Von den hiesigen Leitmedien nicht besonders beachtet, wurde am 8. August 2025 in Washington ein Abkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan unterzeichnet. Vermittelt von US-Präsident Donald Trump, markiert dieses Friedensabkommen das vorläufige Ende eines Jahrzehnte andauernden Konflikts zwischen zwei verfeindeten Staaten – doch es geht um weit mehr als regionale Aussöhnung. Das sogenannte Washingtoner Abkommen ist in Wahrheit ein geopolitischer Schachzug, mit dem sich die Vereinigten Staaten eine zentrale strategische Position im Südkaukasus sichern – auf Kosten von Russland, China und dem Iran.
Im Zentrum des Abkommens steht der sogenannte Sangesur-Korridor, eine Transitroute durch den äußersten Süden Armeniens, die Aserbaidschans Festland mit seiner Exklave Nachitschewan verbinden soll. Besonders brisant: Die Verwaltung dieses Korridors wurde offiziell den USA übertragen – für 99 Jahre, mit Option auf Verlängerung. Damit kontrollieren die Vereinigten Staaten künftig eine der wenigen Landverbindungen zwischen Asien und Europa, die Russland und den Iran umgehen.
Der symbolisch als «Trump Route for International Peace and Prosperity» (TRIPP) bezeichnete Korridor hat jedoch nicht nur wirtschaftliche Bedeutung. Er bringt geopolitische Dynamik in eine Region, die bisher vor allem vom Einfluss Moskaus und Teherans geprägt war. Auch Peking muss nun um seine strategisch wichtigen Landrouten im Rahmen der «Neuen Seidenstraße» fürchten.
Offiziell feiern sich Armenien und Aserbaidschan als Partner einer neuen Ära des Friedens. Die Vereinbarung sieht vor, dass beide Staaten ihre Grenzen gegenseitig anerkennen, ihre diplomatischen Beziehungen normalisieren und wirtschaftlich kooperieren – ein Novum nach Jahrzehnten des Misstrauens, bewaffneter Konflikte und mehrfacher Kriege um die Region Bergkarabach.
Doch die eigentliche politische Wende vollzieht sich im Hintergrund: Armenien unter Premierminister Nikol Paschinjan distanziert sich zunehmend von Russland und der von Moskau dominierten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS). Stattdessen orientiert sich das Land Richtung Westen, strebt eine engere Anbindung an die EU an und lässt auch eine NATO-Mitgliedschaft nicht mehr ausgeschlossen erscheinen.
Die Rolle der USA als Vermittler ist dabei kein Zufall. Washington investiert schon seit Jahren massiv in Armenien, etwa durch den Aufbau der zweitgrößten US-Botschaft weltweit – größer ist nur jene in Bagdad. Hinzu kommen zahlreiche US-Stiftungen und NGOs, die gezielt Einfluss auf die Zivilgesellschaft und Medienlandschaft nehmen. Armeniens Kehrtwende gen Westen ist also das Ergebnis langjähriger politischer Vorarbeit – und das Washingtoner Abkommen ihr bisher sichtbarster Erfolg.
Die geopolitischen Verlierer dieses Deals sitzen nicht am Verhandlungstisch. Russland, das bisher als dominierende Ordnungsmacht im Südkaukasus galt, verliert mit dem Abkommen nicht nur strategischen Einfluss, sondern wird durch die Einrichtung des US-kontrollierten Korridors regelrecht umgangen. Die trilateralen Abkommen, die Moskau noch 2020 mit Armenien und Aserbaidschan zur Befriedung Bergkarabachs geschlossen hatte, wirken plötzlich obsolet.
Auch der Iran, der sich durch den Sangesur-Korridor faktisch vom Norden abgekoppelt sieht, reagierte scharf. Teheran warnt, dass der neue Transitweg seine nationale Sicherheit gefährde, da er eine direkte Verbindung zwischen Aserbaidschan und der Türkei ermögliche – zwei Ländern, mit denen der Iran geopolitisch rivalisiert. Hinzu kommt, dass im Nordiran eine große aserische Minderheit lebt. Teheran befürchtet, dass Baku über die neue Machtposition separatistische Bewegungen fördern könnte.
China wiederum verliert mit dem Korridor an Kontrolle über potenzielle Handelsrouten, die Teil seiner Belt and Road Initiative sind. Durch die US-Kontrolle über die neue Transitlinie gerät Peking zusätzlich unter Druck, alternative Routen zu entwickeln – was logistisch und geopolitisch kostspielig ist.
Für Aserbaidschan ist das Abkommen ein doppelter Triumph. Das Land sichert sich nicht nur die Kontrolle über Bergkarabach und den Zugang zu seiner Exklave Nachitschewan, sondern etabliert sich auch als verlässlicher Partner des Westens.
