Der Fall der 16-jährigen Loretta B. sorgte Anfang 2024 für einen landesweiten Skandal, als sie während des Schulunterrichts von drei Polizisten abgeholt wurde. Grund für den Einsatz war der Verdacht, die Jugendliche habe über TikTok rechtsextreme Inhalte verbreitet. Doch die Polizei griff auf eine Maßnahme zurück, die in der Folge rechtlich hinterfragt wurde: Sie holte Loretta aus ihrem Unterricht heraus, was zu einer erheblichen öffentlichen Stigmatisierung führte.
Die Familie des Mädchens warf der Polizei vor, unverhältnismäßig und rechtswidrig gehandelt zu haben. Sie erhob daraufhin eine Feststellungsklage gegen das Land Mecklenburg-Vorpommern und das zuständige Innenministerium. In einer nun gefällten Entscheidung gab das Verwaltungsgericht Greifswald der Familie recht und erklärte das Vorgehen der Polizei für rechtswidrig.
In seiner Begründung stellte das Gericht klar, dass die Maßnahme nicht nur unangemessen gewesen sei, sondern auch unnötige negative Auswirkungen auf Loretta (gehabt) habe. Die Polizei hätte das Gespräch mit der Schülerin auch an einem anderen Ort – etwa zu Hause oder auf der Polizeiwache – führen können, ohne sie vor den Augen ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler aus dem Unterricht zu holen.
«Es war nicht notwendig, sie öffentlich in dieser Weise zu isolieren, was in der Folge zu einer Stigmatisierung geführt hat», erklärte das Gericht. Die Art und Weise des Vorgehens wurde als unverhältnismäßig und nicht im Einklang mit den Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Umgangs mit Bürgern angesehen. Das meldete zum Beispiel die Bild.
Die Entscheidung des Gerichts hat nicht nur für Lorettas Familie eine wichtige Bedeutung, sondern auch für die öffentliche Diskussion über den Umgang der Polizei mit Jugendlichen und die Wahrung der Persönlichkeitsrechte im digitalen Zeitalter. Insbesondere stellt sich die Frage, wie weit die Exekutive in Fällen von Verdachtsmomenten gegen junge Menschen gehen darf, ohne die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu wahren.
Lorettas Mutter, Annett B., zeigte sich erleichtert über das Urteil, betonte jedoch gleichzeitig, dass ihre Tochter noch immer mit den Folgen der polizeilichen Maßnahme zu kämpfen habe.
«Meine Tochter soll rehabilitiert werden. Es ist wichtig, dass sie Gerechtigkeit erfährt, denn sie hat nichts Strafbares getan», erklärte die Mutter.
Sie kritisierte außerdem, dass sowohl das Innenministerium als auch das Bildungsministerium das Verhalten der Polizei sowie des Schulleiters stets verteidigt hätten, obwohl die Maßnahme eindeutig unangemessen gewesen sei.
Der zentrale Vorwurf gegen den Schulleiter lautet, dass er – ohne nähere Prüfung und ohne Einbindung der Eltern – über eine anonyme E‑Mail sofort die Polizei rief. Damit soll er die Schülerin öffentlich diffamiert und bloßgestellt haben, obwohl die Inhalte aus den TikTok-Posts nicht strafrechtlich relevant waren. Statt einer simplen Meldung per Meldebogen, wie es die Landesvorgaben vorsahen, habe er eine unverhältnismäßige Eskalation herbeigeführt. Der Schulleiter verteidigte sich mit der Aussage, er habe nur Vorschriften befolgt, eine Entschuldigung, die wir aus verschiedenen, dunklen Zeiten kennen. Aber sie ist offensichtlich hier nicht stichhaltig - oder nicht ganz.
Der Innenminister brüstete sich und verteidigte sich mit der empörenden Begründung, dass man Loretta immerhin nicht in Handschellen gelegt habe, als ob das bei einem 16-jährigen Mädchen nicht selbstverständlich wäre. Aber offensichtlich ist es das im übergriffigen Deutschland nicht mehr.
In der Feststellungsklage der Mutter gegen den Schulleiter und die Polizei wird ausdrücklich eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht – eben weil er ohne hinreichende Grundlage und ohne mögliche mildere Maßnahmen (z. B. interne Meldung, Gespräch mit Eltern) die Gefährderansprache in der Schule veranlasste.
Der Anwalt der Familie, Ralf Stark, hatte während der Verhandlung das Vorgehen der Polizei als «eindeutig unverhältnismäßig» bezeichnet. Er betonte, dass die Polizei mit ihrem Vorgehen nicht nur die Rechte von Loretta verletzt, sondern auch die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der Persönlichkeitsrechte auf schwerwiegende Weise missachtet habe. Der Anwalt des Landes Mecklenburg-Vorpommern hingegen verweigerte eine Stellungnahme, was zu weiteren Spannungen in dem Rechtsstreit führte.
Das Urteil wirft nicht nur juristische, sondern auch gesellschaftliche und politische Fragen auf. In Zeiten, in denen Social Media und die Verbreitung von Online-Inhalten eine immer größere Rolle spielen, müssen die Grenzen des staatlichen Eingreifens in das Leben von Jugendlichen neu definiert werden. Der Fall Loretta zeigt, wie schnell eine polizeiliche Maßnahme in der Öffentlichkeit Menschen mit einem Stigma belegen kann, wenn sie nicht sorgfältig abgewogen wird.
Zudem stellt sich die Frage, inwieweit die Polizei und andere staatliche Institutionen auch in Fällen, in denen digitale Inhalte im Raum stehen, mit der notwendigen Sensibilität und Zurückhaltung agieren müssen. Der Fall hat nicht nur die Rechte der betroffenen Jugendlichen in den Fokus gerückt, sondern auch die öffentliche Diskussion darüber angestoßen, wie der Umgang mit jungen Menschen im digitalen Raum künftig gestaltet werden soll.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald im Fall von Loretta B. setzt ein klares Signal gegen unverhältnismäßige Polizeimaßnahmen und betont die Wichtigkeit des Schutzes von Persönlichkeitsrechten, insbesondere von Jugendlichen.
Die Familie der Schülerin hat mit ihrem langwierigen Rechtsstreit nicht nur für eine Rehabilitation ihrer Tochter gekämpft, sondern auch für eine breitere Auseinandersetzung mit den rechtlichen Grenzen polizeilicher Eingriffe im digitalen Zeitalter. Das Urteil könnte in Zukunft wegweisend sein für ähnliche Fälle und eine neue Diskussion über den Umgang mit sozialen Netzwerken und den Schutz der Rechte von Jugendlichen anstoßen.