«Der Faschismus an der Macht, Genossen, ist … die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.»
Das hat der bulgarische Kommunist Georgi Dimitroff auf dem VII. Weltkongress der Komintern vor 89 Jahren (25. Juli bis 20. August 1935) erklärt.
An diese sogenannte Dimitroff-Formel erinnerte Mitte September in Berlin der Texter, Liedermacher und ehemalige Bundestagsabgeordnete Diether Dehm. Er machte das im Rahmen einer Veranstaltung der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP), bei der er mit Manfred Sohn von der DKP-nahen Marx-Engels-Stiftung über die politische Funktion des Faschismus-Begriffs diskutierte.
Der ist weiter unter anderem als Kampfbegriff im Einsatz: Zum einen charakterisieren Kritiker der Corona-Politik diese als mindestens «proto-faschistisch» und sehen einen neuen Faschismus im Aufkommen. Zum anderen werden eben jene Kritiker und Zweifler an der regierenden Politik nicht nur pauschal in die «rechte Ecke» gestellt, sondern oft als «Nazis», als «Faschisten» diffamiert.
Diether Dehm (Foto: Tilo Gräser)
Dehm setzte sich bei der Veranstaltung im Berliner «Sprechsaal» damit ebenso auseinander wie mit der Frage, wie Faschismus eigentlich korrekt definiert werden kann. Er nutzte die Erklärung von Dimitroff als Referenzpunkt und widersprach unter anderem der Definition des Faschismusforschers Reinhard Kühnl, der von einem Bündnis zwischen den Konzernen und der faschistischen Massenbewegung sprach.
Es handele sich nicht um eine statische gesellschaftliche Erscheinung, die sich mit einer einmal abgegebenen Definition allein beschreiben lasse, erklärte der Liedermacher und Ex-Bundestagsabgeordnete. Auch der Faschismus sei eine Erscheinung, die sich im Prozess befinde und bei der subjektive Faktoren sehr wichtig seien.
Herrschaftsmittel im Interesse des Kapitals
Er warnte zugleich vor Vereinfachungen und ökonomistischen Sichten: Nicht jede Form des Imperialismus sei gleichbedeutend mit Faschismus. Das machte er unter anderem mit Zitaten von Dimitroff deutlich, der damals den deutschen Faschismus unter dem demagogischen Etikett «Nationalsozialismus» als «reaktionärste Spielart des Faschismus» bezeichnete.
Damals habe sich dieser noch national gezeigt, wie auch die ihn unterstützende «Deutsche Bank» damals noch «deutsch» gewesen sei. Dehm erinnerte dabei an die Dokumentenbeispiele in dem Buch «Europastrategien des deutschen Kapitals« von Reinhard Opitz.
Allerdings ging er nicht darauf ein, dass die deutsche Wirtschaft in der sogenannten Weimarer Republik, deren finanzkräftigen Teile die aufkommende faschistische Bewegung förderte, alles andere als «rein deutsch» war. Insbesondere US-Banken und -Unternehmen hatten bereits massiv in Deutschland investiert und eine Reihe von ihnen gehörten zu den Unterstützern Adolf Hitlers.
Der Ökonom Guido Giacomo Preparata hatte in seinem Buch «Wer Hitler mächtig machte» (2010; Original: «Conjuring Hitler – How Britain and America Made the Third Reich» 2005) nachgewiesen, wie angelsächsische und US-Eliten gezielt daran wirkten, die deutschen Faschisten hervorzubringen. Der Grund: Deutschland war von den Siegermächten des Ersten Weltkrieges als «Bollwerk gegen den Bolschewismus» vorgesehen, was der US-amerikanisch-norwegische Soziologe Thorstein Veblen bereits 1920 erkannte und Preparata ausführlich zitiert.
