In Ländern wie der Schweiz, Österreich und Deutschland ist Migration seit einiger Zeit ein Top-Thema in Umfragen zur «größten Sorge der Bevölkerung». Die Partei AfD dürfte davon profitiert haben. Es ist auch eine «zunehmende Anti-Einwanderungsrhetorik» zu vernehmen, wie es etwa das Medium The Conversation ausdrückt.
Dies hängt sicher vor allem damit zusammen, dass es laut Kriminalstatistik bei bestimmten Deliktarten wie Gewaltdelikten eine überproportionale Beteiligung von Nichtdeutschen gibt. So wurden 2024 insgesamt leicht mehr als 29.000 Messerangriffe gezählt und damit etwa 1500 mehr als im Jahr 2023, für das 15.741 Messerangriffe notiert sind.
Besondere mediale Aufmerksamkeit bekam etwa das Blutbad am Abend des 23. August 2024 eines 26-jährigen Syrers bei dem «Festival der Vielfalt» zur 650-Jahr-Feier der Stadt Solingen, bei dem der Angreifer bewusst mit einem Messer die Kehlen von Menschen anvisierte und dabei drei Personen tötete und acht verletzte, davon mehrere lebensbedrohlich. Sogar einem nichtdeutschen Medium wie The Guardian war dies einen Beitrag wert.
Nur Grenzen dichtmachen zu wollen, greift zu kurz
Derlei Vorfälle machen den Menschen nachvollziehbar Angst – und trugen dazu bei, dass sich Fußballweltmeister Toni Kroos Mitte 2024 zu folgenden Worten veranlasst sah:
«Deutschland ist nach wie vor ein tolles Land, aber es nicht mehr das Land wie es vor zehn Jahren war, als wir gegangen sind. Wenn mich jemand fragen würde, ob ich meine Tochter mit 14 nach 23 Uhr in Spanien rauslassen würde oder in einer deutschen Großstadt, wäre ich prinzipiell bei Spanien.»
Im Zuge dessen kommt es dann zu Schlagzeilen wie «Merz macht die Grenzen dicht. Schafft Deutschland die Migrationswende?». Übersehen wird oder unberücksichtigt bleibt dabei allerdings gerne, dass soziale Benachteiligung und soziale Segregation, also die Konzentration benachteiligter Bevölkerungsgruppen, einen starken Kriminalitätsfaktor darstellen – unabhängig von der Nationalität. Diese Erkenntnis macht keinen Messerangriff ungeschehen oder besser – sollte aber den Blick auf die Ursachenbekämpfung deutlich erweitern.
Das heißt, nur Grenzen dichtmachen, greift zu kurz, nicht zuletzt die Ausbeutung der sogenannten dritten Welt durch die finanziell reichen Industriestaaten müsste auch ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch der Beitrag «Die Wirtschaft der USA und Europas ist in hohem Maße von Einwanderern abhängig – Daten aus Jahrzehnten zeigen, wie sehr», veröffentlicht auf theconversation.com. Darin heißt es:
«Angesichts der zunehmenden Anti-Einwanderungsrhetorik in Europa und den USA ist es wichtig, dass wir über die Panikmache hinausblicken und analysieren, was wirklich vor sich geht. Während die Mobilität der Menschen oft als Belastung dargestellt wird, ist das Gegenteil der Fall. Sie ist ein wesentlicher Motor für Wirtschaftswachstum, demografische Widerstandsfähigkeit und kulturellen Zusammenhalt.
Diese Tatsache zu ignorieren, stellt nicht nur eine Fehleinschätzung dar – es widerspricht sowohl empirischen Beweisen als auch den demokratischen Prinzipien, die moderne Gesellschaften angeblich verteidigen.»
Migranten erledigen zum Großteil die «Drecksarbeit»
Migration sei derweil auch im 21. Jahrhundert keine «Ausnahmeerscheinung». Von den mediterranen Diasporas der Antike bis zu den Massenmigrationen des 20. Jahrhunderts sei die Menschheitsgeschichte von Bewegung geprägt gewesen. Stadtstaaten, Kolonialreiche und moderne Nationalstaaten seien durch die Bewegung von Menschen, Sprachen, Wissen und Gütern entstanden und auch wieder aufgebaut worden. «Menschliche Mobilität als Bedrohung darzustellen, ignoriert dieses historische Muster und versucht, die Ausnahme – Isolation – zur Regel zu machen», so The Conversation. Und weiter:
«Jeder politische Diskurs, der Migranten als Eindringlinge und nicht als potenzielle Bürger oder Wirtschaftsakteure darstellt, ist eine gefährliche Verzerrung, nicht nur in moralischer, sondern auch in strategischer Hinsicht.»
Das Medium macht auch auf eine Analyse des McKinsey Global Institute aus dem Jahr 2016 aufmerksam, in der folgende Schlussfolgerung gezogen wurde:
«Obwohl Migranten 2015 nur 3,3 Prozent der Weltbevölkerung ausmachten, erwirtschafteten sie in diesem Jahr 9,4 Prozent des globalen BIP – rund 6,7 Billionen US-Dollar. Allein in den Vereinigten Staaten belief sich ihr Beitrag auf rund zwei Billionen US-Dollar.»
Neuere Studien würden dies bestätigen, schreibt The Conversation. So habe der Internationale Währungsfonds (IWF) 2024 geschätzt, dass die Nettomigrationsströme in die Eurozone zwischen 2020 und 2023 – darunter Millionen ukrainischer Flüchtlinge – das potenzielle BIP der Region bis 2030 um weitere 0,5 Prozent steigern könnten. Dies sei kein geringer Betrag, da er etwa der Hälfte des gesamten erwarteten potenziellen Wachstums entspreche. Ohne Migration wäre Europas wirtschaftlicher Horizont deutlich eingeschränkter.
Vergessen werden sollte hier auch nicht, dass in Deutschland und auch in anderen westeuropäischen Ländern und auch den USA ein großer Teil sogenannter «einfacher» oder körperlich anstrengender Arbeiten – also gewissermaßen die «Drecksarbeit», die von Einheimischen gerne abgelehnt wird – wie Putzjobs, Erntearbeit (Spargelstechen), Gebäudereinigung, Paketlogistik oder Altenpflege häufig von Migrantinnen und Migranten beziehungsweise Menschen mit Migrationshintergrund erledigt wird (siehe dazu etwa hier und hier).
Wenn ein erheblicher Teil dieser Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund Industrieländer wie Deutschland verlassen müssten, so hätte das spürbare bis gravierende wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen, insbesondere in bestimmten Branchen und auf dem Arbeitsmarkt insgesamt. Beispiel: Ohne Erntehelfer aus Osteuropa musste Deutschland während der «Covid-Zeit» im Jahr 2020 Spargel auf den Feldern verrotten lassen – und es entstand ein realer wirtschaftlicher Schaden.
Ein Bericht vom DIW von Anfang 2025 etwa prognostizierte, dass Deutschlands Wirtschaftswachstum binnen weniger Jahre auf null Prozent sinken könnte, wenn migrantische Erwerbsarbeit nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung steht. Der Grund: der demografisch bedingte Wegfall von rund 4,7 Millionen Arbeitskräften zwischen 2024 und 2028. Ohne ausreichende Zuwanderung und ohne Integrationsmaßnahmen droht ein dramatischer Personalengpass in vielen Bereichen (siehe dazu den Artikel «Deutschland muss neue Migranten aufnehmen, um eine wirtschaftliche Stagnation zu vermeiden, warnt das DIW» auf iamexpat.de).