Wie kommen wir aus der gegenwärtigen Lage wieder raus? Und sind die Massnahmengegner, die seit Monaten diffamiert werden, wirklich so unverantwortlich wie uns Politik und Medien glauben machen wollen? Zu diesen und weiteren Fragen äusserten sich Michael Esfeld und Konstantin Beck kürzlich im Zuge einer Online-Medienkonferenz, an der Corona-Transition auch dabei war.
Esfeld ist Professor für Wissenschaftsphilosophie an der Universität Lausanne und Mitglied der deutschen nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Beck ist Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Luzern.
Organisiert wurde die Online-Konferenz durch das «Forum für eine offene Gesellschaft», das Philippe Schultheiss ins Leben gerufen hat. Schultheiss ist zudem Initiant und Betreiber der Seite impffreiheit.ch. Er fordert einen offenen Diskurs und spricht sich gegen die Zertifikatspflicht aus. «Ich stelle fest, wie einseitig die Diskussionen rund um das Thema Corona-Massnahmen ablaufen», sagte Schultheiss zu Beginn der Konferenz. Dies habe ihn dazu motiviert, die Seite ins Leben zu rufen.
Wichtige Einblicke über die Demografie der Massnahmenkritiker gab Gesundheitsökonom Beck. Im Zentrum seines Referats stand die Frage: Wer sind die Massnahmen-Skeptiker? «Wir leben in einer Zeit, in der hart auf die Massnahmen-Skeptiker eingedroschen wird», erklärte Beck, der sich fragte, ob diese kritischen Bürger auch statistisch identifizierbar seien und wie dieser Teil der Bevölkerung sich auf das Gesundheitswesen auswirke.
Dabei kam Beck zu interessanten Erkenntnissen: Die Krankenversicherungskosten pro Kopf waren 2020 in denjenigen Kantonen mitunter am tiefsten, die gegen das Covid-19-Gesetz gestimmt haben. Darunter Appenzell Innerrhoden, Uri, Zug, Obwalden, Aargau, Graubünden; Kantone, die allesamt Versicherungskosten von weniger als 3000 Fr. pro Person aufweisen.
Am tiefsten seien die Kosten im Kanton Appenzell Innerrhoden mit 2300 Fr. pro Kopf. Die höchsten Kosten weist der Kanton Basel-Stadt mit Krankenversicherungskosten von 4500 Fr. pro Kopf auf. Gefolgt von Genf, Tessin, Neuenburg, Basel-Land, Jura und Waadt, die allesamt Kosten zwischen rund 4000 bis 4500 Fr. haben, sagte Beck.
25 Milliarden Franken Gesundheitskosten wären möglich
An diesen Kostenunterschieden ändere sich auch nur wenig, wenn man diese über einen Zeitraum von 20 Jahren vergleiche. «Die Gruppe der sieben teuersten Kantone ändert sich nicht», betonte der Gesundheitsökonom. Und auch bei den kostengünstigen Kantonen habe es kaum Änderungen gegeben. Die Differenzen seien erstaunlich konstant geblieben. Besonders interessant: Diese Unterschiede seien aber nicht auf unterschiedliche Gesundheitszustände zurückzuführen.
Dazu Beck: «Hätten alle Schweizer die Mentalität der Appenzeller, dann würde die Krankenversicherung heute knapp 25 statt 32 Milliarden Fr. kosten.» Umgekehrt erklärte Beck: «Hätten alle die Einstellung der Genfer, die rasch Medikamente konsumieren oder den Arzt aufsuchen, dann würde die Krankenversicherung heute 40 statt 32 Milliarden Fr. kosten.» Zu diesem Schluss gelangte der Gesundheitsökonom anhand der Daten zum Risikoausgleich.
Besonders brisant sind diese Ergebnisse vor dem Hintergrund des Abstimmungsergebnisses zum Covid-19-Gesetz, über das wir in der Schweiz am 13. Juni abgestimmt haben.
«Fünf der sieben sparsamen Kantone haben das Covid-19-Gesetz am 13. Juni abgelehnt. Und die zwei weiteren haben nur sehr schwach zugestimmt», erklärte Beck.
Vergleiche man die Gesundheitskosten pro Kanton mit der Zustimmungsrate zum Covid-19-Referendum, ergebe dies eine Korrelation von 90 Prozent. Das heisst: Je höher die Gesundheitskosten pro Kopf in einem Kanton sind, desto eher stimmt die Bevölkerung dort für das Gesetz, und umgekehrt.
Zentralistische Impfpolitik reisse bereits bestehende Gräben weiter auf
Doch damit noch nicht genug: Gemäss den Recherchen von Beck weisen die massnahmenkritischen Kantone zudem im Durchschnitt 24 Prozent weniger Todesfälle auf als der Schweizer Durchschnitt. Die befürwortenden Kantone wiederum verzeichneten 13 Prozent mehr Todesfälle. Zu diesem Ergebnis gelangte Beck, indem er die Todesfälle seit Beginn der «Pandemie» bis zum Herbst 2021 analysierte.
Ein Ergebnis, das ihn selbst überraschte: «Eigentlich müsste die Korrelation umgekehrt sein: Sodass die Todesfälle in denjenigen Kantonen höher sind, welche die Massnahmen nicht so ernst nehmen.» Ähnliches zeige sich auch bei der Impfquote, diese korreliere ebenfalls mit der Stimmabgabe zum Covid-19-Gesetz und ist in denjenigen Kantonen deutlich tiefer, die das Covid-19-Gesetz abgelehnt hatten.
