten Überblick über die aktuelle Problemlage, mit fundierten Hintergrundberichten, spannenden Interviews und durchaus temperamentvollen Meinungsbeiträgen, die den Wissenshorizont erweitern dürften. Man liest die Ausgabe mit grossem Gewinn, auch weil man die darin vermittelten Informationen denen aus der Mainstreampresse entgegenstellen kann. In diesem Spannungsverhältnis kristallisiert sich die Wahrheit durch eigenständiges Denken. Dazu will das Magazin anregen, nicht mehr und nicht weniger.
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