Der Libanon geriet jüngst im Zusammenhang mit den israelischen Angriffen und mit dem Machtwechsel in Syrien in die Schlagzeilen. Die tiefgreifende Wirtschaftskrise, die das «Zedernland» erschüttert, ist leider kein Thema. Damit beschäftigt sich auf der Westschweizer Plattform Infomeduse der in Beirut geborene französisch-schweizerische Ökonom Michel Santi.
Im März 2020 geriet der Libanon erstmals in seiner Geschichte in Zahlungsverzug: Eine fällige Staatsanleihe über 1,2 Milliarden Dollar konnte nicht bedient werden. Dieser erste Zahlungsausfall markierte den Beginn einer Reihe weiterer Bankrotte, da die Staatsschulden des Landes mit mehr als 100 Milliarden Dollar – rund 280% des BIP – astronomische Höhen erreicht haben. Trotz zahlreicher Restrukturierungspläne scheiterte eine Lösung immer wieder an politischer Instabilität, mangelnder Fachkompetenz und unrealistischen Vorschlägen.
Das marode Bankensystem steht dabei im Zentrum der Krise. Libanesische Banken investierten massiv in Staatsanleihen mit hohen Zinsen, die mit dem Staatsbankrott nahezu wertlos wurden. Dies führte zu geschätzten Verlusten von über 70 Milliarden Dollar, die wiederum informelle Kapitalverkehrskontrollen und den Zorn der Bevölkerung auslösten. Die Zentralbank des Libanon trägt mit fast 80 Milliarden Dollar an Verlusten und leeren Devisenreserven zusätzlich zum Chaos bei.
Ein Hoffnungsschimmer: Das libanesische Parlament hat kürzlich mit Joseph Aoun einen neuen Präsidenten gewählt, dessen breite Unterstützung Stabilität verspricht. Dies führte bereits zu einem Kursanstieg der zuvor wertlosen Eurobonds und nährt die Hoffnung auf eine Restrukturierung der Schulden innerhalb eines Jahres. Doch die Herausforderungen bleiben monumental.
Die Rettung des Libanon erfordert gemäß Santi mutige und entschlossene Maßnahmen:
- Eine Zwangsfusion der Banken könnte weniger als zehn stabile Institute schaffen.
- Die Einrichtung einer «Bad Bank» würde toxische Vermögenswerte isolieren.
- Ein vereinheitlichter Wechselkurs – etwa durch ein «Crawling Peg»-System, das die schrittweise Anpassung der Währung erlaubt – könnte die dringend benötigte Stabilität bringen.
- Verhandlungen mit Gläubigern über einen Schuldenschnitt von 60 bis 70% sind essenziell.
Besonders wichtig ist die Mobilisierung der libanesischen Diaspora. Ihre finanzielle Unterstützung, etwa durch sogenannte «Diaspora-Bonds», könnte eine Schlüsselrolle spielen. Diese Anleihen könnten durch künftige Einnahmen aus Erdgas- und Ölvorkommen abgesichert werden. Experten schätzen, dass der Libanon über bis zu 700 Milliarden Kubikmeter Erdgas und 865 Millionen Barrel Öl verfügt.
Auch der marode Stromsektor, ein enormes wirtschaftliches Hemmnis, müsste angesichts der leeren Staatskassen mit privaten Geldern saniert werden. Gleichzeitig sollten auch andere Infrastrukturprojekte gefördert werden. Eine umfassende Steuerreform, die insbesondere den Immobiliensektor stärker belastet, und eine gewisse Digitalisierung der Verwaltung könnten Korruption eindämmen. Ergänzend wäre die Schaffung eines universellen sozialen Sicherheitsnetzes unerlässlich.
Nur durch die rasche Umsetzung solcher Maßnahmen kann der Libanon die Basis für eine wirtschaftliche Erholung schaffen. Der Weg ist lang und schwierig, doch es ist eine letzte Chance, das Land und seine Bevölkerung aus der tiefen Krise zu befreien – und eine Zukunft mit Hoffnung zu gestalten.