In Gefahr sieht Beck in der jetzigen Zeit auch die föderalistische Gesundheitspolitik, welche die kantonalen Prämienunterschiede berücksichtige – Unterschiede, die teils auch kulturell bedingt seien. «Eine unverhältnismässige, zentralistische Impf- und Zertifikatspolitik reisst unnötigerweise seit Jahren bekannte Gräben auf.» Dabei seien es die Massnahmenkritiker, welche das Gesundheitswesen eher schonen, während es die Massnahmenbefürworter auch sonst eher überbeanspruchen würden.
«Die Wissenschaft kann keine Handlungsanweisungen geben»
Klare Worte im Zuge der Medienkonferenz fand auch Michael Esfeld. Dem Wissenschaftsphilosoph erteilte die Friedens- und Konfliktforscherin Cordula Reimann, welche die Konferenz moderierte, zu Beginn das Wort. Esfeld bereitet insbesondere die Wissenschaft gegenwärtig grosse Sorgen. Man müsse leider feststellen, dass sich diese im Zuge der Pandemie selbst in eine Rolle hineinmanövriert habe, die ihr nicht zukomme und schädlich sei für die offene Gesellschaft.
«Die Wissenschaft kann keine Handlungsanweisungen geben», erklärte Esfeld. Doch genau dies habe sie in den vergangenen rund 18 Monaten getan. Dies, indem sie Handlungsanweisungen «zur Steuerung der Gesellschaft» gegeben habe.
Esfeld machte darauf aufmerksam, dass es zwar gewisse Allgemeingüter wie zum Beispiel Gesundheitsschutz gebe: Doch deshalb dürften noch lange nicht allgemeine Handlungsanweisungen seitens der Wissenschaft folgen. «Weil Menschen Gesundheit individuell verschieden ins Verhältnis zu ihrem Lebensinhalt setzen», erklärte Esfeld.
«Man könnte viele Aktivitäten aufzählen, bei denen man sich nicht nur selbst gefährde, sondern auch andere Menschen gefährdet werden.» Er verwies unter anderem auf Bergwanderer, Motorradfahrer aber auch auf Menschen, die rauchen oder Alkohol trinken. Doch dies gelte es zu akzeptieren. «Man kann nicht mit einer allgemeinen Gesundheitsdiktatur kommen und Leuten etwas verbieten. Damit schadet man ihnen», so Esfeld.
Zurück zur offenen Gesellschaft
Gerade mit dem Verbot sozialer Kontakte, die viele Regierungen im Zuge der «Pandemie» verfügt haben, schade man den Menschen mehr, meint Esfeld. «Denn diese sind gerade auch bei älteren Menschen eine Quelle für Kraft und Gesundheit.» Scharf kritisierte der Wissenschaftsphilosoph auch die Corona-Politik der Regierungen. «Alle Prämissen dieser Gesellschaftssteuerung haben sich während der Pandemiebekämpfung inzwischen als falsch erwiesen.»
Durch das Virus werde keine Krankheit verbreitet, welche für die gesamte Gesellschaft gefährlich sei. «Wir wissen, dass die gefährdeten Personen vorwiegend ältere Menschen mit Vorerkrankungen sind.» Jedoch ginge für den Rest der Bevölkerung kein grösseres Risiko durch Corona aus. «Das Risiko entspricht dem Altersrisiko», sagte Esfeld, der überzeugt ist, dass Massnahmen wie Lockdowns oder die Zertifikatspflicht nichts bringen.
«Wir haben keinen Nachweis dafür, dass sie einen effektiven Nutzen hatten.» Es gebe schliesslich auch keine Korrelation zwischen der Schärfe der Massnahmen, die in einzelnen Ländern ergriffen wurden, und dem Rückgang der Infektions-, Todes- und Hospitalisationszahlen.
Ähnlich sei es nun auch mit der Impfkampagne. «Es zeigt sich immer mehr, dass die Impfung nicht der alleinige Ausweg aus der Pandemie ist.» Vor diesem Hintergrund kam Esfeld zum Schluss: «Man sollte sich jetzt endlich auf die Fakten besinnen und aufhören Propaganda und Lügen zu verbreiten, wie zum Beispiel die Aussage, dass es sich um eine Pandemie der Ungeimpften handle.» Wichtig sei jetzt: «Die Grundrechte wieder zu respektieren und zur offenen Gesellschaft und einer faktenbasierten Wissenschaft zurückzukehren.»
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Konstantin Beck ist gemeinsam mit Werner Widmer auch Autor des Buches «Corona in der Schweiz» (Corona-Transition machte bereits darauf aufmerksam).
Konstantin Beck & Werner Widmer: Corona in der Schweiz. Plädoyer für eine evidenzbasierte Pandemie-Politik. Gammaprint, Luzern, 2. aktualisierte Auflage Mai 2021. ISBN 978-3-033-08275-5, 241 Seiten. PDF-Download des Buches hier.
Michael Esfeld ist mit Christoph Lütge Autor des Buches «Und die Freiheit? Wie die Corona-Politik und der Missbrauch der Wissenschaft unsere offene Gesellschaft bedrohen» (wir berichteten).
Christoph Lütge, Michael Esfeld: Und die Freiheit? Wie die Corona-Politik und der Missbrauch der Wissenschaft unsere offene Gesellschaft bedrohen. Riva, München 2021. ISBN 978-3-7423-1909-8, 128 Seiten. 10,00 €. Weitere Infos und Bestellung beim Verlag.
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