Ein weiteres Motiv: Energiepolitik. Aserbaidschan ist reich an Gas und Öl – und bietet sich zunehmend als Alternative zu russischen Energielieferungen für Europa an. Über die Türkei strömen bereits beträchtliche Mengen aserbaidschanisches Gas nach Europa. Durch den neuen Korridor und die strategische Nähe zu Washington könnte Baku diese Rolle weiter ausbauen – auf Kosten russischer Marktanteile.
Die Folgen des Abkommens zeigen sich bereits. Zwischen Russland und Aserbaidschan ist ein diplomatischer Riss entstanden, der sich zuletzt dramatisch zuspitzte: Nachdem Russland bei Odessa eine Gasanlage angriff, über die aserbaidschanisches Gas in die Ukraine gepumpt wird, drohte Baku offen mit Waffenlieferungen an Kiew. Ein beispielloser Schritt, bedenkt man die bis vor Kurzem noch offiziell guten Beziehungen zwischen Moskau und Baku.
Militärexperten weisen darauf hin, dass Aserbaidschan wohl bereits heimlich die Ukraine mit Munition und Ausrüstung beliefert – nun könnte daraus eine offene Partnerschaft werden. Für Russland bedeutet das eine weitere Front im geopolitischen Ringen, die kaum mit klassischen Mitteln geschlossen werden kann.
Donald Trump inszenierte sich beim Gipfeltreffen in Washington als Friedensstifter. Armenien und Aserbaidschan kündigten sogar an, ihn für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen. Für Trump, der sich in der internationalen Politik stets als pragmatischer Macher positionierte, ist das Abkommen ein Prestigeprojekt – und ein strategischer Coup, der den amerikanischen Einfluss in Eurasien dauerhaft zementieren könnte.
Das Washingtoner Abkommen ist mehr als ein bilateraler Vertrag zwischen zwei verfeindeten Staaten. Es ist ein strategisches Instrument zur Umverteilung von Macht im Südkaukasus. Während Armenien und Aserbaidschan den Weg zu Aussöhnung und Zusammenarbeit beschreiten, sichern sich die USA eine neue geopolitische Brücke zwischen Europa und Asien – mit massiven Folgen für Russland, China und den Iran.
Welchen Preis Armenien für diesen Frieden zahlt, ist immer noch offen. Nicht nur, dass noch nicht alle Details zum Sangesur-Korridor klar sind und der Friedensvertrag noch gar nicht zur Gänze publiziert wurde, mit der Öffnung dieses Korridors spielt Armenien seinen stärksten und vermutlich einzigen Trumpf im geopolitischen Poker um den Kaukasus.
Armenien liegt wie ein christlicher Sperrriegel zwischen der Türkei und dem ethnisch eng verwandten Aserbaidschan. Kontrolliert die Türkei als Schutzmacht von Aserbaidschan zusammen mit den USA den Sangesur-Korridor, dann bricht dieser Sperrriegel und der Weg zwischen der Türkei und Aserbaidschan bis an die Grenze zu China ist offen.
Der Weg des offiziell immer noch mit Russland verbündeten Armenien nach Westen begann mit dem Amtsantritt des jetzigen Ministerpräsidenten. Aber es hat auch damit zu tun, dass Russland seinen kleinen Verbündeten im Krieg um Bergkarabach im Jahr 2020 schmählich im Stich ließ. In wohl gewollt ambivalenter Art vermittelte Moskau einen brüchigen Frieden, der zugunsten des angreifenden Aserbaidschan ausfiel und zu dessen Durchsetzung die russischen Friedenstruppen nicht viel unternahmen.
So wurde denn Armenien – wieder einmal! – von allen Seiten im Stich gelassen. Traumatisiert vom Genozid im Ersten Weltkrieg, von den Vertreibungen aus Nachitschewan und dem aserischen Kerngebiet nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und erst recht nach der Vertreibung der Armenier aus ihrer angestammten Scholle in Bergkarabach blieb Armenien wohl nichts anderes mehr übrig, als diesen letzten Trumpf zu spielen. Das Land weiß: Bei einem erneuten Angriff der Aseris, zum Beispiel um im Süden gewaltsam eine Landverbindung nach Nachitschewan zu schaffen, würden sowohl Russland, aber auch der Westen wiederum durch Nichtstun glänzen.
Wie stabil dieser neue Frieden tatsächlich ist, bleibt fraglich. Die Spannungen rund um den Korridor, der erbitterte Widerstand des Iran und die neue Dynamik zwischen Russland und Aserbaidschan bergen erhebliches Eskalationspotenzial. Was als diplomatischer Durchbruch gefeiert wird, könnte sich als brandgefährlicher Hebel im globalen Machtkampf erweisen.
Dies ist die Fortsetzung einer längeren Artikelserie über dieses gerne vernachlässigte Thema. Die bisherigen Folgen sind hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hierund hier zu finden.
Hier haben wir einem Gastbeitrag veröffentlicht, der mit einem etwas anderen Fokus das gleiche Thema behandelt.