Der Historiker Kurt Gossweiler hatte in seinem Buch «Großbanken, Industriemonopole und Staat» (1971, neu 2013) unter anderen das Programm des US-Finanzkapitals «der Unterwerfung der gesamten deutschen Wirtschaft unter seine Kontrolle» nach dem Versailler Vertrag von 1920 beschrieben. Er zeichnete nach, wie sich eine «amerikanische Fraktion» in der deutschen Monopolbourgeoisie herausbildete und durchsetzte, zu deren Handlanger der spätere Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht gehörte.
Damit zeigte sich bereits damals selbst die deutsche Spielart des Faschismus alles andere als rein national, sondern als internationale Erscheinung, auch wenn sie nach außen hin demagogisch sich besonders national gebärdete. Leider ging der Gesprächspartner Dehms, Manfred Sohn, DKP-Politiker und Vorsitzender der Marx-Engels-Stiftung, ebenfalls nicht weiter auf diesen Aspekt ein.
Noch kein neuer Faschismus
Er halte nach der Analyse der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland mit dem Aufstieg der AfD an der Dimitroff-Definition des Faschismus fest, sagte Sohn im «Sprechsaal». Zugleich widersprach er Einschätzungen der derzeitigen politischen Prozesse bis hin zu Aufrüstung und Kriegstreiberei als denen einer «schleichenden Faschisierung». Aus seiner Sicht handelt es sich stattdessen um einen «militaristisch-reaktionären Staatsumbau».
Die «Normalform der bürgerlichen Herrschaft ist der Parlamentarismus, nicht der Faschismus», betonte Sohn, der daran erinnerte, dass der Erste Weltkrieg von Staaten mit bürgerlichen Parlamenten und unterstützt von diesen ausgelöst wurde. Der später aufkommende Faschismus sei als Herrschaftsinstrument notwendig geworden, da die sozialen Unruhen unter anderem in Deutschland die Interessen und Ziele der Herrschenden und Vermögenden bedrohten.
Manfred Sohn
Der ausgebildete Ökonom sieht mehr Ähnlichkeiten der heutigen Situation mit der vor dem Ersten Weltkrieg als mit jener ab 1933. Heute wie vor mehr als 110 Jahren werde die Gesellschaft mit Hilfe eines parlamentarischen Systems auf «Kriegstüchtigkeit» getrimmt, wofür keine faschistische Bewegung nötig sei. Er zitierte dazu aus einem Beitrag von Ursula Vogt in der Zeitung Unsere Zeit zum Thema «Krieg um die Köpfe»:
«Die Integration der Beherrschten ins System, die Übernahme der Denkweisen von oben bei denen da unten ist – weil im Verborgenen – allemal effektiver als offener Terror. Dienstbares und williges Personal wie Scholz, Pistorius, Habeck, Baerbock gibt es zuhauf, die ‹Alternativen› Merz und Söder sind in der Warteschleife.»
Er stimme deshalb Dehm zu, dass «von Anfang an der Gedanke, die AfD zu bekämpfen, indem es breite Bündnisse unter Einschluss der Herrschenden gibt, ein völlig absurder Gedanke» gewesen sei. Die AfD und die relative hohe Zustimmung zu ihr sei eine Form «einer pervertierten Rebellion» gegen die herrschenden Verhältnisse, die nur durch «Entwicklung der wirklichen Rebellion» zu bekämpfen sei.
Sohn forderte dazu auf, die Faschismus-Definition von Dimitroff nicht nur auf die Ökonomie zu reduzieren. Sie enthalte auch wichtige Hinweise zu psychologischen Zusammenhängen, indem er unter anderem feststellte:
«Es gelingt dem Faschismus, die Massen zu gewinnen, weil er in demagogischer Weise an die drängendsten Nöte und Bedürfnisse appelliert. Der Faschismus entfacht nicht nur die in den Massen tief verwurzelten Vorurteile, sondern er spekuliert auch mit den besten Empfindungen der Massen, ihrem Gerechtigkeitsgefühl und mitunter sogar ihren revolutionären Traditionen.»
