In jeder dauerhaften Friedensordnung seit der frühen Neuzeit hatte die Schweiz ihren Platz. Und immer war dies in Form der Neutralität. Nur als die Schweiz nach dem Franzoseneinfall (1798) gezwungen wurde, beim Hegemonieversuch Napoleons mitzumachen, wurden Schweizer Truppen unfreiwillig in die Grande Armée eingezogen. Nur ein kleiner Teil kehrte zurück.
Geschichten über das Schicksal der Schweizer Truppen sind ins kollektive Gedächtnis der Schweiz eingedrungen. Werke von literarischem Wert wie der Mundartroman «Niklaus und Anna» von Werner Marti (neueren Datums) und der ebenso berndeutsche Roman «Der Houpme Lombach» von Rudolf von Tavel (älteren Datums) künden vom Schicksal und Leiden der Schweizer Truppen in Russland (beide Bücher in berndeutscher Mundart).
Das Mitmachen bei einem Hegemonieversuch würde auch heute nicht funktionieren und vielleicht wieder in der Katastrophe enden. Auch in der heutigen weltpolitischen Situation ist also eine glaubwürdige Neutralität für die Schweiz entschieden richtig. Umso erstaunlicher ist es aber, dass der Bundesrat, die Schweizer Landesregierung, immer stärker an den Grundlagen der Neutralität rüttelt.
Die juristischen Grundlagen der Neutralität sind nicht nur im Völkerrecht festgeschrieben. Es gibt auch zwei wenig bekannte gesetzliche Bestimmungen. Die eine besagt, dass Auslandseinsätze für jeden Schweizer Soldat freiwillig sind. Wenn zum Beispiel, wie jüngst geschehen, auf einem österreichischen Truppenübungsplatz Panzerübungen stattfinden, dann muss jeder einzelne Soldat diesem Einsatz zustimmen. Die zweite Bestimmung besteht darin, dass Auslandsmissionen nur dann zulässig sind, wenn sie unter dem Dach der UNO oder der OSZE stehen.
Im Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) – dem Schweizer Verteidigungsministerium - bahnt sich nun ein Kurswechsel mit weitreichenden Folgen an. Der neue Verteidigungsminister, Oberst Martin Pfister (Mitte-Partei, Zug), strebt eine Ausweitung des Militärgesetzes an, die es dem Bundesrat ermöglichen würde, Auslandseinsätze der Schweizer Armee künftig auch unter EU-Mandat zu genehmigen.
Laut Informationen der Weltwoche soll Artikel 66 des Militärgesetzes entsprechend angepasst werden. Ziel seien vor allem Ausbildungs- und Beobachtungseinsätze in Krisengebieten. Kritiker wie der profilierte Walliser Journalist und Weltwoche-Redakteur David Biner warnen jedoch: Die rechtliche Öffnung für EU-geführte Missionen würde einen Bruch mit der langgepflegten Neutralitätspolitik der Schweiz bedeuten.
Die Europäische Union ist in mehreren weltweiten Konflikten militärisch engagiert, etwa in der Zentralafrikanischen Republik, in Moçambique und in der Ukraine. Besonders im Fall der Ukraine positioniert sich Brüssel klar als Unterstützer der ukrainischen Streitkräfte gegen Russland. Ein Engagement der Schweiz unter EU-Mandat würde sie in solche geopolitisch aufgeladenen Operationen hineinziehen, befürchten sicherheitspolitische Beobachter.
Pfisters pro-europäische Linie zeigt sich auch in anderen Bereichen: Im Juni verabschiedete das VBS eine neue Rüstungsstrategie, die gezielt europäische Anbieter bevorzugt. Damit entfernt sich die Schweiz zunehmend von der engen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit den USA. Im Hintergrund dieser Neuausrichtung steht laut Bericht die einflussreiche VBS-Funktionärin Pälvi Pulli, die bereits unter Pfisters Vorgängerin Viola Amherd eine Schlüsselrolle spielte.
Brisant: Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB), ebenfalls Teil des VBS, warnt in seinem aktuellen Lagebericht vor einer überhasteten Abkehr von der sicherheitspolitischen Abhängigkeit der Schweiz von den USA. Ein strategisches Gleichgewicht sei weiterhin notwendig, um handlungsfähig zu bleiben.
Die politische Debatte dürfte sich in den kommenden Wochen weiter zuspitzen. Noch bis Anfang September läuft die Konsultation zur Gesetzesänderung. Sollte der Vorschlag umgesetzt werden, könnte dies einen historischen Wendepunkt in der Schweizer Sicherheitspolitik markieren.