Deshalb sei der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke «völlig logisch mit der ‹Simson› durch die ehemalige DDR gefahren auf seiner Wahlkampftour». Das Konzept ist aufgegangen, so Sohn, der hinzufügte, das «einzige wirksame Gegenmittel gegen diese pervertierte Rebellion der AfD ist die Entfaltung wirklich revolutionärer Kräfte».
Kriegsfrage im Zentrum
Im Gespräch mit Dehm und dem Publikum betonte der DKP-Mann, Faschismus sei Mittel zum Zweck, wenn die herrschende Klasse ihr Ziel des Profits um jeden Preis nicht mehr mit anderen Mitteln erreichen kann. Wenn dieses Ziel mit den bewährten Methoden erreicht werde, würden diese eingesetzt.
Kapitalismus könne nur expansiv existieren, wie schon im Kommunistischen Manifest nachzulesen sei. Das führe hin zu der aktuellen globalen Kriegsgefahr, weil der US-geführte Westen seine bisherige Dominanz bedroht sieht.
Dehm erklärte seine umstrittene Position, dass in Friedensfragen auch auf ein Bündnis mit Kräften wie der AfD eingegangen werden müsse. Er habe mit Blick auf mögliche Gespräche zwischen AfD und BSW nach den gegenwärtigen Landtagswahlen in Ostdeutschland erklärt:
«Alle, die es mit dem Grundgesetz neu versuchen wollen, sollen miteinander verhandeln und reden.»
Grundlage dafür könne unter anderem das Friedensgebot des Grundgesetzes sein, ebenso das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und das Sozialstaatsgebot. Das solle aber nicht hinter verschlossenen Türen geschehen, sondern offen und transparent.
Sohn stellte in der Diskussion klar, dass gegenwärtig die Kriegsfrage die entscheidende sei, auf die Antworten gegeben werden müssten. So sei der Erste Weltkrieg in Deutschland mit parlamentarischen Mitteln begonnen und «faschistoid» fortgesetzt worden, erinnerte er noch einmal.
Er machte darauf aufmerksam, dass versucht wird, das Thema Krieg mit der Migrationsdebatte wegzuschieben.
«Ein ganzes Volk macht sich Sorgen über die Kriegsfrage und über die Ökonomie und aus fast allen Medien schrillen ihnen aber nicht diese Themenfelder entgegen, sondern Migration, Ausländergewalt, Messerangriffe und so weiter.»
Hoffnung, Nation und Internationalismus
Er forderte die linken Kräfte dazu auf, nicht nur die bestehenden Zustände und Verhältnisse zu beklagen und zu kritisieren. Das Prinzip Hoffnung bringe Menschen in Bewegung und müsse entsprechend genutzt werden.
Es gehe darum, den Menschen Alternativen und Hoffnung zu vermitteln. Neben den Gefahren der globalen Veränderungen müssten die Chancen der Entwicklung gezeigt werden, indem ein Land wie Deutschland sich auf den Wandel einstellt. Die Hoffnungsperspektiven müssten «von links» kommen.
Sohn und Dehm waren sich einig, dass linke und sozialistische Politik sich auch positiv gegenüber der jeweils eigenen Nation verhalten müsse. Es sei «fatal», wenn das Nationale «komplett in die faschistische Ecke sortiert» werde, so der DKP-Mann.
«Das ist fatal, weil die Linke gedeiht, wenn sie die Interessen des Volkes, dessen Sprache sie nun mal spricht, in den Mittelpunkt stellt.»
Dehm erinnerte an die demagogische Lüge vom «Nationalsozialismus»: Die deutsche «Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei» (NSDAP) sei weder national noch sozialistisch noch Arbeiterpartei gewesen, sondern eine «Partei des Großkapitals, die die Nation in Schutt und Asche gelegt» habe.
Und er verwies darauf, dass bereits im Kommunistischen Manifest klar gesagt wurde, der Internationalismus sei die Wesensart des Proletariats, aber dieses sei zunächst einmal national verfasst – «das heißt, alle denken im Rahmen der Gesetze und der Nation, in der sie groß geworden sind, und das heißt erst mal national, aber ihr Wesenszug ist Internationalismus».
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